Politik-Talk
„Hart aber fair“: Ampel nur eine Episode? Kühnert wird nach NRW-Aussage verhöhnt – der duckt sich weg
NRW wählt klar schwarz-grün, die SPD ist geschlagen, die FDP im Überlebenskampf. Sind Olaf Scholz und seine Ampelregierung angezählt? Kevin Kühnert widerspricht.
Berlin – Es war ein Abend, den Kevin Kühnert vermutlich lieber auf der Couch mit Immobilienanzeigen verbracht hätte. Der SPD-Generalsekretär, zurzeit wohnungssuchend in Berlin, bekam bei „Hart aber fair“ viel Häme ab. Grund: Sein euphorisches Statement direkt nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Kühnert hatte einen Regierungsanspruch für die SPD reklamiert – obwohl die Partei gerade ein historisch desaströses Ergebnis eingefahren hatte.
Die Frage des Abends: War dies das Ende der Ampelkoalition, womöglich das Ende der SPD? Moderator Frank Plasberg greift sofort zum Brandeisen. „Man merkt es selten in Echtzeit, wenn sich eine Weiche neu stellt für die politische Geschichte eines Landes. Gestern könnte so ein Tag gewesen sein. Der Beginn eines neuen politischen Jahrzehnts, eines schwarz-grünen Jahrzehnts.“
Der Spießrutenlauf des Kevin Kühnert beginnt. Und er ist lang und schmerzhaft. Die Kanonade spitzer Kommentare beginnt mit einem Statement des Journalisten Michael Bröcker. Er konfrontiert Kühnerts Machtanspruch nüchtern mit der Realität: „Die Ampel läuft Gefahr, nur eine Episode zu sein.“ Spiegel-Kollegin Melanie Amann sticht nach: „Die Wahl war eine Ohrfeige für die Ampel.“ Kühnert, verknittert wie selten, versucht seine Euphorie vom Wahlabend, die allenthalben auf Unverständnis stieß, zu relativieren. Er laviert herum, schiebt seine Fehlinterpretation auf die ersten Hochrechnungen. Doch Plasberg lässt nichts anbrennen. Karl Lauterbach habe die Dinge doch beim Namen genannt. Warum er nicht? Kühnert weicht aus.
Kühnert bei „hart aber fair“ nach NRW-Schlappe: „Wir sind nicht Wahlsieger“
Aber es sei doch, so Plasberg, das erklärte Ziel der SPD gewesen, „einen neuen Politikstil“ zu pflegen. Nach der Wahl habe Plasberg aber nur „einen stinknormalen Generalsekretär“ gesehen. „Wir reden viel über Politikverdrossenheit. War das etwa ein neuer Politikstil?“ Die Zeit für „Kühnikev“, wie er sich auf Twitter nennt, ist gekommen, um etwas Demut zu zeigen. Auf seine Weise. „Wir sind nicht die Wahlsieger“, gibt er zähneknirschend zu „und deshalb laufen wir auch nicht kraftmeiernd herum.“ Womit er sein Verhalten vom Wahlabend exakt beschreibt und revidiert.
Der Runde ist das nicht genug. „Schiffredakteur“ Bröcker (wie er sich ob seines Arbeitsplatzes selbst nennt) schurigelt Kühnert wie einen Lausbuben: „Es geht um den Stil. Sie haben was ganz Anderes gesagt gestern. Das ist die alte Schublade. Politikphrasen wollen wir nicht mehr hören. Dann gehen sie doch erst um 20 Uhr vor die Kameras! Das hat der SPD massiv geschadet.“
Spiegel-Frau Amann und Moderator Frank Plasberg sprechen nun sogar in der dritten Person über Kühnert, während der Begossene teilnahmslos danebensitzt. „Er hat es ja nicht nur um 18 Uhr gesagt“, höhnt Amann. Es war schon das Leitmotiv des Abends!“ Und Plasberg: „Er hat fast den Laschet gemacht.“ Die Runde grinst. Kühnert nicht.
„Hart aber fair“: Diese Gäste diskutierten mit Frank Plasberg:
- Omid Nouripour (Bundesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen)
- Michael Bröcker (Chefredakteur „The Pioneer“)
- Melanie Amann (Leiterin Hauptstadtbüro „Der Spiegel“)
- Carsten Linnemann (stellvertretender. CDU-Parteivorsitzender)
- Kevin Kühnert (SPD-Generalsekretär)
Der SPD-General reagiert dünnhäutig. Seine Miene ist seit Beginn der Sendung im Crash-Modus gefangen. Seinem Kritiker Bröcker fällt er nun permanent ins Wort, bevor der überhaupt einen geraden Satz herausbringen kann. Dabei will Bröcker doch nur das Stichwort Laschet aufgreifen, der sich seinerzeit für viel weniger ungerechtfertigte Verlierer-Euphorie rechtfertigen musste. Auch vor einem Kevin Kühnert.
CDU-Vizechef Linnemann mischt sich ein, und es wird nicht besser für Kühnert: „Die SPD hat die größte Niederlage seit dem Zweiten Weltkrieg einfahren müssen. Das, was gestern Abend passierte, schadet nicht nur Ihnen, sondern schadet auch uns, schadet der Politik insgesamt, weil es die Politikverdrossenheit erhöht.“
„hart aber fair“ zu NRW-Wahl und Ampel: „War Scholz frisch verliebt in Robert Habeck?“
Das Thema wechselt auf Bundeskanzler Olaf Scholz. Für Kühnert keine Zeit zum Durchatmen. Plasberg fragt: „War Scholz zu naiv oder frisch verliebt in Robert Habeck, als er diese ganz andere Regierung versprach?“ Kühnert versucht einen staatsmännischen Volley. „Ich werde mich jetzt nicht über ‘n bisschen Auseinandersetzung um irgendeinen Tankrabatt aus der Ruhe bringen lassen“, sagt er, wohlwissend, dass das „bisschen“ Inflation und Preisexplosion gerade viele Bundesbürger um den Schlaf bringt. Stattdessen will er das gute SPD-Ergebnis bei der Saarland-Wahl ansprechen: „Es ist jetzt nicht so, dass alles Pleiten, Pech und Pannen gewesen wäre.“
Bröcker ist fassungslos: „Wir sind doch nicht alle blöd“, kontert er. Olaf Scholz sei groß und breit plakatiert worden, „und 800.000 SPD-Wähler gehen von der Fahne. Das ist ein ernstes Thema.“ Plasberg stellt lapidar fest: „Interessant: Ich habe gar nicht nach Implodieren und Auseinanderbrechen gefragt. Nur, was aus dem Zauber geworden ist.“ Aus Bröcker platzt es heraus: „Na, der ist weg!“
„hart aber fair“-Talk im Ersten: Das Problem sitzt im Kanzleramt“
Das Streufeuer geht weiter: Melanie Amann zitiert genüßlich Anton Hofreiters Kommentar „Das Problem sitzt im Kanzleramt“ und Plasberg erinnert an den alten CDU-Wahlslogan „Auf den Kanzler kommt es an!“. Er bilanziert: „Scholz stand mal für Rückenwind. Das ist nun wirklich vorbei.“ Ein Einspieler bringt dazu ein paar Umfragezahlen: Nur noch 39 Prozent sind zufrieden mit Scholz (minus zwölf Prozent). Und nur 27 Prozent finden seine Krisenpolitik und Kommunikation überzeugend.
„Getriebener der eigenen Leute“ nennt Amann den Kanzler. Und Plasbergs bewusst vorsichtige Frage, ob bei Scholz noch „Luft nach oben“ sei, ermuntert Kühnert schließlich zu bemerkenswerter Eigenreflexion: „Bestimmt, das ist bei uns allen so. Scholz ist überhaupt kein Klotz am Bein gewesen.“ Gutes Stichwort, findet Bröcker und bemerkt trocken: „Wenn das stimmt, was Sie sagen und Scholz nichts mit dem Ergebnis zu tun hatte, dann müsste Kutschaty (Anm.: SPD-Spitzenkandidat NRW) ja heute zurücktreten, spätestens morgen.“ Rums.
Auch Plasberg gibt Scholz noch einen süffisanten Kommentar mit: „Es heißt ja auch, er könnte den Valium-Verbrauch in Deutschland senken.“ Wie zum Beweis des Gegenteils, klickt der Moderator einen Einspieler an, der Scholz ungewohnt couragiert beim Wahlkampf zeigt. „Kennen Sie diesen Mann?“, fragt er Kühnert anschließend provokant. Und der kontert ungewollt satirisch: „Ja, aber ich glaube nicht, dass die Deutschen dauerhaft von einem HB-Männchen regiert werden wollen.“
CDU-Mann Linnemann wird nun konkret. Warum eigentlich alles so lange dauert, will er von Kühnert wissen. „Wenn es um Griechenlandpakete geht, da kriege ich nachts um 3 Uhr die Unterlagen, da geht alles ganz schnell. Aber wenn es um die Entlastung der Menschen geht, dauert es Monate.“ Bröcker schlägt in dieselbe Kerbe: Scholz habe viele Reden gehalten, aber nie zur Inflation. „Er hätte das aufgreifen müssen.“ Das Regierungs-Chaos fasst Bröcker knapp zusammen: „Ich kenne keinen Ökonomen, der das sinnvoll findet, was da passiert ist.“
Plasberg verspricht für die nächste Woche eine reine SPD-Sendung, um alle vernachlässigten Themen zu behandeln. „Finde ich gut“, sagt Kühnert sichtlich erfreut. Plasberg: „Das war ironisch gemeint.“ Die Einschläge auf dem Kühnertschen Trümmerfeld gehen weiter. Nächstes Thema: Verteidigungsministerin Lambrecht, ihre zufällige Dienstreise in die Nähe des Urlaubsortes Sylt und der Flug des Sohnes im Bundeswehr-Hubschrauber. Und wieder Scholz, der Lambrecht direkt nach dem Urlaubs-Debakel sogar noch lobte. Bröcker schüttelt nur den Kopf: „Instinktlos. Scholz kann doch nicht so eine Ministerin im Amt lassen. Die SPD, ich verstehe sie einfach nicht mehr.“
Verteidigungsministerin Lambrecht: „Nur so‘n ein bisschen geschlabbert“
Kühnert und Grünen-Chef Omid Nouripour bemühen sich nach Kräften, die Arbeit der Ministerin zu lobpreisen. Eine ganz schön harte Aufgabe. Amann konstatiert: Während der Einarbeitungsphase habe Lambrecht „ ja nur so’n bisschen geschlabbert“, weil sie ja eigentlich Innenministerin habe werden wollen.
Schlabbern. Nicht die einzige kuriose Wortkreation an diesem Abend. Plasberg etwa nennt Omid Nouripour versehentlich Herrn „Omnipour“, bittet aber auf dem Fuße um Vergebung. Da seien wohl Synapsen falsch verdrahtet. Alle müssen schmunzeln. Kevin Kühnert nicht so. Er, dem schon oft vorgeworfen wurde, dass er nichts gelernt habe außer reden, hat in dieser Runde seinen vorläufigen, linguistischen Endgegner gefunden.
CDU-Mann Linnemann formuliert schließlich ein Dilemma, das sinnbildlich auch für diesen Abend steht: Das Problem bei Politikern sei: „Wir leben in einer Blase. Du hast ‘ne Fahrbereitschaft, Du fährst Erster Klasse mit der Bahn. Wir brauchen jemanden, der uns erdet. Sonst bist du irgendwo in einem Ufo unterwegs und weißt nicht mehr, wie die Realität ist.“ Omid Nouripour grüßt reflexartig zwei Freunde namens Oli und Matthias, und Linnemann selbst schickt Grüße an seine Skatrunde zu Hause. Es soll wohl ein Beweis der Bodenhaftung sein.
Fazit des „Hart aber fair“-Talks
Politiker, die sich vom Volk entfernen, die Wahlergebnisse komplett missdeuten und Fehlleistungen zu Erfolgen umdeuten: Das Thema der Sendung wurde auch durch die Verhaltensweisen in der Sendung selbst anschaulich beleuchtet. Die Zuschauerreaktionen, wie sie bei „Hart aber fair“ traditionell eingespielt werden, brachten es auf den Punkt. Griffiges Beispiel eines Zuschauers: „Man hätte Olaf Scholz nicht auf die Plakate lassen sollen.“ Oder auch: „Die Grünen sollten ihr Symbol ändern: die Sonnenblume durch einen Panzer ersetzen.“ (Michael Görmann)