Maischberger bauchpinselt Lindner – und bringt ihn dann aus dem Konzept: „Ich weise das zurück!“

Ist der Streit in der Ampel größer als bisher angenommen? Christian Lindner soll bei „Maischberger“ die Hintergründe darlegen – und hält sich bedeckt.
Berlin – Sandra Maischberger will in ihrem ARD-Talk am Mittwoch (19. Oktober) das Kanzler-Machtwort in all seiner Rätselhaftigkeit aufklären: Finanzminister Christian Lindner (FDP) ist als Gast geladen und soll die Hintergründe der per Richtlinienkompetenz durchgeboxten AKW-Laufzeitverlängerung darlegen.
Lindner tut sich aber schwer, die Entscheidung als Gewinn für die FDP zu verbuchen: „Die Ampel ist stabil“, befindet er. Scholz habe lediglich „einen schleppenden Prozess beendet“. Viel mehr verrät Lindner aber nicht. Er versichert nur, das Schreiben des Kanzlers sei ihm vor der Veröffentlichung bekannt gewesen sei.
In der Experten-Runde der Sendung gibt es diesmal ausschließlich Lob für Olaf Scholz, wenn auch leicht verklausuliert. Welt-Herausgeber Stefan Aust urteilt wohlwollend: „Das ist ein Zeichen von verspäteter Stärke. Das hätte er schon früher machen müssen.“ taz-Korrespondentin Ulrike Herrmann stimmt zu. Scholz habe gezeigt, dass er wie Angela Merkel „von hinten führe“. Das bedeute, zunächst zu schauen, wo die Mehrheiten in der Bevölkerung liegen – und danach so zu entscheiden, dass alle Beteiligten „ihr Gesicht wahren“ könnten. Das „sei ein Führungsstil mit Zukunft“, so Herrmann, denn so wachse die Akzeptanz aller Partner für Scholz als Anführer.
„Maischberger“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Christian Lindner (FDP) - Bundesfinanzminister und Parteivorsitzender
- Omid Nouripour (Die Grünen) - Parteivorsitzender
- Nargess Eskandari-Grünberg (Die Grünen) - Frankfurter Bürgermeisterin
Als Experten:
- Stefan Aust - Welt-Herausgeber
- Ulrike Herrmann - Wirtschaftskorrespondentin der taz
- Jessica Berlin - Inhaber und Gründerin des Think Tanks CoStruct
Aust schränkt ein, die Entscheidung sei aber auch nicht schwer zu treffen gewesen: „Drei laufende Atomkraftwerke abzuschalten wäre wie eine Sabotage gewesen“, befindet er: Von den drei Ministern hätte man eigentlich „erwarten“ können, dass sie „sich nicht von den vermuteten ideologischen Vorstellungen ihrer Parteifreunde“ beeinflussen lassen. Nach Fukushima, meint Aust, habe es in der Bevölkerung großen Rückhalt für einen Atom-Ausstieg gegeben. Das habe sich angesichts der Energiekrise wieder in die andere Richtung entwickelt.
Maischberger schmeichelt Lindner – und bringt den FDP-Chef mit „Trickserei“-Vorwurf aus der Facon
In Maischbergers Interview mit Lindner spielt die internationale Situation nur unterschwellig eine Rolle. Die Moderatorin versucht den FDP-Chef mit Bauchpinseleien zu fassen zu kriegen. Sie fragt Lindner zunächst nach seinem „Erfolgsgeheimnis“ – konterkariert die Antwort mit einem Nachhaken zu den Wahlverlusten der FDP bei den Landtagswahlen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. „Meine Prioritätensetzung ist, dass jetzt zuerst einmal Gutes fürs Land bewirkt werden muss“, bleibt Lindner cool. Er sei sich sicher, dass im „Voranbringen unseres Landes“ und durch das „Stärken der Menschen“ auch der „Erfolg der FDP“ kommen werde.
Gereizt reagiert Lindner dagegen, als Maischberger ihm ein „Tricksen“ vorhält – weil der Minister einerseits an seiner „Schuldenbremse“ festhalte, konträr dazu aber dem 200 Milliarden Euro schweren Sondervermögen zugestimmt habe. „Ich weise zurück, dass ich trickse“, meckert er und moniert: „Die Wählerinnen und Wähler dürfen gerne einen anderen wählen, wenn sie glauben, es geht jemand anderes besser mit ihrem Geld um.“ Er selbst stelle sich seiner Entscheidung, so Lindner und stellt klar - ohne allerdings Ross und Reiter zu nennen - dass er „dafür gute Gründe“ habe.
Energiekrise bei „Maischberger“: Lindner will „heimische Öl- und Gasvorkommen in den Blick“ nehmen
Entspannter reagiert Lindner als Maischberger die Option in den Raum stellt, die AKW auch nach April 2023 weiterlaufen zu lassen. Eine Forderung, die die FDP nach den Wahlschlappen ganz oben auf die Agenda gesetzt hatte. Der Minister wiegelt ab. „Diese Diskussionen, die wir geführt haben, möchte ich kein zweites Mal führen.“ Er gibt zu: „Wenn ich hätte allein Entscheidungen treffen können, hätten wir zumindest neue Brennstäbe hingestellt“ – wenn auch nur „als Reserve“, die man bei Nichtgebrauch auch wieder hätte verkaufen können. Lindner appelliert an einen „ideologiefreien Blick“, um „gut durch diesen und den nächsten Winter kommen“ und fordert auch, die „heimischen Öl- und Gasvorkommen in den Blick“ zu nehmen.
Im zweiten Teil des Talks geht es um Deutschlands Positionierung zu den Protesten und folgenden Repressionen im Iran. Der deutsch-iranische Grünen-Parteichef Omid Nouripour, der mit 13 Jahren nach Deutschland kam, und seine Parteikollegin und Frankfurter Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg, ebenfalls iranischstämmig, schildern ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Regime im Iran.
Iran: Grünen-Politiker schildern ihre bedrückenden Erlebnisse mit dem Evin-Gefängnis in Teheran
Nouripour schildert, mit sechs Jahren sei er eine ganze Nacht vor dem berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran gestanden, während dort sein minderjähriger Onkel hingerichtet worden sei – nachdem er politische Flyer verteilt hatte. Eskandari-Grünberg saß selbst nach eigenen Angaben für anderthalb Jahre dort in Haft, nachdem sie an Demonstrationen teilgenommen hatte. Bei Maischberger schildert sie die Zustände: Sie sei mit 70 anderen Frauen auf 70 Quadratmetern eingesperrt gewesen, sei gefoltert worden und habe im Gefängnis auch ihre Tochter zur Welt bringen müssen: die Schauspielerin Maryam Zaree. Nächtelang sei sie Zeugin von Hinrichtungen gewesen, 1985 floh sie schließlich nach Deutschland. Dass Deutschland vor diesem Hintergrund Geschäfte mit dem Iran mache, lasse sie „fassungslos“ zurück, sagt Eskandari-Grünberg.
Auch Nouripour übt Kritik an der iranischen Führung: „Es braucht massiven Druck auf dieses Regime“, sagt der Grünen-Chef, er fordert stärkere Sanktionen und verurteilt die iranischen Drohnenlieferungen an Russland, die Putin zur Zerstörung der Ukraine einsetze: „Alle, die gezögert haben, mögen in den Himmel über Kiew schauen“, appelliert Nouripour. Eskandari-Grünberg stimmt zu. „Wir können nicht den Atomdeal gegen Menschenrechte abwägen“, mahnt sie hinsichtlich des Atomabkommens mit dem Iran.
Fazit des „Maischberger. Die Woche“-Talks
Wenig Neues zum Richtlinienkompetenz-Machtwort aus dem Bundeskanzleramt. Christian Lindner hält sich bedeckt. Hoch emotional sind dagegen die Schilderungen des deutsch-iranischen Grünen-Politiker-Duos Nouripour und Eskandari-Grünberg, das eine Verschärfung in der Außenpolitik fordert. (Verena Schulemann)