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Fachkräftemangel: Deutschland muss Zuwanderung effizienter gestalten

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Von: Prof. Christoph M. Schmidt

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Michael Hüther
Prof. Dr. Christoph M. Schmidt ist Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Professor an der Ruhr-Universität Bochum. © © N. Bruckmann/M. Litzka/RWI/Sven Lorenz

Im Kampf gegen den Fachkräftemangel ist Zuwanderung ein wichtiges Instrument. Aber großzügigere Einwanderungs-Gesetze alleine reichen nicht, schreibt Prof. Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI, im Gastbeitrag und schlägt konkrete Maßnahmen vor, um die Fachkräfte-Lücke zu schließen.

Bochum - Zunächst zum Offensichtlichen: Deutschland ist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland. Inzwischen herrscht auch weitgehend Einigkeit darüber, dass unsere Gesellschaft Zuwanderung dringend braucht. Denn Fachkräfteengpässe sind in vielen Bereichen mittlerweile mit den Händen zu greifen – eine Situation, die sich deutlich verschärfen wird, wenn die Generation der Babyboomer in den kommenden Jahren zunehmend in den Ruhestand eintreten wird. Um Abhilfe zu schaffen, wird es allerdings nicht ausreichen, das Zuwanderungsrecht noch weiter zu liberalisieren: Es ist vor allem die Umsetzung dieses Rechts, an der es bislang hapert.

Inzwischen hat mehr als jede vierte in Deutschland lebende Person einen Migrationshintergrund. In den vergangenen Jahren hat die Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten zunehmend an Bedeutung gewonnen. Im Jahr 2021, vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, waren die häufigsten Herkunftsländer Syrien, Rumänien und Afghanistan. Die weitaus überwiegende Zahl der Zugewanderten aus Drittstaaten kommt, um hier Asyl zu beantragen oder im Zuge der sogenannten Familienzusammenführung.

Stimme der Ökonomen

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Fachkräftemangel: Deutschland braucht mehr Zuwanderer aus Drittstaaten

Um den wachsenden Fachkräftebedarf zu decken, bräuchte Deutschland aber mehr Zuwanderer aus Drittstaaten, die zum Zweck von Arbeit oder Ausbildung einreisen. Deshalb wurde die Zuwanderungsgesetzgebung in den vergangenen Jahren deutlich liberalisiert. Wer einen akademischen Abschluss oder einen geeigneten Berufsabschluss nachweisen kann, kann seitdem sogar ohne Arbeitsplatz nach Deutschland einreisen, um hier auf Arbeitsplatzsuche zu gehen. Die Bundesregierung plant nun, das Einwanderungsrecht weiter zu lockern, Eckpunkte sind bereits beschlossen.

Doch das wird nicht reichen, es braucht vor allem Veränderungen in der Rechtsumsetzung. So gehört Deutschland zwar für Personen mit als gleichwertig anerkannten Qualifikationen zu den liberalsten Ländern der Welt. Aber der Nachweis der Gleichwertigkeit stellt in der Praxis ein erhebliches Hemmnis dar, und die Verfahren dauern zu lange. Auch bei der Beantragung eines Visums verstreichen oft wertvolle Monate. Die Antwort auf diese Umsetzungslücke kann aber nicht einfach mehr Personal in den Behörden sein. Angezeigt wären vielmehr die konsequente Digitalisierung von Verwaltungsprozessen, die zentralisierte Visumsvergabe und – wie es der Sachverständigenrat Integration und Migration vorschlägt – eine koordinierte Spezialisierung der Anerkennungsbehörden der Bundesländer auf Herkunftsstaaten und Berufe.

Denn so ließen sich die segensreichen Wirkungen der Arbeitsteilung erschließen: Behörden, die sich mit einem bestimmten Berufsbild und den erforderlichen Kompetenzen besser auskennen, könnten schneller darüber entscheiden, ob eine zuwanderungswillige Person die entsprechenden Kriterien erfüllt. Vor allem könnten dann anstelle von formalen Anforderungen an Dokumente und Zeugnisse mehr und mehr die tatsächlichen Kompetenzen der Personen in den Vordergrund rücken. Das würde eher helfen, Fachkräftelücken zu schließen, als ein formaler Abgleich von teils schwer zu bewertenden Ausbildungs- oder Studieninhalten.

Deutschland mit Wettbewerbsnachteil gegenüber englischsprachigen Ländern

Es wäre an der Zeit zu begreifen, dass Deutschland bei der Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte mit anderen Einwanderungsländern im Wettbewerb steht – und dabei einen wesentlichen Wettbewerbsnachteil gegenüber englischsprachigen Ländern hat. Wenn zu der sprachlichen Barriere noch hohe bürokratische Hürden kommen, verwundert es kaum, wenn es nicht gelingen wird, in hinreichendem Umfang Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen.

Zum Autor: Prof. Dr. Christoph M. Schmidt ist Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Professor an der Ruhr-Universität Bochum. Von 2009 bis 2020 war er Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, von März 2013 bis Februar 2020 dessen Vorsitzender. 

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