„Absolute Realitätsausblendung“: Röttgen beklagt deutschen Alleingang in Panzerfrage

Keine Lieferung von Kampfpanzern: Bei Sandra Maischberger rügt Norbert Röttgen das Zögern von Scholz – und gerät dabei mit SPD-Mann Stegner aneinander.
Köln – Überraschend nüchterne Worte zu einem Drama im Ukraine-Krieg: „Das ist der Alltag“, sagt der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland, inzwischen Vizeaußenminister seines Landes, Andrij Melnyk im Polit-Talk „Maischberger“ im Ersten. Es geht dabei um den Hubschrauber-Absturz bei Kiew, in dem unter anderem der Innenminister Denys Monastyrskyj und 16 weitere Menschen, darunter ein Kind, ums Leben gekommen sind.
Sandra Maischberger (ZDF): Andrij Melnyk nennt Hubschrauberabsturz in Ukraine-Krieg eine Tragödie
Neben dem Innenminister war auch sein Stellvertreter Jewhenij Jenin an Bord, mit ihm war Melnyk laut eigener Aussage befreundet. „Wir haben uns noch vor ein paar Tagen getroffen“, so Melnyk. Seine Frau sei „nicht zu trösten“, eine „Tragödie“, berichtet Melnyk trocken. Zu den Ursachen des Helikopterabsturzes im Ukraine-Krieg kann Melnyk keine neuen Erkenntnisse beisteuern: „Es war ein neuer Helikopter, ein erfahrener Pilot – wir hoffen, dass da keine Sabotage dahintersteht.“ Ausschließen könne man sie aber derzeit nicht vollends.
„Maischberger“ – diese Gäste diskutierten mit:
- Dr. Norbert Röttgen (CDU) - Außenpolitiker
- Ralf Stegner (SPD) - Mitglied im Deutschen Bundestag
- Dr. Andrij Melnyk - Vize-Außenminister der Ukraine, zugeschaltet
- Natalie Amiri - „Weltspiegel“-Moderatorin
Panzer und Waffenlieferung für die Ukraine: Melnyk pocht bei Maischbergeer auf Durchgreifen von Pistorius
Melnyk soll seine Meinung zum neuen deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius verlauten und bleibt auch bei diesem Thema trocken: Er hoffe, dass „Herr Pistorius die Zeitenwende tatsächlich umsetzen kann“, formuliert der Diplomat spitzfindig. Er appelliert an die Gründung einer europäischen und transatlantischen „Panzer-Allianz“, in der „Deutschland eine führende Rolle spielen“ könnte.
Melnyk erinnert an den Beschluss des Bundestags vom vergangenen April, der die Lieferung von schweren Waffen für die Ukraine vorsieht und geht noch einen Schritt weiter: Neben Panzern brauche die Ukraine „auch Kampfjets“, so der Vizeaußenminister, „Tornados, die ausgemustert und durch F-35 ersetzt werden“ könnten. Sie könnten entscheidend dazu beitragen, die russischen Truppen zu verdrängen.
Bislang sei das Problem, dass noch nicht einmal dieser Beschluss durchgesetzt worden sei: „Ich wurde im Verteidigungsministerium sehr oft von Pontius zu Pilatus geschickt.“ Es sei immer erzählt worden: „Wir haben nichts mehr oder die Bundeswehr ist marode“, so Melnyk. Doch wenn dann „Insiderinformationen aus der Bundeswehr“ gekommen seien, habe man plötzlich „etwas gefunden und auch geliefert“. Seit März, so ist Melnyk überzeugt, hätte die Rüstungsindustrie den Leopard-1-Panzer liefern können. Der Ukrainer: „Doch das wurde politisch blockiert.“
Debatte um Kampfpanzer: Norbert Röttgen prognostiziert Ende der „Politik des Zauderns“ von Olaf Scholz
Die Vorrede Melnyks ist Steilvorlage für CDU-Politiker Norbert Röttgen, der seit Monaten für mehr militärische Hilfen für die Ukraine appelliert. Röttgen wagt in der Sendung eine Prognose: „Ich wage den Tipp, dass die Panzerfrage vor dem Ramstein-Treffen am Freitag, also sagen wir mal: morgen gelöst und entschieden wird“. Scholz, so der Außenpolitik-Experte weiter, werde seinen neuen Minister, nicht „mit der sicherheitspolitischen Hypothek des Zauderns“ in sein Amt schicken. Röttgen weiter: „Die Isolierung Deutschlands ist inzwischen so weit fortgeschritten“, dass der Kanzler seine Position nicht mehr halten könne.
Röttgen zur Seite gesetzt wurde als Gegenpart der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner vom linken Flügel der SPD, der Röttgens Ausführungen harsch begegnet: Von Isolation könne „überhaupt keine Rede sein“, so Stegner und zählt auf: Schützenpanzer Gepard, Brückenlegepanzer und Mehrfachraketenwerfer. Und an Röttgen gewandt: „Das sind doch Märchen, die sie hier erzählen!“ Röttgen bleibt cool: „Es ist ein deutscher Alleingang!“ Als Stegner erneut an die Decke geht, wendet sich Röttgen ans Publikum: „Absolute Realitätsausblendung!“
Pistorius statt Högl als Verteidigungsminister: Bei der Paritätsfrage schlingert Stegner bei Maischberger
Von Moderatorin Sandra Maischberger wird Stegner bissig in die paritätische Mangel genommen – wegen des gebrochenen Versprechens des Kanzlers bei der Besetzung des Verteidigungsministeriums: „Warum Pistorius und nicht Eva Högl?“ Die SPD-Politikerin gilt als ausgesprochen versiert in Sachen Verteidigungspolitik. Schließlich, so beharrt Maischberger, hätte Olaf Scholz zum Amtsantritt Parität in Sachen Geschlechter versprochen.
Doch Stegner lenkt vom Thema ab: „Dass die Gleichstellung bei uns eine deutlich größere Rolle spielt als bei Herrn Söder und der CSU, das ist so“, behauptet er freimütig, konterkariert sich mit seiner nachfolgenden Aussage aber selbst: Pistorius, so führt er aus, sei der „richtige Mann“, denn er habe „Persönlichkeit“, „Durchsetzungsstärke, Empathie für die Soldatinnen und Soldaten und Autorität“, das, was gebraucht werde. Maischberger hebt die Augenbraue und ihr Blick spricht Bände: Eva Högl hat das somit alles nicht?
ARD-Korrespondentin berichtet von Folter und Vergewaltigungen in iranischen Gefängnissen
Im zweiten Teil der Sendung berichtet die engagierte ARD-Korrespondentin Natalie Amiri vom brutalen Vorgehen der iranischen Regierung, „um die Menschen zum Schweigen zu bringen“. Über 20.000 Protestierende seien inzwischen inhaftiert worden. Dort würden viele Opfer von Folter und Vergewaltigungen. „Das Regime möchte die Menschen brechen“, so Amiri.
Umso überraschender sei es, dass Menschen weiter massenhaft auf die Straße gehen, obwohl sie damit ihr Leben riskierten. Deutschland müsse daher der islamistischen Führung in Teheran mehr Widerstand bieten und eine Abkehr der Außenpolitik vom iranischen Lobbyismus. Amiri: „Man muss die Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste setzen.“ Eine Befreiung des Irans hätte auch für die internationale Staatengemeinschaft positive Folgen: „Kein Geld mehr für Hamas und Hisbollah, kein Krieg mehr im Jemen, kein Assad, kein verlängerter Arm Russlands und Freundschaft mit Israel.“
Fazit des „Maischberger. Die Woche“-Talks
Mehr Waffen an die Ukraine, mehr Härte gegenüber der iranischen Regierung. Keine neuen Ideen, die in der Sendung gefordert und verkündet wurden. Die Hintergründe für ein politisches Verhalten, das einer einfachen Moral nicht folgt, wurden aber nicht thematisiert. So brachte die Sendung vor allem, was vielen schon bekannt ist. (Verena Schulemann)