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Virologe Streeck spricht nach Wiesn-Besuch und äußert Verdacht zu Viren-Übertragung über Masskrüge
- VonMaximilian Kettenbachschließen
In München steigt die Corona-Inzidenz rasant, was angesichts des Oktoberfests wenig überraschend erscheint. Hendrik Streeck ordnet das ein und erzählt, warum er auch als Virologe auf der Wiesn war.
München – Die Wiesn-Welle nimmt täglich weiter an Fahrt auf. Laut Robert Koch-Institut liegt die Coronavirus-Inzidenz in München am Donnerstag bei 695,8. Das bedeutet einen Anstieg um mehr als 172 Prozent binnen Wochenfrist. Einen, den es nicht erwischt hat, als er überraschend auf dem Oktoberfest auftauchte, ist der Bonner Virologe Hendrik Streeck. „Ich war bei der Eröffnung, da ich beruflich bereits in München war und eingeladen wurde. Mir gefällt die Herzlichkeit auf dem Oktoberfest. Ich war kurz im Zelt. Das hatte ich mir vorher überlegt, da hier natürlich ein höheres Risiko einer Infektion besteht. Ich halte dies aber für vertretbar und auch eigenverantwortlich.“
Streeck gehört keiner Risikogruppe an, hat sich nach eigener Aussage „davor und danach getestet, die Tage danach auch mehr Maske getragen. Rücksicht nehmen gehört da einfach dazu“, so der 45-Jährige im Gespräch mit dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA.
Virologe Streeck auf dem Oktoberfest: „Viele Gläser sind bestimmt nicht perfekt gewaschen“
Dass die Corona-Zahlen in München rapide steigen, überrascht ihn nicht. „Die Menschen feiern eng gedrängt im Bierzelt. Mit Alkohol schwindet der Abstand immer weiter.“ Dazu würden vielleicht auch Übertragungen durch Abwaschwasser kommen. „Viele Gläser sind bestimmt nicht perfekt gewaschen“, meint Streeck, der dazu rät, dies im Auge zu behalten. Inwieweit sich der Anstieg der Infektionen im Abwasser widerspiegelt, überprüfen bereits Münchner Wissenschaftler. Auf die Ergebnisse darf man nach der Wiesn gespannt sein.
Ebenso relevant wird die Beobachtung sein, wie sich Münchner Kliniken mit Corona-Patienten füllen. Dies könne man mit ein, zwei Wochen Verzug zum Oktoberfest sehen, so Streeck. Das größte Volksfest der Welt hält er im Gegensatz zu Gesundheitsminister Karl Lauterbach dennoch in der Form für „verantwortbar“. Lauterbach hatte geschimpft: „Das Oktoberfest wäre mit Testen vor dem Einlass sicherer gewesen und nicht weniger schön. Bei den Preisen pro Mass wären die Tests auch noch bezahlbar gewesen. Jetzt werden in der Folge mehr schwere Verläufe und Long-Covid-Fälle behandelt werden müssen.“
Streeck kontert Lauterbachs Oktoberfest-Kritik
Hätte mehr Testen wirklich geholfen? „Die Antigentests schlagen häufig verspätet an. Zur Anfangsphase der Infektion sind sie meist negativ, obwohl man sich bereits krank fühlt. Dadurch könnten auch Menschen auf die Wiesn gehen, die zwar Symptome haben, aber glauben, nicht infiziert zu sein.“ Streecks dringender Rat: „Bleibt zu Hause, wenn ihr euch krank fühlt. Das könnte Corona, aber auch die Grippe sein. Das kann einen größeren Effekt haben, als massenweise zu testen.“
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Lauterbachs Long-Covid-Befürchtung kritisiert der Bonner: „Pauschal davor zu warnen, halte ich für nicht zielführend. Aber ich kann einfach nur jedem raten sich zu impfen, auch um Folgeerkrankungen zu vermeiden. Bei Risikogruppen ist eine Vierfachimpfung angeraten. Damit hat man einen guten Schutz vor einem schweren Verlauf.“
Wie groß die Wiesn-Welle wird und welche Folgen sie für Deutschland (die Inzidenz liegt landesweit mittlerweile bei 409,9) oder Europa hat, nachdem Gäste aus aller Welt München einen Besuch abgestattet haben, will der Virologe nicht vorhersagen. Man werde jedoch sehen, dass „die Fallzahlen alleine aufgrund der Saisonalität in den kommenden Wochen überall hochgehen“ werden, so Streeck. Einen gehörigen Teil werden dazu wohl auch die möglichen Wintervarianten beitragen, allen voran die BA.2.75.2. Denn Sars-CoV-2 hört nicht auf zu mutieren. „Bei den neuen Varianten versagt die Impfung nicht komplett, aber wir werden eine klare Zunahme der Immunflucht sehen. Wichtig bleibt: Wir sollten keine Panik mit den Inzidenzen machen, sondern uns auf die Auslastung der Kliniken konzentrieren“, rät Streeck.
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Rubriklistenbild: © Karl-Josef Hildenbrand/dpa/Imago (Montage)