Dax auf Erholungskurs? Vier Gründe, weshalb es für eine Entwarnung noch zu früh ist

Der Dax hat angesichts des Ukraine-Kriegs und wachsender Rezessionssorgen den Rückwärtsgang eingelegt. Erst vor wenigen Tagen hat das deutsche Börsenbarometer ein neues Jahrestief erreicht. Doch die Aussicht auf eine womöglich weniger drastische Zinswende durch die Notenbanken hat die Kurse zuletzt wieder beflügelt. Der Chef-Volkswirt der Commerzbank, Dr. Jörg Krämer, bleibt dennoch skeptisch.
Frankfurt - Der Dax ist seit Jahresanfang um rund 20 Prozent gefallen. Institutionelle Anleger wie die Manager von Aktienfonds oder Versicherungsgeldern haben bereits verkauft, das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Dax liegt bei nur noch 10. Dennoch glaube ich nicht, dass der Abwärtstrend beim Dax schon vorbei ist:
Grund 1: Hohe Inflation und Zinspolitik
Erstens haben sich die Aktienkurse in der Vergangenheit häufig erst dann erholt, wenn die US-Leitzinsen gefallen sind und Hoffnungen auf eine konjunkturelle Belebung aufkamen. Aber diesmal haben wir es sowohl in den USA als auch im Euroraum mit einer hartnäckig hohen Inflation zu tun. Ein paar Zinsanhebungen reichen nicht aus, um das Problem zu lösen.
Vielmehr dürfte die US-Notenbank ihren Leitzins bis zum Frühjahr nächsten Jahres bis auf 5 Prozent anheben. Sie hat angekündigt, ihre Zinsen danach nicht schnell senken zu wollen. Das gilt auch für die EZB, die ihren Einlagensatz erst auf 0,75 Prozent angehoben hat und noch weit entfernt von einem Zins ist, der die Inflation mittelfristig senkt. Ein Ende der Leitzinserhöhungen, das in der Vergangenheit häufig eine Voraussetzung für eine nachhaltige Erholung des Dax war, ist noch nicht in Sicht.
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Grund 2: Anhaltende Gewinnrevisionen
Zweitens spricht für weitere Rückgänge der Aktienkurse, dass die Analysten derzeit ihre Schätzungen für die Gewinne der börsennotierten Unternehmen sowohl in den USA als auch im Euroraum nach unten revidieren und weiter zurücknehmen dürften. Auf jeden Fall sind wir weit entfernt von systematischen Aufwärtsrevisionen. Aber in der Vergangenheit drehten die Aktienkurse meist erst dann nach oben, wenn die Phase mit stetig fallenden Gewinnschätzungen der Unternehmensanalysten auslief.
Grund 3: Kurs-Buchwertverhältnis
Drittens spricht die Bewertung der Aktien noch für Vorsicht. Zwar liegen die Dax-Kurse verglichen mit den erwarteten Unternehmensgewinnen durchaus in einem Bereich, in dem in der Vergangenheit an den Märkten häufiger eine Wende zum Besseren zu beobachten war. Aber in Krisenzeiten schauen Anleger meist auf konservativere Bewertungsmaßstäbe und vergleichen die Aktienkurse nicht mit den stark schwankenden Unternehmensgewinnen, sondern mit dem stabileren bilanziellen Buchwert der Unternehmen, der sich als Differenz zwischen Vermögen und Schulden eines Unternehmens ergibt. Derzeit liegt das Kurs-Buchwert-Verhältnis des Dax im Bereich von 1,3, während es in früheren Rezessionsphasen zum Ende eines Bärenmarktes nochmals niedriger zwischen 1,0 und 1,2 notierte.
Grund 4: Zu viel Optimismus
Viertens spricht gegen ein Ende des Dax-Rückgangs, dass die große Gruppe der US-Privatinvestoren anders als die meisten institutionellen Anleger noch optimistisch sind. Sie haben Aktien noch nicht in großem Stil verkauft und sind damit anfällig für schlechte Nachrichten. Und rezessionsbedingt fallende Unternehmensgewinne wären schlechte Nachrichten, die Anleger zum Verkaufen bringen könnten.
Niemand hat eine Glaskugel. Anleger können nur Argumente gegeneinander abwägen. Aber alles in allem sprechen mehr Argumente dafür, dass der Rückgang der Aktienkurse noch nicht ganz vorbei ist. Vermutlich muss sich erst abzeichnen, dass das Inflationsproblem nachlässt und die US-Notenbank aufhört, ihre Zinsen weiter anzuheben. Allerdings sollten sich Anleger auf einen Wiedereinstieg in den Markt vorbereiten. Nur dann können sie schnell handeln, wenn die Bedingungen für eine nachhaltige Erholung der Aktienkurse wieder erfüllt sind. Auf Dauer ist es nicht ratsam, Aktien links liegen zu lassen.
Zum Autor: Dr. Jörg Krämer ist Chefvolkswirt der Commerzbank in Frankfurt.