Angelika Schorer im Interview
Von der Bundesregierung „enttäuscht“: Warum die BRK-Präsidentin die Corona-Politik kritisiert
- VonKatrin Woitschschließen
BRK-Präsidentin Angelika Schorer wird seit Wochen mit den Hilferufen von Pflegekräften und Rettungssanitätern konfrontiert. Im Interview berichtet sie, welche Probleme gerade am größten sind – und was die Helfer von der Politik erwarten.
Die Pandemie-Pläne der Politik für den Herbst gehen dem Bayerischen Roten Kreuz nicht weit genug. Deshalb hat der Verband einen eigenen Plan aufgestellt. Neben kostenlosen Tests fordert das BRK unter anderem auch, den Pflege-Rettungsschirm zeitnah wieder zu reaktivieren, um Einrichtungen zu entlasten. Im Interview berichtet BRK-Präsidentin Angelika Schorer, welche Probleme gerade am größten sind – und was die Helfer von der Politik erwarten.
Das BRK will einen eigenen Pandemieplan für den Herbst aufstellen. Vertrauen Sie zu wenig auf die Pläne der Politik?
Angelika Schorer: Wir alle hatten gehofft, dass die Infektionszahlen im Sommer zurückgehen. Es ist verständlich, dass die Menschen wieder unterwegs sein und einen geselligen Sommer genießen möchten. Problematisch ist aber, dass kaum noch getestet wird. Wer nicht weiß, dass er Corona hat, steckt andere an. Die Testnachfrage ist enorm eingestürzt, seit die Tests kostenpflichtig sind. Die Testverordnung muss dringend auf den Prüfstand, das Angebot muss hochgefahren und die Hürden abgebaut werden, um für den Herbst gut aufgestellt zu sein. Unsere Testzentren können nicht von heute auf morgen ihr Angebot ausbauen. Wir müssen auch darüber diskutieren, ob die Tests wieder in mehr Bereichen nötig sind.
Sie sind nicht nur BRK-Chefin, sondern auch CSU- Landtagsabgeordnete. Bringt Sie das jetzt in einen Konflikt?
Angelika Schorer: Als Politikerin weiß ich, dass es nicht immer leicht ist, schnell etwas zu erreichen. Ich bin aber in engem Austausch mit unseren Landesministern und kann sie auf die Probleme aufmerksam machen, die mir unsere Rettungs- oder Pflegekräfte schildern. Gerade beim Thema Testen und dem Schutz der vulnerablen Gruppen war und bin ich sehr hartnäckig.
Aktuell ist Corona kein großes Thema, in München findet bald die Wiesn statt. Steuert die Politik in die falsche Richtung? Gibt es zu viele Lockerungen?
Angelika Schorer: Besonders von der Bundesregierung bin ich enttäuscht. Die Lage in den Pflegeheimen und beim Rettungsdienst ist so angespannt, wie nie zuvor. Viel Personal fällt gerade Corona-bedingt aus, Dienstpläne müssen ständig umgeschmissen werden, freie Betten können nicht mehr belegt werden, weil Kräfte fehlen. Rettungswagen müssen Notfallpatienten lange Strecken transportieren, weil viele Krankenhäuser abgemeldet sind. Die Hilferufe sind seit Wochen laut – aber sie werden zu wenig gehört.
Für Sanitäter und Pflegekräfte gab es kaum eine Verschnaufpause. Wie groß ist Ihre Sorge, Helfer wegen der dauerhaften Überlastung zu verlieren?
Angelika Schorer: Darüber mache ich mir Sorgen, der Frust ist groß. Zum Glück haben wir bisher kaum jemanden verloren. Wer in diesen Berufen arbeitet, gibt nicht so schnell auf. Der Zusammenhalt ist nach wie vor sehr groß. Das hält das System noch am Leben. Aber gerade in der Pflege haben uns schon vor Corona die Leute gefehlt. Im Rettungsdienst ist die Entwicklung neu.
Wie schwierig ist es, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben?
Angelika Schorer: Das Anwerben ist uns schon oft gelungen. Wir haben viele ausgebildete Kräfte aus Mexiko nach Bayern geholt. In ihrer Heimat ist der Fachkräftebedarf niedrig. Die bürokratischen Anerkennungsverfahren sind aber das Problem – sie sind sehr langwierig, manchmal dauern sie bis zu einem Jahr. Wir fordern, dass in den zuständigen Ämtern mehr Stellen geschaffen werden, um die Verfahren zu beschleunigen. Und das muss schnell passieren.
Wie viele Pflegekräfte haben Sie durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht verloren?
Angelika Schorer: Zum Glück waren es nicht viele – aber jede und jeder Einzelne tut weh. Mehr als 90 Prozent der Mitarbeitenden in den Einrichtungen sind geimpft. Die einrichtungsbezogene sollte nur ein Vorbote der allgemeinen Impfpflicht sein. Das hat viele verärgert, sie fühlen sich hintergangen. Der Frust ist groß.
Auch in den Kitas fehlt das Personal, viele Einrichtungen müssen deswegen ihre Betreuungszeiten verkürzen.
Angelika Schorer: Und sie machen sich Sorgen, dass sie sich im Herbst wieder um die Abwicklung der Corona-Tests kümmern müssen. Das Testen ist wichtig und muss stattfinden, aber das Personal muss entlastet werden. Auch das ist eine unserer Forderungen. Wir brauchen weniger Bürokratie, einfachere Regeln, damit die Erzieherinnen Zeit für ihre eigentliche Arbeit – die Kinder – haben.
Der Rettungsdienst muss grade weite Anfahrtswege meistern, weil viele Notaufnahmen überlastet sind. Woran liegt das?
Angelika Schorer: Ein großes Problem ist, dass viele Menschen den Rettungsdienst rufen, die eigentlich in eine Arztpraxis müssten. Das führt zu 70 Prozent mehr Fehleinsätzen als noch vor Corona. Die Kassenärztliche Vereinigung muss die Öffnungszeiten in den Bereitschaftspraxen ausweiten – gerade jetzt, wo so viele Arztpraxen durch Corona-bedingte Ausfälle überlastet und urlaubsbedingt geschlossen sind. Es ist viel mehr Aufklärung nötig, dass die 112 wirklich nur für Notfälle gedacht ist. Die 116 117 ist für alle anderen Fälle – und offenbar noch nicht bekannt genug.
Fühlen sich viele BRK-Kräfte von der Politik alleingelassen?
Angelika Schorer: Sie wünschen sich mehr Rückhalt. Und natürlich mehr Anerkennung. Das höre ich immer wieder. Dabei geht es nicht nur um eine bessere Bezahlung. Die Arbeitsbedingungen müssen sich endlich verbessern. Bonuszahlungen und steuerliche Vergünstigungen helfen nicht mehr, wenn alle wochenlang an ihrer Belastungsgrenze arbeiten müssen. Es zermürbt viele Pflegekräfte, dass freie Betten aus Personalnot nicht belegt werden können. Viele wünschen sich mehr Handlungskompetenzen und weniger Bürokratie.