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Giffey bei Maischberger: Ja, Chaoten in Berlin waren vor allem Migranten

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Zu Gast bei Sandra Maischberger: Franziska Giffey (SPD, Regierende Bürgermeisterin von Berlin).
Zu Gast bei Sandra Maischberger: Franziska Giffey (SPD, Regierende Bürgermeisterin von Berlin). © WDR/Oliver Ziebe

Ungewöhnlich hart ging Sandra Maischberger am Dienstag mit Franziska Giffey ins Gericht. Und rang Berlins Bürgermeisterin ein Zugeständnis ab.

„Ja, die Täter waren zu einem sehr, sehr großen Anteil mit Migrationshintergrund, das muss man ganz klar sagen.“ Mit diesem Satz beschreibt die Regierende Bürgermeisterin Berlins, Franziska Giffey (SPD), die Silvesterkrawalle in ihrer Stadt, die international für Entsetzen sorgten. Vorausgegangen ist der Szene ein heißer Disput mit Sandra Maischberger. Seit 20 Jahren sei Giffey nun in Berlin tätig. Ob sie die Vorfälle jetzt als persönliche Niederlage begreife, will die Moderatorin wissen. „25 Jahre sogar!“, korrigiert Giffey.

Aber Vorwürfe will sich die Bürgermeisterin Berlins nicht machen. Eine solche Kritik würde alle anderen diskreditieren, die sich täglich für ein besseres Berlin einsetzten. Maischberger kontert, die Frage sei persönlich an sie gerichtet, doch Giffey wehrt ab. Da lässt Maischberger ein pikantes Zitat des Giffey-Vorgängers Michael Müller einblenden. Der sehe die entsetzlichen Zustände in den Berliner Kiezen nach eigenen Worten erst jetzt, weil er nicht mehr mit der Limousine herumgefahren wird. Giffey nimmt den Angriff volley: „Da muss man schon mal rausgehen“, sagt sie lachend. Doch Maischberger pariert: „Ja, aber 20 Jahre SPD! Was ist das Problem mit der SPD in Berlin?“

Mit Sandra Maischberger diskutierten diese Gäste

Giffey spielt die Hauptstadt-Charme-Karte: Berlin sei als Weltmetropole angesehen. Doch Maischberger zwingt sie in die Aktualität. „Sie wissen aber schon: Das Letzte, was man international von Berlin gehört hat, das war eine Wahl, die so vergeigt wurde, dass sie jetzt wiederholt werden muss.“

Giffey wirkt angeschlagen, Maischberger setzt nach: „Und Sie treten jetzt wieder an? Wollen Sie den Slogan eigentlich wieder nehmen ‚Ganz Sicher, Berlin‘? Das können Sie doch gar nicht mehr machen, oder?“ Dass etwa die Täter der Silvesternacht in Berlin sofort wieder auf freien Fuß gesetzt wurden, sei kaum zu fassen. Anderswo in Deutschland habe es bereits Verurteilungen gegeben. „Sie regieren die Stadt seit 20 Jahren. Das hat der Stadt ja offensichtlich nicht gutgetan.“ Giffey erklärt die schleppende Aufklärungsarbeit mit den Umständen der Silvesternacht: „Großer Lärm, große Druckwellen, große Temperaturen. Das erschwert die Ermittlungen.“ Maischberger hingegen sieht ein „Problem, wie die Berliner Politik mit Strafverfolgung umgeht“.

Diskussion bei Maischberger: Silvester-Krawalle Zeichen einer „gescheiterten Integration“?

Den diskursiven Rahmen hat zuvor bereits der „NZZ“-Journalist Alexander Kissler abgesteckt: Dass die Täter „aus dem migrantischen Milieu kommen“, sei ganz offensichtlich und verdeutliche eine „gescheiterte Integration“, sagt Kissler, der selbst in Berlin lebt. „Was ist in den Elternhäusern schiefgelaufen?“. Das sei eine ebenso berechtigte Frage wie jene nach den Institutionen. Kissler: „Man hat den Eindruck, dass der Rechtsstaat sich auf dem Rückzug befindet. Darüber müssen wir reden.“ Berlin, so Kissler, wehre sich jedoch, weil die Stadt „unter diesem rot-rot-grünen Senat dazu neigt, die schöne Soße des ‚Wir sind Berlin, wir sind anders‘ über alle Probleme drüberzugießen“.

Journalistin Alev Dogan versucht den Fokus zurückzuschieben: „Migration ist ein relativ kleiner Punkt. Ich halte es in allererster Linie für ein Gewaltproblem.“ Doch die Diskussion ist bereits fortgeschritten. Komödiant Oliver Kalkofe warnt vor einem „Debatten-Gulasch“. Silvester in Berlin sei „Social Media mit Explosivkörpern“ gewesen. Dogan gibt zu: „In existenziellen Fragen ist es nicht cool, dass Berlin so eine Chaos-Stadt ist.“ Sie kritisiert „die höchste Kriminalitätsrate und die niedrigste Aufklärungsrate“.

Kalkofe bei Maischberger: Berlin wie der Onkel, der besoffen in den Tisch fällt

Kissler zitiert Shakespeare: „Das ganze Leben ist eine Bühne. Und die Bühne von Berlin ist Spektakel rund um die Uhr, aber das Stück ist leider Gottes traurig, und es heißt Realitätsverleugnung. In dieser Regierung wird dieses Stück tagtäglich aufgeführt.“ Kisslers Urteil ist vernichtend: „Diese Stadt ist gar nicht auf Funktionieren angelegt. Aber Gesetzlosigkeit ist nie cool, liebes Berlin.“ Kalkofe stimmt ein in die Kritik: Er vergleicht die Stadt mit dem Onkel auf der Familienfeier, der vermeintlich cool ist, aber „am Ende des Abends nur noch besoffen in den Tisch fällt.“ Die Stadt müsse „verdammt nochmal aufpassen, dass sie nicht im Chaos versinkt.“

Auch beim zweiten Thema der Sendung, dem Krieg in der Ukraine, fallen überraschend deutliche, neue Worte: Für die jetzt beschlossenen Panzerlieferungen Deutschlands ins Kriegsgebiet hat der Politikwissenschaftler Prof. Johannes Varwick ein drastisches Bild parat. Für ihn ist die Eskalation nicht weniger als ein „Ritt auf der Rasierklinge“. Die Auswirkungen seien den wenigsten bewusst. „Wo soll das denn enden?“, fragt er. „Wir müssen mehr über politische Lösungsmöglichkeiten reden.“ Der Krieg werde nicht auf dem Schlachtfeld enden. „Die Ukraine gewinnt diesen Krieg nicht. Die Ukraine wird von Russland stranguliert. Wir brauchen realistische, politische Ziele.“ Kriegsexperte Roderich Kiesewetter plädiert für eine weitere, starke Aufrüstung der Ukraine, um zu „verhindern, dass Russland seine kolonialen Ansprüche durchsetzt“.

Kiesewetter kritisiert Merkel: Hat ihre eigene Geschichte nicht aufgearbeitet

Maischberger zitiert aus einem international viel beachteten Interview der Altkanzlerin Angela Merkel, die kürzlich sagte, das Minsker Friedensabkommen von 2014 sei abgeschlossen worden, um der Ukraine Zeit zu geben, sich aufzurüsten. Dass Putin sich getäuscht fühlt, sei nachvollziehbar, sagt Varwick. „In diesem Punkt kann man ihm nicht widersprechen.“ Kiesewetter widerspricht. Was Merkel behauptet, sei falsch. „Aber sie sagt es selbst“, erwidert Maischberger. Kiesewetter: „Ja. Vielleicht, weil sie ihre eigene Geschichte noch nicht aufgearbeitet hat.“

Sandra Maischberger (r.) mit ihren Gästen v.l.n.r.: Johannes Varwick (Politikwissenschaftler) und Roderich Kiesewetter (CDU, Außenpolitiker).
Sandra Maischberger (r.) mit ihren Gästen v.l.n.r.: Johannes Varwick (Politikwissenschaftler) und Roderich Kiesewetter (CDU, Außenpolitiker). © WDR/Oliver Ziebe

Varwick wirft Kiesewetter vor, mit seinen Aufrüstungsplänen „ein utopisches Ziel“ zu verfolgen. „Dann muss man am Ende einen Regimewechsel in Russland machen. Ich sage: Viel Spaß dabei.“

Fazit des Talks bei Sandra Maischberger:

Ein bemerkenswerter Start ins neue Jahr. Die alte Diskussionskultur scheint zurückzukehren: Kontroversen erlaubt, Widerspruch ebenfalls. Franziska Giffey durfte sich sogar selbst widersprechen. Die Frage, ob ihre eigene Familie denn zu Silvester geböllert habe, erwischte sie auf dem falschen Fuß: Giffey stockte und gab zu. „Ja. Was man so macht. So wie ganz, ganz viele Berliner das gemacht haben. Feuerwerk, sachgerecht verwendet. Ein Silvester gefeiert, was Menschen kennen und auch mögen.“ Also ein klares Nein zu einem Böllerverbot. (Michael Görmann)

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