„Hart aber fair“
Bei Plasberg: Spahn schließt Tempolimit nicht mehr aus – Lindner beharrt auf Tankrabatt
Bei „Hart aber fair“ ging es um die massiven Preissteigerungen, die Corona und der Ukraine-Krieg verursachen. Welche Mittel hat die Politik, dem zu begegnen?
Bei „Hart aber fair“ ging es um die massiven Preissteigerungen, die Corona* und der Krieg in der Ukraine* verursachen. Welche Mittel hat die Politik, dem zu begegnen?
Es sei ein „Dilemma“, in dem sich Deutschland energiepolitisch befinde, sagt der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Thomas Kutschaty ohne Umschweife. Der SPD*-Mann bezeichnet die neuen Liefergeschäfte mit Katar sowie den Vereinigten Arabischen Emiraten im Vergleich mit Russland als „Wahl zwischen zwei Übeln“. Jedoch sei dies ein notwendiger Schritt, so Kutschaty, weil man „nun nicht zusehen“ könne,“ wie unser Land sich zu Grunde richtet“.
Ukraine-Krieg: Spahn will Abkehr von Russlands Gas - „putinfrei“
Die Runde ist sich einig: Die Abkehr vom russischen Gas - „putinfrei“ wie Jens Spahn*es nennt - ist die neue Zielvorgabe. Dafür gibt es auch neue Regeln, die Kutschaty auf den Punkt bringt: „Der ursprüngliche Grundsatz, wer mit uns Handel treibt, der kann nie Gegner sein, gilt nicht mehr.“
Vor einem Monat hatte Frank Plasberg das Energie-Thema aufs Tableau gesetzt, doch wegen des Einmarsches der russischen Truppen in die Ukraine kurzerhand durch die aktuelle Kriegsthematik ersetzt. Damals versprach er den Zuschauern aber: „Das Thema holen wir nach!“
Ging es im Februar ursprünglich noch um die steigenden Heizkosten und den Preisanstieg bei Lebensmitteln*, sind nun auch die explodierenden Benzinpreise dazugekommen - und zudem eine grundlegend neue geopolitische Bewertung: „Der Krieg und die Folgen für uns: Wird Energie unbezahlbar?“, will Plasberg wissen.
„Hart aber fair“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Christian Lindner (FDP*) - Bundesfinanzminister
- Thomas Kutschaty (SPD) - Stellv. Bundesvorsitzender
- Jens Spahn (CDU*) - Stellv. Fraktionsvorsitzender
- Prof. Claudia Kemfert - Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)
- Ulrich Reitz - Chefredakteur von Focus
- Susanne Holtkotte - Reinigungskraft im Krankenhaus
„Hart aber fair“ zum Ukraine-Krieg und den Folgen: Deutsche berichten von Verzicht
Wie sehr die Bevölkerung bereits von den steigenden Preisen betroffen ist, zeigen die zahlreichen Wortbeiträge der Zuschauer, die bei Plasberg zu Wort kommen. Eine Familie auf dem Land, die mit Öl heizt und auf die Autofahrten angewiesen ist, Pendler, die keinen Handlungsspielraum für Mehrausgaben haben, Menschen, die auf Urlaub und Freizeit verzichten.
Und der Druck auf die Regierung nimmt zu, denn eine unzufriedene und verschuldete Bevölkerung ist eine massive Bedrohung für den in den letzten Tagen von Wirtschaftsminister Robert Habeck vielzitierten „Sozialen Friedens“. Auch bei Plasberg kocht der Unmut hoch. Immer wieder kommt es in der Sendung zu hitzigen Diskussionen. Der sonst so gelassene Plasberg muss laut dazwischen gehen, um wieder Ordnung im Kanal herzustellen.
„Hart aber fair“ zum Ukraine-Krieg und den Folgen: „Wir sitzen in der Scheiße“
Auch im Studio sitzt eine direkt Betroffene. Im Gegensatz zu den privilegierten Talkshow-Profis wirkt die Reinigungsfachkraft Susanne Holtkotte erfrischend ehrlich, wenn sie sagt: „Wir sitzen in der Scheiße“ - und die nonverbale Zustimmung der sonst so gefassten Politik- und Expertenrunde bekommt.
Holtkotte schildert bei Plasberg ihren Tagesablauf: Jeden Morgen „klingelt der Wecker um 3 Uhr“, um 5 Uhr geht es zur Arbeit - mit einem „alten Golf“. 11,50 Euro die Stunde bekommt Holtkotte fürs Saubermachen in einem Krankenhaus - am Monatsende macht das 1.200 Euro. Man glaubt ihr sofort, wenn sie sagt: „Mein ganzes Leben besteht aus Sparen!“.
Finanzminister Lindner (FDP) spricht im Plasberg-Talk über „Tankrabatt“
Finanzminister Christian Lindner, der in der Sendung zum Interview zugeschaltet wird, um seinen inzwischen als „Porsche-Geld“ umstrittenen „Tankrabatt“ anzupreisen, benennt die Gruppe, um die man sich in der FDP große Sorgen macht: „die ganze Breite der Gesellschaft […], ausdrücklich auch die Mittelschicht, die aufs Auto angewiesen ist, und die Gewerbetreibenden“.
Lindner verteidigt sein umstrittenes Gießkannenprinzip, das auch Besserverdienende begünstigt, da es ohne „Gesetzgebung direkt entschieden werden“ könne. Lindner betont aber auch, dass es sich dabei um „eine Ausnahmemaßnahme“ handle und macht deutlich, dass das Geld weniger werden wird: „Der Staat wird nicht auf Dauer einen Verlust an Wohlstand kompensieren können.”
Ukraine-Krieg als Thema bei „Hart aber fair“: Mehrwertsteuer und „Mobilitätsgeld“
Spahn nennt den CDU-Plan als Gegenentwurf: Energiesteuer oder „Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent“ herunterschrauben, um auf „mindestens 40 Cent pro Liter“ zukommen. Doch am besten kommt in der Runde der SPD-Vorschlag eines nach Einkommen gestaffelten „Mobilitätsgeld“ von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) an. Nur Holtkotte findet das nicht ausreichend.
Die langjährige Streiterin für erneuerbare Energien, Prof. Claudia Kemfert, gehört zu den eher wenigen in der deutschen Gesellschaft, die immer vor der Abhängigkeit von Russland gewarnt hatte und in der Sendung noch einmal den Rückblick wagt: „Schon bei Nord Stream 1 war das problematisch“, so Kemfert und schließt auch die wirtschaftliche Abhängigkeiten Chinas mit ein. Doch die Politik hätte diesbezüglich immer stets „munter gelächelt“.
„Hart aber fair“ zu Russlands Gas: „Wir waren der Junkie und Putin war der Dealer“
Focus-Chefredakteur Ulrich Reitz findet deutliche Worte: „Wir waren der Junkie und Putin war der Dealer.“ Beim „Dealen geholfen“ hätten die Bundeskanzler Gerhard Schröder und Angela Merkel*, für Reitz sei es eine „fahrlässige Politik“ gewesen. Auch Kemfert fährt hoch und kann nicht abhalten, die Schuld für die derzeitige Krise in der „verfehlten Energiepolitik“ der Merkel-Jahre zu sehen. Die echauffierte Professorin wird von Plasberg vertröstet: „Die Diskussion, wie eine vernünftige Energiewende gelingen kann, führen wir ein andermal.“
Das will Jens Spahn so nicht stehen lassen, verweist auf die Einführung der EEG-Umlage, die höchsten Energiepreise in Europa - mit der die Merkel-Regierung versucht habe, die Energiewende voranzutreiben. Doch im Fokus stand - auch bei den Grünen* - nicht das Gas, sondern der Ausstieg aus Kohle und Atomkraft. Da habe es einen „breiten Konsens“ gegeben. Spahn stellt klar: „Jeder wusste: Je mehr wir diesen Weg gehen, desto abhängiger werden wir von Gas.“ Einen politischen Seitenhieb kann er sich nicht verkneifen: „Die Grünen in Schleswig-Holstein“ hätten „vor zehn Wochen noch gegen die Einrichtung von LNG-Terminals“ gestimmt.
Spahn appelliert an seine Politikkollegen aller Parteien, „Dinge in Frage“ zu stellen, die man „Jahrzehnte gesagt“ hat und die parteipolitischen „Reflexe“ zu stoppen. Denn in dem Ziel, „putinfrei“ zu werden, souverän in der Energieversorgung und klimaneutral, sei man sich doch einig. „Was wir anpassen ist der Weg dorthin“, so Spahn. Er erwarte ein Gesamtkonzept von der Bundesregierung, „und dann“ könne man auch über Themen wie „Tempolimit reden“. Das könnte bis zu sieben Prozent der Energiekosten einsparen, hatte Kemfert zuvor berechnet.
Fazit des „Hart aber fair“-Talks
Plasberg ließ zum Ende noch einmal den bereits geflügelten Satz des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck einblenden: „Und wir können auch einmal frieren für die Freiheit.“ „In der Dienstwohnung!“, ergänzte Journalist Reitz. Dieses „Dilemma“ konnte auch die Sendung nicht lösen: Wer Geld hat, hat (natürlich immer) gut reden… (Verena Schulemann) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.