Gastbeitrag Prof. Sebastian Dullien
Gaspreisbremse: Soziale Ungerechtigkeit und Skandalisierungspotenzial verhindern - Jetzt ist die Ampel gefragt
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Im Kampf gegen die hohen Gaspreise schlägt die Expertenkommission eine zweistufige Antwort vor: Zunächst eine Abschlagszahlung und im Frühjahr einen Preisdeckel. Kritiker halten das für sozial unausgewogen. Doch der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Prof. Sebastian Dullien, verteidigt die Experten gegen die Kritik - und sieht jetzt die Bundesregierung in der Pflicht.
Berlin – Seit Montag ist klar: Die Gaspreisbremse für Deutschland kommt. Montag früh hat die sogenannte „Gaskommission“ Vorschläge vorgelegt, wie Haushalte und Unternehmen angesichts der enorm gestiegenen Gaspreise entlastet werden können. Und während es bei den Entlastungsvorschlägen für Unternehmen noch eine Reihe von Fragezeichen gibt, liegt nun ein praktikables Konzept für die Entlastung der Privatkunden vor.
Im Dezember soll eine monatliche Abschlagszahlung für Haushalte mit Gasheizung vom Staat übernommen werden. Ab März oder April bekommen die Haushalte auf Staatskosten dann einen Rabatt gutgeschrieben, der für 80 Prozent des geschätzten Verbrauchs den faktischen Preis für Erdgas auf 12 Cent pro Kilowattstunde (kWh) deckelt.
Stimme der Ökonomen
Klimawandel, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?
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Gaspreisbremse deckt circa 40 Prozent der Heizrechnung
Damit übernimmt der Staat durch die Gaspreisbremse im Schnitt etwas mehr als 40 Prozent der Heizrechnung, wenn Haushalte weiter so Gas verbrauchen wie im Vorjahr. Diese prozentuale Entlastung ist unabhängig vom Gasverbrauch und Einkommen, und gilt damit für Menschen in einer 60-Quadratmeter-Wohnung genauso wie für jene mit einem alten, schlecht isolierten Haus auf dem Land oder jenem mit einer großen Villa und deutlich höherem Verbrauch.
Dies ist ein großer Beitrag, um über den Winter Zahlungsausfälle und finanzielle Not bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein zu verhindern. Es ist auch gesamtwirtschaftlich ein wichtiger Beitrag: Die Kaufkraft wird um 35 Milliarden Euro gestützt, was ein Prozent BIP-Wachstum ausmachen könnte, die Inflationsrate dürfte zwei Prozentpunkte niedriger ausfallen.
Dabei ist der Fokus auf Haushalte mit Gas völlig gerechtfertigt. Ohne die Gaspreisbremse hätten sich die Heizkosten bei Gas absehbar vervierfacht, beim Heizöl aber „nur“ etwas mehr als verdoppelt. Die Gaspreisbremse stellt so Gerechtigkeit her zwischen Gashaushalten und Ölheizungshaushalten.
Natürlich beseitigt die Gaspreisbremse nicht alle Belastungen durch Energiekosten, aber dafür gibt es ja auch noch andere Instrumente wie Energiepreispauschale oder Kinderbonus.
Gaspreisbremse entlastet Haushalte mit hohem Verbrauch stärker
Zugegeben: Die Gaspreisbremse ist nicht perfekt. Die prozentuale Übernahme der Heizkosten basierend auf dem Vorjahresverbrauch durch den Staat bedeutet auch, dass Haushalte mit hohem Verbrauch in Euro gerechnet stärker entlastet werden als Haushalte mit niedrigem Verbrauch.
Und während es auch bei Geringverdienern Haushalte mit hohem Gasverbrauch gibt, kommen solche Haushalte in den oberen Einkommensdezilen häufiger vor. Deshalb werden im Durchschnitt Haushalte mit hohen Einkommen in Euro gerechnet stärker entlastet als jene mit geringen Einkommen.
Dieses Problem zu lösen ist nicht einfach, weil die Versorger nicht wissen, ob hinter einem Anschluss eine Villa mit Privatschwimmbad oder ein Mehrfamilienhaus mit zehn Mietparteien steckt. Die Gaskommission hat diese Problematik erkannt und deshalb einen deutlichen Prüfauftrag an die Bundesregierung gegeben, wie man die Entlastung zumindest bei Haushalten mit extremem Energieverbrauch begrenzen kann. Eine im Kommissionsbericht genannte Möglichkeit wäre eine Höchstzahl an Kilowattstunden, die als Grundkontingent gutgeschrieben werden.
Expertenkommission unter extremem Zeitdruck
Dass die Kommission noch keine technische Lösung gefunden hat, ist wenig verwunderlich. Selten hat eine Regierung eine Expertenkommission derart unter Zeitdruck gesetzt. Am Ende gab es neben virtuellen Treffen ein einziges (!) Präsenztreffen, das von Samstagmorgen bis in den frühen Montagmorgen ging, bevor die Vorschläge vorliegen sollten. Hätte die Regierung sich früher durchgerungen, auf die absehbare Kostenkrise beim Gas zu reagieren, wäre mehr Zeit gewesen.
Die Regierung darf den Prüfauftrag der Fördergrenzen für Wohlhabende mit sehr hohem Energieverbrauch jetzt nicht ignorieren, sonst droht am Ende eine soziale Schieflage der Entlastungen und Skandalisierungspotenzial durch Populisten. Hier ist jetzt die Regierung mit ihren Ministerialapparaten gefragt, bis zur Verabschiedung eines Gesetzes eine praktikable Lösung zu erarbeiten. Gelingt das nicht, ist das ein Versagen der Regierung – nicht der Kommission.
Zum Autor: Prof. Dr. Sebastian Dullien ist wissenschaftlicher Direktor des Düsseldorfer Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.