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Wird der Doppelwumms noch gebraucht? Das neue Ass in Lindners Ärmel

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Jens Südekum ist Universitätsprofessor für internationale Volkswirtschaftslehre des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi).
Jens Südekum ist Professor für internationale Volkswirtschaftslehre am Institut für Wettbewerbsökonomie (DICE) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. © N. Bruckmann/M. Litzka/Imago (Montage)

Die Preise für Strom und Gas sind zuletzt deutlich gefallen. Inzwischen liegen die Tarife bei Neuverträgen unterhalb der Strom- und Gaspreisbremse. Auf den Bund kommen damit deutlich geringer Ausgaben zu als ursprünglich erwartet, schreibt Prof. Jens Südekum im Gastbeitrag. Im Kampf um die Energiewende am Standort Deutschland könnte das zum wichtigen Trumpf werden.

Düsseldorf – In der Ampel-Koalition tobt ein Streit über den nächsten Bundeshaushalt. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) schreiben sich gegenseitig böse Briefe. Dabei gibt es einen Joker. Der sogenannte „Doppelwumms“ wird viel billiger als geplant, denn die Strom- und Gaspreise sind aktuell stark gesunken. Wird dieses Geld intelligent eingesetzt, stabilisiert das die Konjunktur und verschafft der Ampel Luft.

Blicken wir zurück in den Spätsommer 2022, den Höhepunkt der Energiekrise. Gerade hatte Wladimir Putin die Nord-Stream-1-Pipeline zugedreht, der Börsenpreis für Gas schoss in astronomische Höhen. Neuverträge für Privatkunden lagen bei fast 50 Cent pro Kilowattstunde, für Strom sogar bei 70 Cent. In der Wirtschaft herrschte blanke Panik. Das Gespenst der Deindustrialisierung ging um, denn zu solchen Preisen ist rentable Produktion undenkbar. 

Stimme der Ökonomen

Klimawandel, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?

In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.

„Doppelwumms“ mit Strompreisbremse und Gaspreisdeckel

Alle schauten auf die Bundesregierung. Die hatte zwar schon drei Entlastungspakete geschnürt. Doch von Energiepreisdeckeln wollte sie lange nichts wissen, denn sie gab sich der Illusion hin, man könne trotz Wirtschaftskrieg die Schuldenbremse einhalten. Am 29. September kam dann die Kehrtwende. Völlig überraschend trat Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit Lindner und Habeck vor die Presse und verkündete den in der Nacht zuvor im kleinsten Kreis entworfenen Doppelwumms: im Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) sollten 200 Milliarden Euro geparkt werden.

Diese waren rund zur Hälfte für die Stützung des mittlerweile verstaatlichten Gasimporteurs Uniper verplant. Die Strompreisbremse sollte sich durch die Abschöpfung von Übergewinnen bei den Erzeugern selbst finanzieren. Somit blieben rund 100 Milliarden für die Gaspreisbremse übrig, davon grob zwei Drittel für die Industrie und ein Drittel für Privathaushalte und Kleingewerbe.

Danach ging alles ganz schnell. Eine Expertenkommission arbeitete die Details der Preisbremsen aus. Für private Gaskunden greift sie bei 12 Cent pro Kilowattstunde, im Strombereich liegt der Deckel bei 40 Cent, jeweils für Kontingente basierend auf dem anteiligen Vorjahresverbrauch. Ab Januar gelten die Bremsen und werden im März rückwirkend ausgezahlt.

Doppelwumms: Was soll mit dem gesparten Geld geschehen?

Doch parallel begannen die Marktpreise zu fallen, begünstigt durch eifriges Energiesparen und mildes Winterwetter. Mittlerweile kostet die Kilowattstunde Gas bei Neuverträgen im Durchschnitt nur noch 11 Cent, liegt also unterhalb des Deckels. Bei Strom, aktuell 36 Cent, ist es genauso. Auch die Preisbremsen für die Industrie greifen effektiv gerade nicht mehr. Folglich kommen auf den Bund weitaus geringere Ausgaben zu. Aktuell ist nur noch von einem einstelligen Milliardenbetrag die Rede, viel weniger als die ursprünglich veranschlagten 100 Milliarden.

Das wirft die Frage auf, was mit dem ersparten Geld geschehen soll. Technisch gesprochen handelt es sich um bewilligte Kreditermächtigungen beim WSF, die man in der Zukunft ziehen könnte, ohne dass es dann auf die Schuldenbremse angerechnet würde. Quasi ein Ass im Ärmel des Bundesfinanzministers. 

Natürlich sollte man die so geschaffene Rücklage nicht sofort und für irgendwas ausgeben. Das wäre auch rechtlich gar nicht zulässig. Aber man sollte die Option in der Hinterhand behalten und sie nicht einfach ungenutzt verfallen lassen. Entscheidend ist das Junktim mit der Stabilisierung von Energiepreisen, denn dafür wurde der Doppelwumms vom Bundestag genehmigt. So könnte man der Industrie längerfristig einen niedrigen Strompreis garantieren, damit sie im Zuge der Transformation hin zur Klimaneutralität am Standort Deutschland bleibt und hier Steuern zahlt. Darüber würde sich nicht zuletzt auch der Finanzminister freuen.

Zum Autor: Jens Südekum ist Professor für internationale Volkswirtschaftslehre am Institut für
Wettbewerbsökonomie (DICE) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.

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