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Die Bayern im Alpenkrieg

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26 000 zumeist bayerische Soldaten waren im Ersten Weltkrieg in Südtirol stationiert. Es ist eine vergessene Episode in der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Ein Historiker ist der Geschichte nachgegangen – und hat mit Hilfe unserer Leser einen erstaunlichen Bildband herausgebracht.

Buch erscheint mit Hilfe unserer LEser

von dirk walter

München – 26 000 Soldaten, zumeist aus Bayern, aber auch aus Sachsen und sogar Magdeburg, 9500 Pferde, hunderte Pkw und Lastwagen – und sieben Flugzeuge. In den Südtiroler Bergen ist 1915 auch eines der ersten Kapitel der Kriegsfliegerei geschrieben worden – mit einem durchaus tragischen Verlauf. Es war am 31. Juli 1915. Angriff auf Cortina d’Ampezzo – der Ort war eigentlich österreichisch, aber jetzt von den Italienern besetzt. Leutnant Ferdinand März startet seine Pfalz-Parasol-Maschine, aber dann das: Ein starker Luftwirbel erfasst die unweit von Toblach an den Drei Zinnen gestartete Maschine – März stürzt ab. Er überlebt das nicht.

Die Geschichte hat Immanuel Voigt, 33, erforscht. Der Thüringer Historiker ist Spezialist für die Südtiroler Historie in den Jahren 1914 bis 1918, nachdem er 2015 seine Doktorarbeit über das sogenannte Alpenkorps vorgelegt hatte. Auch in Details ist er sattelfest. Wenn ein Soldat sein Edelweiß-Abzeichen auf der falschen Seite der Schirmmütze hat, dann sieht er das.

Die „Zeugnisse von der Dolomitenfront 1915“, ein nun vorgelegter, über 300 Seiten starken Bildband über das Intermezzo der Bayern in Südtirol, wäre ohne unsere Leser wohl nicht erschienen. Denn nach einem Aufruf in unserer Zeitung im September 2016 stöberten zahlreiche Leser in den Unterlagen ihr Urgroßväter. Ein Leser aus Fürstenfeldbruck schickte ein Fotoalbum, das Hinrichtungsszenen enthielt. Norbert Loy, Archivar der Gemeinde Brunnthal, wies auf die Sammlung eines „Leibers“ (siehe Randspalte) hin, die im Gemeindearchiv nur auf einen Historiker wartete. Es kamen Tagebücher, Briefe, Fotos – Historiker nennen sie Ego-Dokumente, weil sie vom Krieg aus der Ich-Perspektive erzählen. Das Material war so reichhaltig, dass Voigt rückblickend sagt: „Ohne die Leser hätte das Buch nicht geschrieben werden können.“ Klar, dass er sich dafür im Nachwort ausdrücklich bedankt.

Die Geschichte beginnt am 23. Mai 1915. Das war der Tag, an dem Italien dem Habsburgerreich Österreich-Ungarn den Krieg erklärt. Alarmstufe Rot an der Alpenfront – und die Österreicher ersuchen in ihrer Not Deutschland um Hilfe. Die OHL – Oberste Heeresleitung – gab die Order aus, ein „Alpenkorps“ aufzustellen. Hier beginnt schon das Missverständnis, denn ein Korps war eigentlich eine militärische Einheit mit 45 000 Mann. Die Bayern schickten indes nur zwei Infanteriebrigaden mit rund der Hälfte der erwarteten Mannschaftsstärke. Aber das reichte aus, um diesen Teil der Front ruhig zu halten. Tatsächlich hatten sich die Italiener, wie Voigt schreibt, einen strategischen Fehler geleistet: Anstatt nach der Kriegserklärung rasch vorzurücken, ließ der italienische Generalstabschef Luigi Cardorna nur langsam nach Norden aufmarschieren. Das genügte den Österreichern, um die Stellungen auszubauen. Die Bayern waren als Reservearmee gedacht, da Italien zwar dem Habsburgerreich, nicht aber Deutschland den Krieg erklärt hatte. Als das Alpenkorps schon im Oktober 1915 von seinem hochalpinen Kriegsschauplatz abgezogen wurde, rückten Tiroler Kaiserjäger ein und stabilisierten die Front. Soweit das militärische Vorgehen.

Für den Historiker Voigt waren die strategischen Planungen am Kartentisch eher die notwendige Einleitung zum Buch. Er interessiert sich viel mehr für die persönliche Geschichte der Soldaten, nicht nur für die der hoch dekorierten Generäle wie den späteren Steilbügelhalter Hitlers Franz Ritter von Epp, oder den überzeugten Monarchisten und späteren NSDAP-Sympathisanten Konrad Krafft von Dellmensingen – beide waren in Südtirol dabei. Sondern für Leute wie die Brüder Lorenz und Franz Sailer zum Beispiel.

Unser Leser Alexander Sebald aus Königsdorf im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen hat die Aufzeichnungen seines Urgroßonkels Franz Sailer entdeckt und an Voigt geschickt. Sailer, Soldat im Infanterie-Leibregiment, 7. Kompanie, ging nicht allein nach Südtirol. Sein Bruder Lorenz kam auch dorthin – allerdings, da sie in verschiedenen Einheiten dienten, an einen anderen Ort. Die beiden Brüder waren die ältesten von 15 Geschwistern des Landwirts Franz Sailer und trotz der schweren, blutigen Kämpfe, die es im Ersten Weltkrieg schon gegeben hatte, froh gestimmt. Franz Sailer sammelte touristische Impressionen – wahrscheinlich war er, wie viele einfache Leute in der Zeit – bis dato nie von zu Hause fortgekommen. Er genoss „die schöne Fahrt über Brixen nach Bozen“ und schwärmte über „wunderschöne Flecken des Landes Tirol“.

Nahe der Schusterspitze wurde Sailer freilich in schwere Kämpfe verwickelt – in seinen Aufzeichnungen berichtet er über Gewehrfeuer und Angriffe mit Handgranaten. Insgesamt starben bei solchen Gefechten wohl 300 Soldaten des „Alpenkorps“ sowie eine unbekannte Zahl von Italienern. Meist aber blieb es an der Alpenfront ruhig.

Im Allgemeinen wurden die Bayern in Südtirol gut aufgenommen. Interessant ist, dass Sailer auch Missstimmung beschreibt. Im Dorf Sexten sei die Bevölkerung „meist italienisch gesinnt“ gewesen, schrieb er. Im Wirtshaus rückte die Wirtstochter für die Soldaten keinen Wein heraus, was diese sich aber nicht gefallen ließen. „Sofort flogen ihr Tische, Stühle und Bänke nach“, den Wein holten sich die Soldaten eigenmächtig.

In der Tat waren Auseinandersetzungen zwischen Südtirolern und den deutschen Soldaten, die meist überfallartig kleine Dörfer überrannten und sich einquartierten, nicht selten. Meist ging es um Eigenmächtigkeiten. Da galoppierten Pferde über noch ungemähte Wiesen, requirierten Soldaten ohne Entschädigung Heu, Kartoffeln, Bretter und Brennholz. Insgesamt war das eine „enorme logistische Herausforderung für die Einheimischen“, der Voigt ein eigenes Kapitel widmet.

Auf mehreren Seiten lässt er in seinem Buch den Hauptmann Paul Zenetti zu Wort gekommen. Er stammte aus dem schwäbischen Dillingen und hinterließ ein Kriegstagebuch, das seine Enkelin Marianne Falley nach dem Aufruf unserer Zeitung zur Verfügung stellte. Er war zwar von der Stationierung in Tirol anfangs sehr angetan, doch bald merkte er, dass sich nicht viel tat. „Abgesehen vom täglichen Spazierenreiten reiner Bürodienst mit seinem täglichen Einerlei“, maulte er.

Apropos Langeweile: Ein besonderes Kapitel ist das über eine angebliche Hinrichtung per Strick, die von österreichischen Offizieren in einem Sanatorium in Meran nebst Verhörszene nachgespielt wurde – vermutlich hatten sie schlicht Langeweile. Das makabre Schauspiel ist in einem Fotoalbum des Soldaten Richard Baier dokumentiert – der Eigentümer Frank Köhler aus Fürstenfeldbruck hat es Voigt geschenkt. Ein bisher nicht bekanntes Kapitel ist, dass auch eine bayerische Flieger-Abteilung aus Schleißheim per Bahn nach Südtirol verlegt wurde: acht Piloten, sechs Beobachter, sieben Flugzeuge. Die größte Schwierigkeit im bergigen Südtirol war es, einen geeigneten Flugplatz zu finden – man entschied sich erst für Brixen, dann für Toblach. Die Piloten waren nicht begeistert: „Freilich hatte die feuchte, nur ungefähr 150 m lange Wiese (...) mit einem Flugplatz in Schleißheim oder Johannistal wenig Ähnlichkeit“, moserte einer. Wegen der ungewohnten Fallwinde in den Bergen gab es auch einen tödlichen Absturz – den von Ferdinand März. Überhaupt stiegen die Piloten insgesamt nur 30 Mal in die Luft – bald schon wurden die Flieger nach Colmar/Elsass verlegt.

Auch für alle anderen bayerischen Soldaten war die Stationierung in Südtirol in aller Regel nur eine Etappe. Die meisten wurden im Oktober 1915 an den Balkan oder an die Westfront geschickt – und dort ging es ungleich grausamer zu als am Fuße von Schlern und den Drei Zinnen. Der Königsdorfer Soldat Franz Sailer geriet im Juli 1916 bei der Schlacht um Verdun in Gefangenschaft und kam im Zuge eines Gefangenenaustauschs zwischen Deutschland und Frankreich – ja, auch so etwas gab es – 1917 zurück nach Hause. Der Veteran starb 1979 im Alter von 87 Jahren. Andere hatten weniger Glück. Zu den knapp 200 000 bayerischen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg starben, gehörte auch der Wittelsbacher Prinz Heinrich von Bayern, der 1916 an der Front in Rumänien fiel. Zu seinem Aufenthalt in Südtirol ein Jahr vorher hat unsere Leserin Herdana von Fraunberg (bei Erding) Dokumente beigesteuert – Theodor Freiherr von und zu Fraunberg war Adjutant des Prinzen.

Historiker Voigt ist mittlerweile beim nächsten Thema – wieder geht es um Südtirol: um den Südtiroler „Freiheitskampf“, um das Jahr 1809 und die grausamen Gefechte an der Sachsenklemme bei Franzensfeste, als 500 Tiroler Schützen eine Übermacht der Franzosen besiegten.

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