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Rettung für die Küken

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In Deutschland werden pro Jahr fast 50 Millionen männliche Küken direkt nach dem Schlüpfen vergast oder geschreddert, weil sie weder Eier legen noch schnell Fleisch ansetzen. Doch das Massen- töten soll jetzt ein Ende haben: Das Zauberwort heißt: Bruderhahn. Was steckt dahinter?

Die Zukunft der Hühnerhaltung

von T. Magenheim-Hörmann, h. Von Prittwitz und S. Sessler

Dasing/Unterrüsselbach – Geflügelbauer Johannes Breitsameter, 49, vom Einödhof Hohleneich in Dasing will, dass es seinen Küken gut geht. Er verwöhnt sie gerne. Der Kükenstall im Landkreis Aichach-Friedberg wird auf 35 Grad aufgeheizt. Am Boden liegt Stroh, und seine kleinen Tierchen bekommen vom ersten Tag an ein Sandbad zur Verfügung gestellt. Schöner kann kein Küken aufwachsen. Und noch was ist bei Bauer Breitsameter anders als in großen Teilen der restlichen Republik: Er schreddert keine männlichen Küken, und er vergast sie nicht. In der Legehennenhaltung ist das anders: Dort sind vor allem die Eier legenden Hühner wichtig, die männlichen Tiere gelten als nutzlos, weil sie zu langsam Fleisch ansetzen. Oft werden sie gleich nach dem Schlüpfen getötet. Fast 50 Millionen Küken ergeht es in Deutschland im Jahr so.

Johannes Breitsameter, der 12 000 Legehennen hat, bringt das nicht übers Herz: Stattdessen setzt er auf die Bruderhahn Initiative – und das aus Österreich stammende Masthuhn Sandy, eine Rasse, bei der auch Gockel gemästet werden können. Der Verbraucher finanziert in diesem Fall den Gockel mit – über drei Cent pro Ei, das es mehr kostet. Die Schwester sponsert so die Aufzucht des Bruders. Erhältlich sind die Eier bei Alnatura, im V-Markt in München, bei Feneberg, bei Edeka in München und in Dutzenden anderen Verkaufsorten. Die Bruderhahn-Eier erobern Oberbayern. Das Problem: „Fast keiner weiß, was damit gemeint ist“, sagt Bauer Breitsameter.

Das könnte sich schon bald ändern. Das millionenfache Kükenschreddern sorgt immer wieder für einen Aufschrei bei den Verbrauchern. Und jetzt hat auch der Bundeslandwirtschaftsminister den Schutz der Küken zur Chefsache erklärt. „Das Kükentöten muss endlich ein Ende haben. Das ist mir eine Herzensangelegenheit“, sagte Christian Schmidt (CSU) unserer Zeitung. „Um die Praxis zu beenden, setzen wir auf moderne Technik – neue Verfahren, bei denen schon im Ei bestimmt werden kann, ob aus einem Ei einmal ein männliches oder ein weibliches Küken schlüpfen wird.“ Auf der Grünen Woche in Berlin wird den Besuchern gerade bereits vorgeführt, wie das Verfahren geht. Bald soll es landesweit zum Einsatz kommen (siehe Interview unten).

Bis dahin und natürlich auch darüber hinaus braucht es Bauern wie Peter Schubert, um die Küken zu retten. Auch er macht bei der Bruderhahn Initiative mit. Er spricht mit Stolz in der Stimme über seine Tiere. „Der ist sportlich unterwegs, sitzt nicht nur rum wie ein Masthahn und ist weit weniger anfällig für Krankheiten“, sagt der fränkische Geflügelzüchter über einen seiner Gockel. Auch als Laie erkennt man: Schuberts Gockel sind drahtig – nicht fett. Und eigentlich dürfte es sie ebenfalls nicht geben. Doch dank der Bruderhahn-Idee dürfen sie weiterleben. Der Bio-Züchter aus Unterrüsselbach bei Nürnberg erklärt das Prinzip: Seine Eier kommen von einer auf Fruchtbarkeit gezüchteten Henne. Fruchtbar ist eine Henne, wenn sie viele Eier legt. Dazu muss sie schlank sein. Schlank sind dann auch ihre männlichen Geschwister, was in der industriellen Tierhaltung einem sofortigen Todesurteil gleichkommt. Denn die kennt nur zwei Sorten von Geflügel: solches, das viele Eier legt und solches, das schnell dick wird und sich billig mästen lässt. Ersteres wird zur Legehenne, letzteres nach 35 Tagen Hochleistungsmast gewinnbringend geschlachtet. Was dabei übrig bleibt, sind die Brüder der Legehennen, die Bio-Züchter wie Schubert großziehen.

„Das dauert 18 bis 20 Wochen und für ein Kilo Schlachtfleisch brauche ich vier Kilo Futter“, erklärt er. Die einfache Rechnung, warum das nicht jeder so macht: Bei speziell gezüchteten Masthennen reichen dagegen 1,8 Kilo Futter für ein Kilo Fleisch. So gesehen sind Legehennen-Brüder völlig unwirtschaftlich. Diese Berechnung bricht die Bruderhahn-Initiative, gegründet vom Bio-Geflügelspezialisten Carsten Bauck sowie den Bio-Verbänden Bioland und Demeter, auf.

Schubert kann sich noch gut an die Hühnerzucht seines Großvaters erinnern. Alte Hühnerrassen, wie es sie heute kaum noch gibt, sind damals dort herumgeflattert. Auf jährlich 200 bis 240 Eier haben sie es gebracht. Dann kamen in den 60er- und 70er- Jahren große Zuchtkonzerne mit Spezialzüchtungen, die heute die Ställe dominieren – und es auf bis zu 320 Eier jährlich bringen. Ihr zweites Zuchtziel galt schnell wachsenden Masthühnern mit viel Fleisch und vielen Eiern. Opa Schuberts Huhn, das beides lieferte, wurde ausgemustert.

Das hat allerdings seinen Preis, auch wenn Eier und Fleisch immer billiger wurden. Zum einen ist die damit Hand in Hand gehende Massentierhaltung nicht jedermanns Sache. Zum anderen braucht industrielles Hochleistungsgeflügel auch spezielles Hochleistungsfutter und es wird leichter krank als ihre Vorfahren. Dazu kommt der Geschmack moderner Masthühner. „Ein Masthuhn schmeckt nach dem, was man als Gewürz draufstreut, ein Bruderhahn schmeckt nach Geflügel“, sagt Schubert. Viele würden echten Geflügelgeschmack gar nicht mehr kennen. Das Fleisch sei dunkler, fester und man müsse es langsam garen. Schubert verarbeitet sein Bruderhahn-Fleisch auch zu Wurst, Frikassee oder Geschnetzeltem, das er in Gläser abfüllt. Das erfordert keine Kühlung und macht den Handel damit einfacher.

Sterben müssen die Hähne aber trotzdem. Bei Bauer Breitsameter aus Dasing nach etwa zehn Wochen, bei Schubert nach bis zu 20 Wochen. 18 000 dieser kleinen Flauschkugeln hat er voriges Jahr das Leben per Aufzucht verlängert. 25 000 Küken sollen es dieses Jahr werden. Schuberts Ziel ist es, einmal gar keine seiner jährlich 60 000 männlichen Küken mehr aussortieren zu müssen. Noch besser wäre es, wieder das sowohl zum Eierlegen als auch zum Schlachten taugende Federvieh seines Großvaters zu haben, findet Schubert. Zweinutzungshuhn heißt so etwas heute. Idealerweise sollte es aus Bio-Sicht ohne spezielles Hochleistungsfutter auskommen und fressen, was in bäuerlicher Umgebung wächst. Die Agrarforschung hat sich dem angenommen.

Bis es so weit ist, kostet das verlängerte Leben eines Bruderhahns den Verbraucher ein paar Cent mehr pro Ei. Bauer Breitsameter sagt über seine Sandy-Eier: „Sie sind cremefarben. Da weiß der Verbraucher gleich, woran er ist.“ Aber der Landwirt sagt auch: „Im Supermarkt sind wir das 16. Ei, das im Regal steht.“

Sprich: Die Konkurrenz ist groß – und die Kunden haben es selbst in der Hand. Es ist einfach, die Bruderhahn-Initiative gut zu finden, aber man muss die teureren Eier halt auch kaufen.

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