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Entlastungspaket, Gas-Umlage, offener Zoff: Die Ampel will bei der Klausur die Trendwende

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Von: Fabian Hartmann

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor der Kulisse von Schloss Meseberg.
Verspricht schnelle Hilfen: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor der Kulisse von Schloss Meseberg. © Kay Nietfeld/dpa

Die Ampel zieht sich für zwei Tage zur Kabinettsklausur in die Provinz zurück. Nach viel Zoff soll ein Aufbruchssignal her. Die Opposition „hat selten so ein Chaos erlebt“.

Berlin – Der Ort ist bereits ein Statement. Meseberg, brandenburgische Schlossidylle, 70 Kilometer von Berlin entfernt. Hierhin hat sich die Ampel für ihre Kabinettsklausur zurückgezogen. Zwei Tage lang wollen die Koalitionäre abseits des hektischen Hauptstadtbetriebs beraten, sich unterhaken, Einigkeit demonstrieren.

Die Barockumgebung – ein Ort des Aufbruchs? Daran sind zumindest seit dem Wochenende Zweifel angebracht. Da hat es in der Ampel mal wieder gekracht. Und diesmal waren es nicht die Liberalen, sondern SPD und Grüne, die übereinander hergefallen sind. Beim Thema Gaspreisumlage beschimpften sich Vertreter beider Parteien. Die SPD zog über den dafür zuständigen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) her, die Grünen keilten zurück und lästerten über die „schlechte Performance“ von Kanzler Olaf Scholz (SPD).

Kabinettsklausur der Ampel: Der Druck auf die Koalition nimmt zu

Rumms. Es raucht, zischt und knirscht an allen Ecken und Enden in der Koalition. Der Ton ist gereizter geworden. Und die Herausforderungen werden dummerweise größer: Wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte, ist die Inflation in Deutschland im August auf 7,9 Prozent gestiegen. Strom, Gas, Lebensmittel: Alles wird teurer. Ökonomen rechnen mit noch höheren Werten ab Herbst und Winter. Zumal Ende August preisdämpfende Maßnahmen wie das 9-Euro-Ticket und der Tankrabatt auslaufen.

Der Druck auf die Ampel ist also immens. Und die Regierung rauft sich zusammen – so scheint es. Noch in dieser Woche könnte sich das Bündnis auf ein drittes Entlastungspaket einigen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) jedenfalls will „sehr schnell“ eine Entscheidung herbeiführen, sagte er in Meseberg. Zuvor hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bereits via Twitter Zustimmung signalisiert. Diesmal soll es sich laut Scholz um ein „möglichst maßgeschneidertes, möglichst effizientes und möglichst zielgenaues Entlastungspaket“ handeln. Heißt also: Vor allem Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen sollen entlastet werden. Das sieht auch die FDP so.

Zoff um Gasumlage bei SPD und Grünen: „Manchmal muss man auf den Tisch hauen“

Soweit die Theorie. Ob die Koalition aber allein durch zwei Tage Meseberg wieder Tritt fasst, darf bezweifelt werden. Dafür sind die Probleme zu groß. Und die Partner zu unterschiedlich. Im Gespräch mit dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA bemüht sich SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese zwar um Deeskalation. Zoff wegen der Gasumlage? „Manchmal muss man auf den Tisch hauen“, findet Wiese. Probleme in der Ampel? In den letzten Tagen habe man gesehen, dass es unterschiedliche Ansätze gebe, ja. Aber: „Uns eint alle, dass wir wissen, in welch verantwortungsvoller Position wir sind“, sagt Wiese. „Die Bürger erwarten, dass die Bundesregierung sehr zeitnah Details zu einem dritten Entlastungspaket präsentiert.“

Wie das aussehen kann, hat die SPD-Fraktion bereits skizziert: Sie setzt auf Direktzahlungen, ein bundesweites 49-Euro-Ticket und Preisbremsen für den Grundbedarf an Strom und Gas. Doch nicht alles, was den Genossen vorschwebt, dürfte auch den Koalitionspartnern gefallen. Die Erhöhung des CO₂-Preises will die SPD aussetzen. „Das brauchen wir jetzt nicht auch noch zusätzlich als weitere Belastung für die Unternehmen“, sagte Fraktionsvize Wiese. Ein Haken in Richtung Grüne.

Debatte um Entlastungspaket: SPD-Politiker will Schuldenbremse aussetzen

Auch die Einhaltung der Schuldenbremse im nächsten Jahr stellt Wiese infrage. „Es gibt fachlich und verfassungsrechtlich gute Gründe, dass man sie nochmal aussetzt“, sagt der Abgeordnete. Und: Auf dem Tisch liegt weiterhin das Thema Übergewinnsteuer. Die Entlastungspakete müssten schließlich finanziert werden. Nur: Die FDP läuft gegen beides – das Aussetzen der Schuldenbremse und eine Übergewinnsteuer – Sturm. Intensive Beratungen dürften bevorstehen.

Nicht viel harmonischer sieht es auf einer anderen Großbaustelle der Koalition – der Pandemiepolitik – aus. Berlin, vergangene Woche. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und sein Kollege aus dem Justizressort, Marco Buschmann (FDP), präsentierten ihren mühsam gefundenen Vorschlag für das Infektionsschutzgesetz. Nur einen Tag später gab es bereits erste Absetzbewegungen aus der FDP. Und in der FAZ stichelte Buschmann, dass man die Menschen nicht „durch Horrorszenarien verrückt machen“ dürfe. Den Namen Lauterbach musste er nicht mal erwähnen.

Was SPD und FDP wiederum freut, sind Patzer der Grünen. Deren Frontmann Robert Habeck schien lange Zeit alles zu gelingen. Doch bei der Gasumlage unterlief Habeck ein folgenschwerer Fehler. Das bisherige Modell sieht vor, dass nicht nur Unternehmen in Not davon profitieren würden. Sondern auch die, die in der Krise gute Gewinne gemacht haben. Ein Dämpfer für die Grünen, die SPD und FDP in den Umfragen hinter sich gelassen haben. Was wiederum das Misstrauen der beiden anderen Ampel-Partner befördert.

Zoff in der Ampel: Linken-Fraktionschef Bartsch wundert sich über „Chaos“

Dietmar Bartsch ist schon lange in der Politik. Doch der aktuelle Zustand der Ampel-Regierung verwundert auch ihn. „Ich habe in meiner politischen Laufbahn selten so ein Chaos erlebt wie in den letzten Wochen“, sagte der Linken-Fraktionschef dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA. Aus Sicht von Bartsch wäre nun der Bundeskanzler gefordert. „Olaf Scholz hat die Richtlinienkompetenz und es kann nicht sein, dass die FDP permanent die anderen Parteien in Haftung nimmt“, sagt Bartsch – damit zielt der Linken-Politiker vor allem auf die Weigerung der Liberalen, höhere Steuern für Reiche zu akzeptieren.

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Aus Sicht von Bartsch ist klar, was die Regierung tun muss: Es braucht nach Einkommen gestaffelte Direktzahlungen an die Bürger, ein Verbot von Strom und Gassperren, mehr Hilfen für Rentner und Studierende, ein Wintergeld für alle privaten Haushalte und: eine Anschlussregelung fürs 9-Euro-Ticket. „Der soziale Frieden in Deutschland ist angesichts explodierender Preise für Energie und Lebensmittel bedroht. Jetzt muss gehandelt werden“, sagte Bartsch unserer Redaktion. Hat die Ampel dazu die Kraft? „Natürlich werden sie sich einigen und das ist auch ihre Aufgabe“, sagt der Linken-Fraktionschef. Allerdings weniger aus Überzeugung. Keine der Parteien habe ein Interesse daran, dass die Koalition scheitert.

Auf der anderen Seite: Bis zur nächsten Wahl sind es mehr als drei Jahre. Die Ampel hat also noch die Chance, die Krise hinter sich zu lassen. Doch dafür müsste sie zunächst die Raufereien einstellen.

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