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Ukraine-Krieg: Klingbeil und Söder streiten bei „Anne Will“ um Atomkraft – „Endlager bei sich in Bayern“

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Die Talkrunde bei „Anne Will“ (ARD) am 03.04.2022.
Die Talkrunde bei „Anne Will“ (ARD) am 03.04.2022. © Screenshot ARD Mediathek

Macht Deutschland zu wenig? Oder ist die Frage die falsche und müsste eigentlich lauten: Kann Deutschland überhaupt mehr machen? Anne Will tastet sich vor.

Berlin – „Es gab Fehler“ – SPD-Parteivorsitzender Lars Klingbeil hat beim „Anne Will*“-Polit-Talk im Ersten die undankbare Rolle, den umstrittenen Kurs der Regierung zu verteidigen. Doch als Welt-Journalist Robin Alexander den Blick zurückwirft und kritisiert: „2014/2015 sind Raffinerien zum Teil an Russland verkauft worden. Da sind Speicher an Russland verkauft worden. Da haben wir uns abhängig gemacht, als die erste Welle dieses Krieges schon lief. Gegen den Rat der gesamten Fachwelt“, kann Klingbeil dem nichts außer Bestätigung entgegensetzen.

Allerdings fängt sich der SPD-Mann nach seinem Eingeständnis schnell wieder und tut Alexander nicht den Gefallen, die Fehler von gestern - „dramatische politische Fehlentscheidungen“, wie der Journalist sie nennt - weiter zu debattieren. Stattdessen bringt er das Schiff der Scholz*-Regierung wieder auf Vorwärts-Kurs: „Wir haben über die ‚Zeitenwende‘ geredet“, so Klingbeil, und die sei nun „konsequent“. Später sagt er erstaunlich nüchtern: „Es liegt erst einmal in der Verantwortung Putins*, diesen Krieg zu stoppen.“ Ein Satz, der die Stiftungspräsidentin Marieluise Beck, die gerade von einem Besuch in Kiew zurückgekehrt ist, fast verzweifeln lässt: „Das wird er nicht tun“, ruft sie aus und fordert einschneidende Schritte im eskalierten Ukraine-Konflikt*, statt die „Kriegskasse von Putin zu füllen“.

„Anne Will“ - diese Gäste diskutierten mit:

Die von Bundeskanzler Olaf Scholz benannte und von Klingbeil zitierte „Zeitenwende“ bekommt von Anne Will* erstmal neue Nahrung von der Kriegsfront: Die Bilder aus der von russischen Truppen eingenommenen und dann wieder verlassenen Kiewer Vorstadt Butscha zeigen die Hinterlassenschaften von grausamen Verbrechen* an Zivilisten: Hinrichtungen, Folter, Vergewaltigung. Von ukrainischer Seite ist von „Genozid“ die Rede, das Wort „Kriegsverbrechen“ nahm nach US-Präsident Joe Biden nun auch Scholz - wenn auch in einer Umschreibung - in den Mund. Er betonte: „Die Ermordung von Zivilisten ist ein Kriegsverbrechen.“

Anne Will fragt angesichts dieser sich stetig ausweitenden Kriegssituation nach mehr Druck auf Russland und betitelt ihren Politik-Talk mit „Streit um russisches Öl und Gas – Soll Deutschland den Import sofort stoppen?“. Doch in der Sendung spricht sich nur die ehemaligen Grünen-Politikerin Beck in einem ergreifenden Appell für den sofortigen Energie-Stopp und für mehr Waffenlieferungen aus. Denn, was Deutschland derzeit tue, „ist nicht entschieden genug für die Ukraine“, so Beck. „In der Ukraine wird gestorben“, mahnt sie und sieht sogar den ukrainischen Staat als Gesamtes in Gefahr. „Hinterher werden wir uns fragen müssen“, prognostiziert die Grünen-Politikerin: „Haben wir alles versucht, um das zu verhindern?“

Klingbeil und Söder streiten bei „Anne Will“ um Atomkraft

Lars Klingbeil und der bayrische Ministerpräsident Markus Söder* machen keinen Hehl daraus, dass sie ihre Aufgabe in erster Linie in der Interessenwahrung der Bevölkerung in Deutschland sehen als bei denen der Nachbarländer und sprechen sich unisono gegen einen sofortigen Stopp aus. Söder wählt dramatische Worte: „Das gäbe zu schwere Bremsspuren für uns“, warnt er und spricht - ohne konkret zu werden - von „großen Betrieben“, die „wirklich Panik“ hätten. Auch sieht er kaum Spielraum für Ausgleichszahlungen, denn „Fakt ist“, so der Ministerpräsident, „dass Deutschland auf dem Weg zu einer Überschuldung ist. Man muss sich nur mal die Schuldenkaskaden ansehen.“

Klingbeil versucht eine Formulierung, die moralischer klingt, den finanziellen Aspekt nicht so in den Fokus rückt, aber dasselbe meint, wenn er das „sofortige Gas-Embargo“ als „falschen Weg“ bezeichnet und eine scheinbare Alternative am Horizont zeichnet: „Wir drehen jeden Tag den Gashahn ein Stück weiter zu“. Söder kontert: „Ich bin auch gar nicht sicher, ob Deutschland sich wirklich jeden Tag aus dem Gashahn befreit.“ Bisher sei „nur geredet“ worden, so der CSU-Mann, der kurz darauf aber selber Skepsis erntet, als er als Lösungsvorschlag zur drohenden Energiekrise die Verlängerung von AKW-Laufzeiten ins Spiel bringt: „Wenn wir sagen, wir wollen uns 2024 endgültig unabhängig machen, und steigen dann vorher aus der Kernenergie aus, verschärfen wir die Krise in der Krise“.

Mit seinem langsamen Ausstieg gibt Deutschland Russland die Möglichkeit für Alternativen

Söder fordert: „Einen Ausstieg aus dem Ausstieg.“ Klingbeil kommentiert zynisch: „Wenn Herr Söder so ein großer Fan von Atomenergie ist, dann kann er vielleicht gleich die Frage mit beantworten, ob er bereit wäre, das Endlager bei sich in Bayern unterzubringen.“ Ein Kameraschwenk zeigt Söder, der sich zerknirscht auf die Lippen beißt. Auch Anne Will ist skeptisch: „Im Krieg Atomkraftwerke?“, fragt sie in die Runde und bezieht sich auf die Möglichkeit eines Angriffszieles.

„Reichen die Sanktionen aus, um Russland zu stoppen?“, versucht Will zu ergründen. Alexander kritisiert auch hier die Bundesregierung, diese habe in der Art der Sanktionen eine falsche Strategie gewählt: „Wir haben den Bereich rausgehalten, der genau an den Machtapparat geht“, analysiert der Journalist. Statt die „Eliten“ würden die Sanktionen die „normalen Leute“ treffen. Außerdem funktioniere nur: „Alles auf einmal, damit die Wirkung heftig ist“, so Alexander. „Zu sagen, man fängt an, und macht dann ein bisschen mehr, und in zwei Jahren ist man am Endpunkt“, eröffne lediglich Schlupflöcher und die Möglichkeit für Russland, Alternativen zu suchen.

Söder sieht das Problem ähnlich und stellt fest: „Russland versucht ganz massiv, andere Partner zu finden“ und sei teilweise erfolgreich: „Es ist schlimm, zu sehen, wenn dann eigentlich auch mit uns befreundete Nationen wie Indien sich wahnsinnig darüber freuen, dass sie jetzt alles quasi umsonst bekommen.“ Ob diese Taktik am Ende erfolgreich für Russland sei, daran hat Söder offenbar noch seine Zweifel. Russland würde durch den Krieg zu einem „kleinen Land“ gemacht, dass „abhängig von China und anderen“ sei.   

Fazit des „Anne Will“-Talks

Ex-Politikerin Beck schildert die Eindrücke ihres aktuellen Ukraine-Besuchs: „Ich war in einem Kinderkrankenhaus in Kiew. Es ist unvorstellbar, was man da an Verletzungen von Kindern sieht, und die kommen aus der Luft.“ Beck fordert Waffen, die das besetzte Land im Ukraine-Krieg* ermächtigen, diese „todbringenden Geschosse, Bomben“ nicht mehr über deren Himmel abzuwerfen. Beck versucht den Vergleich mit den Möglichkeiten und der Bereitschaft zu Kurzarbeit und Verschuldung während der Pandemie zu ziehen, wo es auch um die Rettung von Menschenleben ging, doch das Wort wird ihr abgeschnitten. (Verena Schulemann)

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