1. ovb-online-de
  2. Welt
  3. Wirtschaft

Reform der EU-Fiskalregeln: Der deutsche Widerstand ist unbegründet

Erstellt:

Von: Prof. Dr. Achim Truger

Kommentare

Michael Hüther
Achim Truger ist Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professor für Staatstätigkeit und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen © N. Bruckmann/M. Litzka/SVR

Die EU-Kommission hat einen Reformvorschlag für die EU-Fiskalregeln vorgelegt, die die Staatsverschuldung der Mitgliedstaaten begrenzen sollen. Der Wirtschaftsweise Prof. Achim Truger erklärt im Gastbeitrag, warum diese Reform eine große Chance bietet und die Bundesregierung ihren Widerstand dagegen aufgeben sollte.

Duisburg – Die EU-Fiskalregeln sollen die Staatsverschuldung der Mitgliedstaaten begrenzen. Wegen der schweren Wirtschaftskrise aufgrund von Corona und Energiepreisschock sind die Regeln seit 2020 ausgesetzt. Durch Nutzung der generellen Ausnahmeklausel konnten die EU-Staaten höhere Kredite aufnehmen und Bürger sowie Unternehmen unterstützen, um Schaden für Wohlstand und Beschäftigung zu vermeiden. Allerdings kann die Ausnahmeklausel nicht ewig gezogen werden. Im kommenden Jahr ist daher die Rückkehr zu den Regeln vorgesehen.

Ohne Reform der Fiskalregeln droht dabei jedoch Unheil, vor allem vom sogenannten Schuldenstandskriterium: Länder, deren Schuldenstand 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigt, müssen diesen schnell genug in Richtung der 60 Prozent bewegen. Dies könnte gerade die von Euro- und Corona-Krise schwer gebeutelten Staaten wie Italien, Spanien und Portugal, aber auch Frankreich, stark treffen, deren Schuldenstände krisenbedingt weit oberhalb von 100 Prozent liegen. Sie könnten zu einer sehr harten Kürzungspolitik gezwungen sein. Dann droht eine erneute Wirtschaftskrise, in deren Folge die Schuldenstände eher steigen als sinken würden.

Stimme der Ökonomen

Klimawandel, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?

In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.

Reform der EU-Fiskalregeln: Der Widerstand der nordeuropäischen Länder ist groß

Glücklicherweise hat die EU-Kommission das Problem erkannt und schon vor einiger Zeit einen entsprechenden Reformvorschlag vorgelegt, der auch die anderen Probleme des Regelwerks angeht: Weniger komplex und transparenter sowie verbindlicher in der Umsetzung sollen die Regeln werden, und sie sollen mehr Spielraum für wachstumsfördernde öffentliche Investitionen lassen. Damit die Reform noch rechtzeitig vor 2024 umgesetzt werden kann, muss eine schnelle Einigung her, am besten schon auf dem EU-Gipfel im März.

Doch der Widerstand der nordeuropäischen Länder ist groß. Unterstützt werden sie von Bundesfinanzminister Christian Lindner, der den Vorschlag als „so nicht zustimmungsfähig“ bezeichnete. Die angeführten Argumente sind jedoch wenig überzeugend. Denn erstens werden die wesentlichen Ziele des Reformvorschlags laut Medienberichten geteilt: Zustimmung gibt es, dass die bisherigen Regeln nicht funktionieren, dass der Zeitplan für den Schuldenabbau flexibilisiert werden müsse und neue Investitionsnotwendigkeiten berücksichtigt werden müssten.

Zweitens passt die vehemente Mahnung, es sei zwingend, dass die Schuldenabbaupfade für die Länder nachvollziehbar, glaubwürdig und berechenbar seien, eher zu den reformbedürftigen alten Regeln als zum Vorschlag der EU-Kommission, der genau solche Abbaupfade anstrebt. Hoch verschuldete Staaten müssten dem Vorschlag zufolge vier Jahre – im Falle der Verpflichtung auf nachweislich wachstumssteigernde Investitionen oder Strukturreformen bis zu sieben Jahre – nach einem mit der Kommission abgestimmten Plan Obergrenzen für die Staatsausgaben strikt einhalten.

Dadurch würde das Haushaltsdefizit wirtschaftsverträglich schrittweise auf ein Niveau schrumpfen, bei dem die Schuldenstandsquote auf einen nachhaltigen Abbaupfad in Richtung der 60 Prozent einschwenkt. Überschreitungen der Ausgabengrenzen würden mit einem Defizitverfahren bestraft. Die Einhaltung der Ausgabengrenzen wäre viel transparenter und leichter zu überwachen und daher auch verbindlicher als die bisherigen komplizierten Defizitregeln, deren variantenreiche Umsetzung auf mehr als 100 Seiten detailliert beschrieben wird.

Der Kommissionsvorschlag bietet eine große Chance

Zwar stimmt es, dass die angestrebte Reform der Kommission viel Macht und möglicherweise große Ermessensspielräume einräumen würde. Dem sollte man aber durch hohe Anforderungen an die Transparenz des Verfahrens und mit einem kritischen und offenen Diskurs begegnen. Striktere einheitliche Vorgaben für alle Länder oder eine Rückkehr zu den alten Regeln wären dagegen falsch, da sich erwiesen hat, dass sie dann in der Umsetzung regelmäßig scheitern, was ihre Glaubwürdigkeit untergräbt. 

Der Kommissionsvorschlag bietet die große Chance, verbindlichere Vorgaben für die Begrenzung der Staatsverschuldung wirtschaftsverträglich und mit größeren Spielräumen für öffentliche Investitionen umzusetzen. Die Bundesregierung sollte die Chance erkennen und ihren Widerstand gegen die Pläne aufgeben.

Zum Autor: Achim Truger ist Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professor für Staatstätigkeit und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen.

Auch interessant

Kommentare