Warum die Berge heißen, wie sie heißen
Missverständnis, Poesie oder Alltagsweisheit: Die Namensgeschichte der Berge ist so abwechslungsreich wie die Formen ihrer Gipfel. Woher die Bergnamen kommen – und weshalb dabei manchmal ziemliche Verwirrung herrschte.
Namen und Benennung im Gebirge
von Josef Ametsbichler
München – Der arme Beamte, der im Jahr 1485 die Grenze zwischen dem Allgäu und Tirol kartieren sollte, muss sich die Haare gerauft haben. „Ich kann die Namen der Berge nicht erfahren!“, ist seine Klage überliefert. Denn in jedem Tal nannten die Einheimischen dieselben Gipfel anders, zu denen sie aus unterschiedlicher Richtung hinaufblickten.
Wenn sie überhaupt einen Namen für die Berge hatten – je felsiger und vereister, desto uninteressanter waren die Massive für das Alltagsleben. Getauft wurden Almen, Pässe, Täler – nicht die Gipfel. „Erst als die Touristen in die Berge kamen, wurde es notwendig, wirtschaftlich unbedeutende Berge mit Namen zu benennen“, sagt der Volkskundler Martin Scharfe (81) von der Universität Marburg. Bei seinem Vortrag am Donnerstagabend im Alpinen Museum in München spürte er – bewaffnet mit Kartenmaterial und Zeigestock – der Frage nach, wie die Berge zu ihren Namen kamen. „Der Wirrwarr um die Bergnamen war lebensgefährlich“, sagt Scharfe. Bevor sich im Lauf des 19. Jahrhunderts dank der Landvermesser und der ersten Alpin-Touristen auch die entlegenen Gipfel einer Taufe nicht erwehren konnten, verirrten sich immer wieder Bergsteiger wegen widersprüchlicher Namen.
Scharfe nennt das Beispiel einer Forscherexpedition zur 4158 Meter hohen Jungfrau in den Berner Alpen: Die einheimischen Bergführer, die aus zwei verschiedenen Tälern stammten, gerieten in Streit darüber, welcher von zwei Bergen nun die Jungfrau sei – beide hatten aus ihrer Perspektive recht. Trotzdem musste einer nachgeben: Der niedrigere der beiden Gipfel heißt wegen der Verwechslung im Jahr 1841 bis heute Trugberg (3933 m).
Und manchmal, so Scharfe, gingen die Bergnamen heutiger Karten sogar auf Schreibfehler der Kartografen oder gar den spontanen Einfallsreichtum eines mit – manchmal derbem – Humor gesegneten Einheimischen zurück. Vielleicht eine Erklärung, weshalb es im österreichischen Dachsteingebirge einen „Arschlochwinkl“ gibt.
In den bayerischen Alpen dagegen hielt sich die Namensverwirrung in Grenzen. Hierzulande waren die Berge nicht so entrückt, ihre Hänge meist seit Jahrhunderten bewirtschaftet – und daher auch die Gipfel längst mit einem Namensetikett versehen. Der Namensforscher Wolf-Armin von Reitzenstein (77) von der Ludwig-Maximilians-Universität München kennt die Namensgeschichte der bayerischen Berge wie kein Zweiter. Die Zugspitze (2962 m), erklärt er, ist benannt nach Lawinenrinnen, den „Zügen“, die sich an einem Nordhang hinabziehen. „Der Name ist hinaufgewandert“, sagt von Reitzenstein. „Über den Zügen liegt der Zugspitz.“ In der alten Mundartform ist Deutschlands höchster Berg ein männliches Wesen.
Manchmal liegt einem Bergnamen auch eine Alltagserfahrung zugrunde: Das Sonntagshorn (1961 m) im Chiemgau, erzählt von Reitzenstein, trägt seinen Namen wegen seiner sanften, ungefährlichen Südseite. Dort konnten die Hirten ihr Vieh unbeaufsichtigt weiden lassen, wenn sie sonntags zur Messe ins Tal stiegen. Und oft ist die Taufe optisch bedingt, sagt von Reitzenstein: Der Gipfel der Kampenwand (1669 m) ist geformt wie ein Kamm, der Saurüsselkopf (1271 m) – nun ja. Solche Namen halten sich im Volksmund manchmal beharrlich gegen alles Kartenmaterial: Den Rotofen (1460 m) im Berchtesgadener Land nennt der Volksmund bis heute – dem markanten Gesichtsprofil eines legendären bayerischen Staatsreformers geschuldet – „Montgelas-Nase“.