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Zerstörte Kunsteisbahn stellt Tourismus im Berchtesgadener Land vor enorme Probleme

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Von: Hans-Joachim Bittner

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Hotel-Direktor Werner Müller schätzt die Werbung für die Region durch die internationale, zudem kostenfreie Medien-Präsenz im Bezug auf den Betrieb der Königsseer Kunsteisbahn als „unbezahlbar“ ein.
Hotel-Direktor Werner Müller schätzt die Werbung für die Region durch die internationale, zudem kostenfreie Medien-Präsenz im Bezug auf den Betrieb der Königsseer Kunsteisbahn als „unbezahlbar“ ein. © Hans-Joachim Bittner

Berchtesgaden - Werner Müller ist seit April 2015 Direktor des „Kempinski Hotel Berchtesgaden“ am Obersalzberg. Als Tourismus-Fachmann macht er sich natürlich Sorgen, wie sich der aktuelle Wegfall des Kunsteisbahn-Betriebs am Königssee auf die Gäste- und Übernachtungszahlen im Berchtesgadener Land auswirken wird – vor allem für die vielen eher kleineren Beherbergungsbetriebe. Wir haben mit dem 41-Jährigen, geboren in Krumbach, über diese Themen gesprochen.

Herr Müller, was ging Ihnen als erstes durch den Kopf, als Sie davon erfuhren, dass mehrere Flutwellen mit massig Geröll im Gepäck große Zerstörungen im südlichen Berchtesgadener Land anrichteten?

Werner Müller: An diesem 17. Juli war ich gerade bei einer Veranstaltung im Hotel „Adlon“ in Berlin. Von meiner Frau erhielt ich das Bild einer Mure, die von der Oberau Richtung Obersalzberg abgegangen war. Dann überschlugen sich die Ereignisse und ich sah die ersten Bilder vom Königssee und der Bahn. Natürlich galt mein erster Gedanke dem Hotel und unseren Gästen. Wir waren zu diesem Zeitpunkt voll ausgelastet – in Coronazeiten entspricht das einer 80 Prozent-Belegung, um das Hygienekonzept mit den Mindestabständen erfüllen zu können. Auf unserer Baustelle nebenan, dem neuen Personalhaus, waren gerade die ersten zwei Bodenplatten betoniert worden – darüber kreisten meine ersten Sorgen. Dass Menschen zu Tode gekommen waren, in Berchtesgaden, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Was dachten Sie, als Sie als nächstes von der Teilzerstörung der Kunsteisbahn hörten und die ersten Bilder sahen?

Müller: Ganz ehrlich und auf gut Deutsch: „Sch…“ – ich war erschrocken, was dort vom Berg runterkam und nahm sofort Kontakt zu Manuel Machata (2011 Bob-Weltmeister am Königssee / Anm. d. Red.) auf. Unser Haus pflegt ein partnerschaftliches, aber auch freundschaftliches Verhältnis zu ihm. Seine Rennbobs für die Taxifahrten sind teilweise bei uns untergebracht. Mittlerweile haben wir einen seiner Schlitten in unserer Lobby ausgestellt. Daneben eine Tafel, die die Schäden an der Bahn beschreibt – weil unsere Gäste gern diese Taxi-Bobfahrten buchen.

Sie haben in den Tagen nach der Flut-Katastrophe die Rettungsteams vor Ort unterstützt.

Müller: Wir haben die Feuerwehr und das THW mit Speisen versorgt. Die Bayerische Landesbank hat 100.00 Euro für den Soforthilfe-Topf gespendet, dazu kamen von uns 5000 Euro plus rund 2500 Euro von unseren Gästen.

Seit dem Unglück ist eine hoch-emotionale Debatte im Gange, ob die Bahn wiederhergestellt werden soll.

Müller: Die gerade stattfindende Diskussion verfolge ich natürlich intensiv: die mediale Berichterstattung, die Leserbriefe, die Stellungnahmen vom Nationalpark, den Grünen, dem Bund Naturschutz. Die Frage, was alles an dieser Bahn hängt, ist hochinteressant. Ich war und bin öfter dort, seit sich meine Kinder im Rodel-Training befinden. Daraus mache ich kein Geheimnis, weil es mit meiner Meinung zur Bahn wenig bis nichts zu tun hat. Seitens des Hotels buchen wir die Anlage vier- bis fünfmal im Jahr für unsere Mitarbeiter als Rodel-Event, weil ich so eine Bahn einzigartig finde – Möglichkeiten dieser Art gibt es schließlich nicht überall. Mit unseren Azubis gehen wir zum Beispiel auch einmal im Jahr zum Klettern an den Jenner. Mich erstaunte die jüngst von BSD-Vorstand Alexander Resch bekannt gegebene Zahl von über 11.500 Abfahrten pro Saison allein des Rennrodel- und Skeleton-Nachwuchses.

Welche Themen dieser Diskussion stehen für Sie im Fokus?

Müller: Es sind zwei gravierende. Die Diskussion, die auf touristischer Ebene geführt wird, ist natürlich interessant. Die Argumentation geht in meinen Augen jedoch zu sehr in eine Richtung – jene, wieviele Übernachtungen die Kunsteisbahn pro Jahr generiert. Für einige Betriebe, gerade kleinere wie die vielen Pensionen, ist sie existenziell. Selbst im Lockdown waren diverse Bob- und Rodel-Mannschaften zum Training hier. Das hat einigen ein Stückweit die Existenz gesichert. Was jedoch in dieser Diskussion bislang völlig untergegangen ist: Die Strahlkraft, die diese Bahn verströmt, vor allem in der Medienlandschaft – in Bayern, in Deutschland und weit darüber hinaus. Ich war lange Jahre in St. Moritz tätig. Dieser Ort profitiert noch heute von den Olympischen Spielen 1948, also vor bald 74 Jahren. Ich war jüngst in Stuttgart, schlug dort die Zeitungen auf, las vom Bobsport, vom Rodeln. Ein Leistungszentrum wie jenes in Berchtesgaden schafft eine Verbreitung an kostenfreier Medien- und PR-Präsenz von unschätzbarem Wert.

Außerdem benötigt eine Tourismusregion diese Leuchtturm-Projekte, dazu gehört auch die neue Jennerbahn.

Sind die Übernachtungszahlen tatsächlich nicht das Entscheidende?

Müller: An ihnen würde ich es nicht festmachen. Es ist vielmehr der Medienwert, der hier durch die Eisarena am Königssee generiert wird. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten berichten während der Saison das ganze Wochenende über viele Stunden vom Wintersport. Die Tageszeitungen im Anschluss. Das Berchtesgadener Land, Berchtesgaden selbst, der Königssee werden mehrfach täglich erwähnt und somit positiv in die ganze Welt hinausgetragen – das alles kostet uns keinen Cent. Diese (Positiv-)Werbung könnten wir weder schaffen geschweige bezahlen.

Spüren Sie in Ihrem Hause den aktuellen Wegfall des Kunsteisbahn-Betriebs am Königssee?

Müller: Nicht so sehr. Mit dem Bahnbetrieb verzeichnen wir an den Weltcup-Wochenenden verstärkt Buchungen von Sponsoren, Firmen und Anfragen für Events. Durch das mehrfach durchgeführte Historic-Race – das historische Bob-Rennen zwischen den Weltcup-Rennen – zogen wir nicht nur berühmte Sportgrößen früherer Tage, sondern auch „gewichtige“ Unternehmer aus dem Wirtschaftsbereich ins Berchtesgadener Land.

Laut Bahn-Gegner bevölkern den Königssee „schon jetzt“ viel zu viele Gäste.

Müller: Das ist eine strategische Sache, über die wir reden müssen. Das Berchtesgadener Land steht im Zwiespalt jener Betriebe, die sagen, wir brauchen Volumen. Es gibt Regionen, die gezeigt haben, dass man das qualitativ hochwertig betreiben kann. Aber das Sache der Positionierung der Region und ein Prozess über Jahre hinweg.

Wie hoch schätzen Sie die Chance des Kunsteisbahn-Wiederaufbaus ein?

Müller: Diese Frage stellt sich mir nicht. Für mich kommt der Wiederaufbau so oder so. Weil gerade die Sportarten Bob und Rodeln hier tief verwurzelt sind. Außerdem gibt es die Zusagen von Bund und Ländern.

Viele kritisieren, dass die Bahn lediglich saisonal genutzt wird.

Müller: Es sollte hier nicht außer Acht gelassen werden, dass die Bob- und Rodelbahn das Thema Tourismus gerade im Winter befeuert. Denn unsere starken Gäste-Monate liegen eindeutig im Sommer. Durch die Anlage kann man sich das auch im Winter zunutze machen. Nehmen wir einen Felix Loch oder nach wie vor einen Georg Hackl. Seine Außenwirkung hält bis heute in einer außergewöhnlichen Art und Weise an. Der „Hirscheckblitz“, die Rodelstrecke für jeden, wird mit dem Schorsch beworben – das ist gelebte Nachhaltigkeit und ein riesiges Thema, welches ohne die Bahn am Königssee in vielen Bereichen wegbrechen würde. Und hier sprechen wir noch lange nicht von Overtourism (Begriffserklärung siehe Kasten).

Sind jene Informationen wichtig, wieviele Betriebe, Bereiche und letztlich Menschen von der Bahn profitieren?

Müller: Sicher. Die „Gegner“ des Wiederaufbaus argumentieren jedoch, dass die im Raum stehende, zweistellige Millionensumme „ein paar Arbeitsplätze“ nicht rechtfertigt. Aber: Ohne diese Bahn wäre der Stützpunkt nicht hier vor Ort. Durch ihn wird die Region international bekannt gemacht. Man muss sich entscheiden: Will man ein Nachwuchs-Leistungszentrum oder nicht. Fakt ist, dass der Sport in Deutschland eine enorm wichtige Säule im Kinder- und Jugendbereich darstellt – egal in welcher Sportart. Wir müssen doch froh sein, unseren Kindern und Jugendlichen diese Möglichkeiten hier bieten zu können.

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