Talk zum Abschied von Elisabeth II.
ARD-Trauer-Talk für die Queen? Lobo haut früh dazwischen – und rügt royale „Massenmörder“
Nach dem Staatsbegräbnis der Queen diskutiert Frank Plasberg Sinn und Zweck von Königshäusern. Ein Gast wird deutlich - ein anderer verteidigt Charles‘ Wutanfall.
Berlin – „Die Königin ist tot! Lang lebe der König?“ Die Welt ist in Trauer über eine Frau, die mit 96 Jahren in England verstarb. Normalerweise keine Sensation, doch besagte Frau war Queen Elizabeth II., die Rekord-Königin – keine war so lange in Amt und Würden wie das 1926 geborene Haupt der Windsors. Und sie war die erste Königin, deren Regentschaft und Leben durchgehend von den Medien begleitet wurde. Nun muss der neue König Charles III. ein schweres Amt antreten. In einem Alter, in dem andere Menschen längst in Rente sind.
Der „Hart aber fair“-Talk im Ersten läuft im direkten Anschluss an das ARD-Extra zur Beerdigung der Queen in London. Doch eine Jubel-Sendung auf die Königin ist es nicht. Moderator Frank Plasberg hat die Kritiker-Brille auf, er fragt seine Gäste: „Der Queen-Abschied: Warum immer noch der Kult um Königshäuser?“
Lobo übt drastische Kritik an Monarchie: Positiver Bezug zu „Massenmödern“
Autor Sascha Lobo findet gleich zu Beginn der Sendung drastische Worte: „Aus meiner Sicht beinhaltet Monarchie auch immer, dass man sich positiv auf Massenmörder bezieht!“ Lobo bezieht sich auf die Gräueltaten, die im Zeitalter des Imperialismus von der einstigen Weltmacht Großbritannien ausgingen – aber auch im eigenen Land stattfanden, etwa im Nordirland-Konflikt.
Lobo erklärt weiter: „Unter den Vorfahren von Königin Elisabeth fanden sich eine ganze Reihe von Menschen, die furchtbare Verbrechen begangen haben.“ Diese hätten sich am Sklavenhandel und Kolonialismus bereichert und einen Rassismus etabliert, mit dem diese Gräueltaten über Jahrhunderte gerechtfertigt worden seien. „Die Queen“, sagt Lobo bestimmt, habe es „in siebzig Jahren nicht geschafft“, sich „maßgeblich zu entschuldigen für die Verbrechen, die von dem System ausgegangen sind, das sie repräsentiert“.
„Hart aber fair“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Katarina Barley (SPD) - deutsch-britische Vizepräsidentin des Europäischen Parlamentes
- Mareile Höppner - Moderatorin des ARD-Magazines „Brisant“
- Bertram Graf von Quadt zu Wykradt und Isny - Jagd-Experte und Autor, zugeschaltet
- Sascha Lobo - Kolumnist und Autor
- James Hawes - britischer Autor
Der deutsche Adelige Bertram Graf von Quadt zu Wykradt und Isny ist nicht so streng und verweist auf die britische Verfassung, die dem Königshaus wenig Spielraum gebe: „Die Queen kann letztlich nur machen, was ihr die Regierung vorgibt.“ Er verweist auf die Rede 2011 in Dublin, in der die Königin „im fließenden Gälisch“ zur Versöhnung aufgerufen habe. Eine Entschuldigung war trotz der damals an sie gestellten Erwartungen allerdings nicht erfolgt.
Als „reichste Frau der Welt“ galt die Queen zum Zeitpunkt ihrer Krönung 1953 und auch noch in den Jahrzehnten danach. Doch inzwischen sind der Reichtum der Krone, des Commonwealth und auch der ihres Landes deutlich verblasst. „Die meisten Briten“ seien noch nicht „bereit, der Wahrheit ins Auge zu schauen“, sagt der britische Autor James Hawes. „Die Queen war der letzte Faden, der uns mit unserer glorreichen Vergangenheit verknüpfte“, analysiert er die Treue seiner Landsleute zum Königshaus. Noch gebe es ein Bedürfnis, zu sein, „was wir einst waren“. Doch die „alten Zeiten sind vorbei“, konstatiert Hawes nüchtern. Lobo sieht in dem Festhalten am Alten eine Gefahr für die Demokratie und analysiert: „Durch die Überhöhung der Vergangenheit“ höre man auf, „genau in der Gegenwart hinzuschauen“.
Englischer Talk-Gast vergleicht Landsleute mit Russen: Viele glauben an Verschwörung
Auch die Bedeutung und die Folgen des Brexit hätten die meisten Engländer nicht verstanden, ist sich Hawes sicher: „Wir sind wie die Russen“, vergleicht er für deutsche Verhältnisse sehr pauschalisierend. „Sehr viele glauben, dass ihnen zu Unrecht von irgendeiner Verschwörung ihre Sonderrechte genommen wurden.“ EU-Abgeordnete Katarina Barley kann sich einen Zwischenruf nicht verkneifen: „Von der EU - wenn sie es genau wissen wollen!“ Die Tochter eines Briten, der allerdings, so Barley, „eine gewisse Distanz zum System und auch zum Königshaus“ hat, gibt zu, dass ihre Familie von der Todesnachricht „emotional berührt“ gewesen sei. Bewunderung hat sie für die Disziplin der Queen übrig, die „siebzig Jahre lang einen Knochenjob durchgehalten“ habe.
Zum Thema Brexit hat Moderator Plasberg eine Idee: „Wäre das nicht eine historische Gelegenheit für König Charles, dass er vorangeht, vielleicht das Königshaus auf Rot oder auf Schwarz setzt und dieses Land nach Europa zurückführt?“ Doch dem Wunschdenken macht die Runde schnell den Garaus. „Eine historische Leistung“, die aber auch „einen historisch einmaligen Verfassungsbruch“ darstelle, so Quadt. Kurzum: „Er darf das nicht!“ Barley stimmt zu: „Er hat nicht die Legitimation. Er ist nicht gewählt.“
Wenig Sympathie in der Runde für König Charles III.: Arroganter Ausdruck
Für König Charles III. zeigt die Runde wenig Sympathien. Hawes erinnert an die abgehörten Telefonate mit der inzwischen zur Königsgemahlin aufgestiegenen Camilla, bei denen Tampons eine Rolle spielten. Auch den Mangel an „Selbstbeherrschung“, wie Moderator Plasberg es nennt, die seine Mutter so ausgezeichnet habe, habe bei Charles bereits in den letzten Tagen für Medienwirbel gesorgt. Er war unter anderem wegen eines ausgelaufenen Stiftes wütend geworden.
Während Lobo in dem Verhalten „toxische Elemente“ erkennen will, kommt für Barley eine befremdliche „Arroganz zum Ausdruck“. Von Quadt urteilt gnädiger über den 73-Jährigen. „Das ist ein Mann, der gerade seine Mutter verloren hat“, wirft er vom Bildschirm ein. Man werfe den Royals immer vor, sie seien „so unnahbar, so kalt, sie menscheln nicht“, sagt der Bayer. Dann tun sie es, „und dann ist es auch wieder nicht recht!“ Es sei ungerecht, Charles mit seiner Mutter vergleichen zu wollen. Diesem Vergleich hielte niemand stand.
Plasberg versucht sich trotzdem am Vergleich und zeigt eine Straßenumfrage aus Bochum. Thema: Leitfigur für die Deutschen. Just Greta Thunberg schneidet bei der spontanen Befragung am besten ab. Quadt befindet: „Monarchie? Wir haben das im 20. Jahrhundert ausprobiert, mit solitären Führungsfiguren. Das hat nicht funktioniert. Das sollten wir bleiben lassen.“ Moderatorin Mareile Höppner kann dem monarchischen Spektakel der Landesnachbarn dennoch etwas abgewinnen: „Es gab ein großes Wir-Gefühl“, findet sie. „Weil da jemand überdauert in einer Gesellschaft, die immer herausfordernder wird.“ Vom Punker bis zum Banker - die Menschen seien zumindest in der Frage der Queen „einig“ gewesen.
Fazit des „Hart aber fair“-Talks
Der Talk bot ein kritisches Gegenstück zu den spektakulären Ereignissen rund um die Beerdigung der Queen und hob ein wenig das Sargtuch an. Pietätlos wurde es nicht. Die Kritik blieb sachlich und war wichtig für das Verständnis des neuen Königs und seiner Rolle. (Verena Schulemann)