ELISABETH KRATZER HAT GEBURTSTAGSKINDER VOM BABY BIS ZUM SENIOR VOR IHRE KAMERA GEHOLT
Ein ganzes Leben in zehn Minuten
projekt der Münchner Filmhochschule . von Katja Kraft.
Das mit den Drehgenehmigungen hatte sie etwas unterschätzt. Elisabeth Kratzer, 23, lacht. Sie sitzt im Schneideraum der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF München) und arbeitet an ihrem ersten Werk im Rahmen ihres Studiums. Der Titel: „hundert Jahre leben“. Die Vorgabe: innerhalb von zwei Monaten einen maximal zehnminütigen Schwarz-Weiß-Film drehen, die Protagonisten aus dem Raum München rekrutieren und nicht mehr als drei 16-Millimeter-Rollen verwenden. Gar nicht so leicht. „Wir haben uns deshalb auf das Minimale reduziert“, erzählt sie. Am letzten Aprilwochenende wird sie den Film den Kommilitonen in der HFF zeigen. Auch die 19 anderen Nachwuchsfilmer ihres Jahrgangs aus den Abteilungen Dokumentarfilm, Regie und Drehbuch dürfen dann präsentieren, was sie erarbeitet haben.
Wobei Kratzers Behauptung, sich auf „das Minimale“ reduziert zu haben, reichlich tiefgestapelt ist. Mit ihrem Zehnminüter ist ihr ein berührendes Zeugnis der Vergänglichkeit des Lebens gelungen. Sie hat Menschen getroffen, die einen runden Geburtstag feiern. Und erzählt das in Jahrzehnt-Etappen – von 100 bis 0 rückwärts.
An der HFF haben so renommierte Regisseure wie Maren Ade („Toni Erdmann“) und Caroline Link („Nirgendwo in Afrika“) studiert. Vielleicht wird auch Kratzer eines Tages in deren Fußstapfen treten. Nachdem sie in Weimar Medienkunst und -gestaltung studiert hatte, verschlug es sie, begeistert von einem Praxissemester beim Bayerischen Rundfunk, zum Film. Seit Oktober 2016 lernt sie in München. Die Idee zu „hundert Jahre leben“ kam ihr vor dem 80. Geburtstag ihrer Großmutter. „Meine Schwester wurde 14, und ich fand’ es lustig, wie sich die Einstellung zum Feiern im Laufe des Lebens verändert“, erinnert sich Kratzer. Und hing kurzerhand überall in der Stadt Zettelchen auf. Darauf der Satz: „Für die Umsetzung meines Dokumentarfilms bin ich auf der Suche nach Geburtstagskindern, die im Februar/März einen runden Geburtstag feiern.“ Sie meldeten sich alle, von Julia (20) über Momo (40) bis Heidi (80). Erst zeigt Kratzer ihre Protagonisten in Nahaufnahme, dann in der Totalen in ihrem Umfeld. Den 100-jährigen Hans etwa platziert sie auf dessen Wohnzimmersofa. Hinter ihm hängt ein übergroßes Foto seiner verstorbenen Frau. Sie waren 70 Jahre lang verheiratet. Es sind nur kurze Sequenzen, doch Kratzer gelingt es, die Essenz der Charaktere deutlich zu machen.
In der Mitte des Films steht ein Live-Moment: Jakob feiert in seinen 60. Geburtstag herein. Im Look der Fünfziger. Da sehen wir die Verkleideten, wie sie den Countdown herunterzählen. Für diese kurze Aufnahme mussten alle Gäste brav besagte Drehgenehmigung ausfüllen. So ist’s eben im Filmgeschäft.
Auch das mit dem jüngsten Geburtstagskind lief nicht wie geplant. Der Bub ließ auf sich warten. Der Geburtstermin verschob sich weiter und weiter nach hinten – und der Abgabetermin rückte näher. Aber dann, zwei Tage vor offizieller Deadline, die erlösende Nachricht: Der Kleine ist da! Schnell reisten Kratzer und ihr Team in die Nähe von Dachau und filmten das kleine Wunder. Die rührenden Aufnahmen von ihm kommen ganz zum Schluss. Das Ende vom Film ist der Anfang vom Leben.