"The Place Beyond the Pines": Ryan Gosling in Bestform

München - Manche Schauspieler sind am besten, wenn sie den Mund halten. Das beweist Ryan Gosling in „The Place Beyond the Pines“ - und macht den Thriller zu einem der intensivsten Kinoerlebnisse des Jahres.
Die Zeit ist kein Heiler in den Filmen von Derek Cianfrance. In seinem ersten Meisterwerk „Blue Valentine“ gab es einen Schnitt, der den ersten Blick der Liebe hart konfrontierte mit einem leeren Starren am Ende der Beziehung. Im Nachfolger „The Place Beyond the Pines“ gibt es ein Foto, das Hoffnung und Schmerz sogar über Generationen festhält und fortträgt. Das Foto zeigt Luke (wieder: Ryan Gosling) und Romina (Eva Mendes) mit ihrem Baby. Es ist kein Familienidyll: Luke ist Rummelplatz-Motorradstuntfahrer, nur einmal im Jahr kurz in jedem Kaff – „Heartthrob“ („Frauenschwarm“) hat er auf den Hals, ein bluttränendes Messer in den Augenwinkel tätowiert. Dass er Vater ist, ereilt ihn selbst als Überraschung. Aber dann will er die Rolle zu eifrig, unbedacht annehmen, will sich in Rominas Leben drängen, die mit ihm schon längst nicht mehr gerechnet, schon einen anderen Mann hat.
Luke gibt seinen Jahrmarkts-Job auf – und macht sein Motorrad zum Fluchtfahrzeug: Um seine Fantasie von Familie zu finanzieren, wird er Bankräuber. Es wäre unfair, die weiteren, überraschenden Wendungen des Films vorwegzunehmen. Nur so viel: Der eher zufällig in den Fall verwickelte Polizist Avery (Bradley Cooper) spielt später eine zentrale Rolle.
Der Outlaw und der Gesetzeshüter: Es sind zwei Ur-Heldenfiguren der US-Mythologie. Der Film lässt beide Modelle auf ihre Weise scheitern. Der Traum von einer Freiheit außerhalb des Systems geht so wenig auf wie der von der Bewahrung moralischer Integrität innerhalb. Was dabei aber an Konflikten verdrängt, verschwiegen bleiben soll, wird nur vererbt an künftige Generationen.
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Wenn der Film eine Schwäche hat, dann dass Cianfrance nicht nur mit „Blue Valentine“, sondern auch mit der Anfangsphase des Zweitlings die Erwartung unerreichbar hoch gelegt hat. „The Place Beyond the Pines“ lebt durchweg von exzellenten Schauspielerleistungen, von einer nuancierten Regie, die auch die konstruierteren, mitunter fast seifenopernwürdigen Momente der Handlung glaubhaft, intensiv, ergreifend werden lassen. Aber der permanente Alles-Richtig-Macher Ryan Gosling hat als Luke eine Lebendigkeit, Vielschichtigkeit, Detail-Dynamik, die jede kleinste Szene magnetisieren, elektrisieren – und damit kann der Rest nie ganz mithalten. Die anderen Figuren haben einen Tick weniger Dimensionen, Geheimnisse, sind in ihren Motivationen expliziter, gradliniger, und also nicht ganz so faszinierend.
Der titelgebende „Place Beyond the Pines“ (etwa: „Der Ort jenseits der Kiefern“) ist ein Ort der Rache und Sühne. Immerhin gibt es von ihm ein Entkommen. Und wenn am Ende des Films ein Motorrad in der Landschaft verschwindet, dann bleibt offen, ob die Kreisläufe, das Erbe der Gewalt ewig sind – oder Hoffnung auf Neuanfang lassen.
von Thomas Willmann