Wie und wo wird der Krieg entschieden? Melnyk und Masala sind sich einig – Putin „kein guter Feldherr“

Zu viel Stoff für eine Stunde: Beim Ukraine-Waffentalk blieben die Inflation und König Charles etwas auf der Strecke. Zum Glück waren sich fast immer alle einig
Berlin – Die neuesten Nachrichten aus der Ukraine, wonach die russische Armee schon fast den Krieg verloren haben soll, stellt Sandra Maischberger gleich zu Beginn infrage. „Man versteht es nicht ganz.“ Schauspieler Walter Sittler hat eine ganz klare Meinung: „Erst muss die Ukraine ihre Gebiete wiederbekommen.“ Erst dann könne man über weitere Schritte reden. Journalistin Hannah Bethke findet es „zu früh, von einer Wende zu sprechen. Meine Hoffnung ist eher klein“. Ihr ARD-Kollege Stephan Stuchlik sieht es positiv: Die Rückeroberung von Gebieten sei „ein enormer psychologischer Schlag gegen das Putin-Regime“.
Mit Sandra Maischberger diskutierten diese Gäste:
- Hannah Bethke (Journalistin, Zeit Online)
- Anthony Glees (Politologe)
- Carlo Masala (Militärexperte, Metis Institut, Professor für Internationale Politik)
- Andrij Melnyk (ukrainischer Diplomat)
- Stephan Stuchlik (Journalist, ARD, Ex-Russland-Korrespondenz)
- Walter Sittler (Schauspieler)
Sittler fordert, dass Deutschland jetzt so viele Waffen wie möglich liefern muss, „damit es möglichst schnell geht“. Er, der selbst einmal einen Bundespräsidenten spielte, ist sich sicher, dass genau dies jetzt geschehen wird. Bethke kritisiert „die eindimensionale Debatte“ in diesen Tagen. „Wenn man etwas relativiert, wird man schnell in die Ecke gedrängt, Putin-Propagandist zu sein“. Sie fürchtet eine Eskalation. „Wie lange sollen wir denn noch Waffen liefern? Und ist es dann nicht auch so, dass die westlichen Staaten zu einer Kriegspartei werden?“
Dieses Risiko müsse benannt werden dürfen. Stuchlik stimmt ein. „Das ist der Elefant im Raum. Inwiefern werden wir Kriegspartei? Ich halte das für eine berechtigte Sorge vieler Menschen.“ Die Gefahr eines dritten Weltkriegs sei groß – „möglicherweise ein Atomkrieg“. Auch Sittler sieht die Gefahr: „Spanien liefert, Dänemark liefert, die USA liefert. Das sind doch alles mögliche Angriffsziele von Russland. Warum wir nicht?“
Maischberger (ARD): Warum kann Scholz plötzlich mit Putin telefonieren?
Warum könne der Kanzler jetzt plötzlich mit Putin telefonieren, will Maischberger im Gegenzug wissen, der doch angeblich gar nicht gesprächsbereit sei. Und mehr noch: „Wir hören, was er ihm gesagt hat. Aber wir wissen nicht, was Putin geantwortet hat.“ Warum erfahre man das nicht? Stuchlik betont, dass der eingeschränkte Medienkonsum einem System immer helfe. Klar sei, dass Putin dort mehr Zuspruch finde, „wo Leute nur das Fernsehen als Informationsquelle haben“.
„Natürlich sind wir indirekt Kriegspartei“, gibt Waffenexperte Carlo Masala zu. Einen Nuklearschlag auf Kiew hält er allerdings für unwahrscheinlich. Und der scheidende ukrainische Botschafter Andrij Melnyk appelliert: „Es lohnt sich, uns weiterhin zu unterstützen.“ Was aber, wenn Putin taktische Atomwaffen oder chemische Waffen einsetzen würde, will Sandra Maischberger wissen. Masala lenkt ab: Schon im Afghanistan-Krieg sei das größte Problem der Russen die große Zahl der Deserteure gewesen. Melnyk stimmt ein: „Putin ist kein guter Feldherr, wie man sieht.“ Melnyk und Masala sind sich einig. Minutenlang geht es jetzt nur noch um die Frage, was besser hilft, Schützenpanzer oder Kampfpanzer oder Schützen- und Kampfpanzer zusammen. Die Diskussion verliert sich in militärischen Details.
Melnyk kritisiert Verteidigungsministerin Lambrecht: „sehr widersprüchlich“
Masala will, dass die Russen jetzt „keine neue Verteidigungslinie aufbauen können“. Dafür müsse man sie mit Infanterie in Bewegung halten. Melnyk kritisiert derweil die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht: Ihr Verhalten sei „sehr widersprüchlich“. Er appelliert weiter: „Richtig ist, die Ukraine mit allem zu unterstützen, wo es nur geht.“
Maischberger ist skeptisch: Jeder weitere Kampfpanzer könne auch die Verluste der ukrainischen Armee erhöhen. Masala lässt das nicht gelten. Er will Frieden schaffen durch schwere Waffen: Sonst „hätten wir noch mehr vergewaltigte Frauen und mehr tote Ukrainer“. Auch Melnyk zeigt sich kämpferisch: „Ich teile die Meinung von Herrn Masala. Man muss auf dem Schlachtfeld die Voraussetzungen schaffen.“
Maischberger kritisiert Melnyk für die vielen Beleidigungen, mit denen er während seiner Amtszeit Menschen beworfen hat, deren Meinung er nicht teilte, und sie zählt ein paar auf. „Klappe halten, erbärmliche Loser, Arschloch.“ Das alles sei „nicht kalkuliert“, rechtfertigt sich Melnyk, aber Maischberger nimmt ihm das nicht ab: „Auf Twitter. Dann steht da ‚Fuck off‘. Mal im Ernst.“ Melnyk aber sieht sein Twittern als Kampf ums Überleben. „Ein Hilferuf“ sei das. „Wenn jemand ertrinkt, dann ist man nicht höflich, dann muss man schreien.“
Journalistin Bethke kritisiert „ziemlich ausgeprägte Jammer-Mentalität“ der Deutschen“
Unnachgiebig gibt sich Journalistin Bethke beim harten Themenschwenk: Warum 49 Prozent aller Bundesbürger finden, es gebe zu wenig Entlastung bei der explodierenden Inflation. Sie bezeichnet das als „ziemlich ausgeprägte Jammer-Mentalität“ der Deutschen. „Es wird so viel getan, um die Bürger zu entlasten. Wir sind in einer sehr komfortablen Situation. Das finde ich eine recht verwöhnte Haltung. Es ist eine Krisensituation, und die erfordert auch, dass wir uns alle anstrengen.“ Sittler warnt: Viele Menschen würden mit ihrem letzten Geld nicht mehr über die Runden kommen – „auch wenn sie 40 Stunden arbeiten, sie verdienen nicht genug.“ Diese Menschen müssten „einfach sehr viel mehr bekommen als alle anderen, und das passiert aber nicht.“
Beim nächsten harten Themenschwenk sind sich alle einig. Die Kernkraftwerke dauerhaft weiterlaufen zu lassen, findet keine Fürsprecher. Für Schauspieler Sittler ist ohnehin klar: „Wir werden sie im Zuge des Klimawandels nicht mehr kühlen können. Wenn das stimmt.“
Fazit des Talks bei Sandra Maischberger:
Man mag den Themenmix bunt nennen oder absurd, aber bemerkenswert war er allemal. Ukrainekrieg, Laufzeiten der Kernkraftwerke und obendrauf noch König Charles. Dabei wurde das wichtigste Thema der Deutschen nur am Rande gestreift: die explodierende Inflation. Sätze wie „Ich teile Ihre Meinung“, das zeigte sich an diesem Abend einmal mehr, sind Gift für jede Talkshow. (Michael Görmann)