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Gastbeitrag von Prof. Hans-Werner Sinn

Das Ende des Free Lunch: EZB vor der Zerreißprobe

Hans-Werner Sinn, Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität von München, war Präsident des Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und Berater des deutschen Wirtschaftsministeriums.
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Hans-Werner Sinn, Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität von München, war Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und Berater des deutschen Wirtschaftsministeriums.
  • Prof. Hans-Werner Sinn
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Die Europäische Zentralbank (EZB) steckt wegen der Inflation in der Zwickmühle zwischen hoch und niedrig verschuldeten Ländern. Jetzt droht der EZB die Zerreißprobe, und niemand weiß, wie sie sie überstehen kann, warnt der frühere Chef des Münchner ifo Instituts Professor Hans-Werner Sinn im Gastbeitrag.

München – Bislang hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Probleme der Eurozone mit Geld zugeschüttet. Da das in der Inflation nicht mehr geht, hat sie nun ein neues Anti-Fragmentierungsinstrument entwickelt, dessen Aufgabe es ist, hochverschuldete Länder vor Zinsspreads im Vergleich zu anderen, weniger verschuldeten Ländern zu schützen. Bei Bedarf will sie in ihrem Portefeuille die Papiere der gering verschuldeten gegen die Papiere der hochverschuldeten Staaten austauschen, um den Zinsunterschied zwischen ihnen zu verringern. Ob Bedarf besteht, entscheidet sie ganz allein.

Eurosystem kommt nun in ein sehr raues Fahrwasser

Das ist sehr problematisch, weil Zinsspreads zu einem funktionierenden Kapitalmarkt und zu einer funktionierenden Föderation gehören. Die Zinsspreads beziehen sich auf die nominal auf dem Papier vereinbarten Zinsen, doch diese Zinsen werden im Konkursfalle gar nicht gezahlt. Damit die effektiven, mathematisch erwarteten Zinsen für alle Länder gleich werden, spreizt ein effizienter Kapitalmarkt die Zinsen nach der Höhe der Länderrisiken aus. Wenn sich ein Staat über Gebühr verschuldet, steigt seine Konkursgefahr, die Anleger verlangen zur Kompensation höhere Zinsen, und die höheren Zinsen veranlassen den Staat, die Kreditaufnahme zu verringern. Dadurch werden Schuldenexzesse automatisch verhindert.

Stimme der Ökonomen

Klimawandel, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?

In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen* liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.

EZB-Politik führt zu einer Subventionierung der Kreditaufnahme hochverschuldeter Euro-Länder

Die Reduktion der Zinsunterschiede bedeutet faktisch eine fiskalische Subventionierung der Kreditaufnahme hochverschuldeter Länder zu Lasten der weniger verschuldeten Länder, der nun höhere nominale und effektive Zinslasten zu tragen haben. Die Proteste der Steuerzahler und Verfassungsgerichte der belasteten Länder sind damit vorprogrammiert.

So oder so kommt das Eurosystem nun in ein sehr raues Fahrwasser. Die Zeiten, während derer die EZB den Ländern auf dem Wege über ihre Aufkaufprogramme frisch gedrucktes Geld zur Verfügung stellen konnte, ohne irgendwo Entzugseffekte zu erzeugen, sind definitiv vorbei. Druckt sie zum Zwecke der Staatsfinanzierung neues Geld, enteignet sie die Geldhalter der Eurozone durch Inflation, und wendet sie ihr Anti-Fragmentierungsinstrument an, verteilt sie die Haushaltsmittel der Staaten um.

EZB: 4,4 Billionen Euro für den Aufkauf von Staatspapieren

Die Staatsfinanzierung mit der Druckerpresse war während der Abfolge der Eurokrisen seit der Lehman-Krise im Jahr 2008 der hauptsächliche Treiber der Geldmengenausweitung. Nicht weniger als 83 Prozent des gesamten Überhangs an Zentralbankgeld relativ zur Wirtschaftsleistung der Eurozone, der seit dem Sommer 2008 geschaffen wurde – immerhin 5,3 Billionen Euro –, entstanden durch den Aufkauf von Staatspapieren im Umfang von 4,4 Billionen Euro.

Das Geld schuf Ruhe und Vertrauen unter den Anlegern, doch genau deshalb regte es die Staaten an, sich unter Missachtung sämtlicher Schuldenschranken des Eurosystems immer weiter zu verschulden. Die Verschuldung belebte die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und hielt die Arbeitslosigkeit in Schach. Inflationäre Sekundäreffekte durch eine Ausweitung des Kreditangebots der Banken unterblieben, weil das neu in Umlauf gekommene Geld von den Banken und Privatleuten gehortet wurde.

Inzwischen hat die Pandemie die Welt aber in eine Stagflation gezwungen, weil es über Lockdowns und Quarantäne-Maßnahmen überall zu Produktionsstockungen und Lieferproblemen kam, die gerade in China noch längst nicht überwunden sind. Opportunistische Angebotsverknappungen seitens der Anbieter fossiler Energie traten hinzu. Es entstand eine massive Inflation, die die Effekte der Ölkrisen der 1970er Jahre weit in den Schatten stellt.

Staatsfinanzierung mit der Druckerpresse funktioniert nicht mehr

In der Stagflation funktioniert die Staatsfinanzierung mit der Druckerpresse nicht mehr, weil sie die Inflation nur noch weiter befeuert und das um ihre Ersparnisse fürchtende Bürgertum in Aufruhr versetzen würde. Die Bonität der überschuldeten Staaten und Finanzsysteme lässt sich heute nur noch durch internationale fiskalische Hilfsprogramme sichern, die mit Steuern statt Schulden finanziert werden. Der Widerstand der Bürger gegen eine solche Lösung ist jedoch nicht minder groß. Auch das Fragmentierungsinstrument der EZB ist ein solches Hilfsprogramm, weil es zu Umverteilungseffekten zwischen den Staatsbudgets kommt.

EZB steht vor einem Dilemma

Damit steht die EZB vor einem Dilemma. Will sie den bedrängten Staaten weiterhin bei der Verschuldung helfen, muss sie sich entscheiden. Sie kann den Staaten die benötigten Ressourcen über eine Verdrängungsinflation zu Lasten des Vermögens der Geldhalter besorgen, oder sie kann einigen Staaten die benötigten Ressourcen zu Lasten anderer Staaten verschaffen. Die Zeit des free lunch auf dem Wege einer inflationsfreien Bedienung der Druckerpressen ist vorbei, weil sich die Wirtschaftstätigkeit in einer Stagflation nicht mehr über eine keynesianische Nachfragepolitik stimulieren lässt.  

Die Inflation würde man der EZB anlasten. Die Umverteilung zwischen den Staaten aufgrund des Anti-Fragmentierungsintruments würde bei den Geschädigten zu Proteststürmen führen und heftige juristische Konsequenzen mit sich bringen. Nichts zu tun, würde die Kapitalmärkte in Aufruhr versetzen. Die EZB steht vor einer Zerreißprobe, von der man nicht weiß, wie sie sie überstehen kann.

Hans-Werner Sinn, Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität von München, war Präsident des Münchner ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und Berater des deutschen Wirtschaftsministeriums. Sein jüngstes Buch hat den Titel: Die wundersame Geldvermehrung: Staatsverschuldung, Negativzinsen, Inflation, Herder, Freiburg 2021.

Copyright: Project Syndicate, 2022.

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