Unsere Heimatkolumne
Was bei meinem Abendspaziergang durch ein geöffnetes Fenster drang, klang nicht nach Anne-Sophie Mutter. Wahrscheinlich mühte sich ein Kind mit Saiten und Bogen ab, nicht gerade ein Genuss für Nachbarn auf angrenzenden Balkonen.
Ich erinnerte mich, dass ich als Mädchen auch unbedingt ein Streichinstrument erlernen wollte. Nach ein paar Wochen Akkordeon-Unterricht wurde meine Musik-Karriere aber mangels Begabung bereits zu den Akten gelegt.
Meine Freude an Geigenklängen blieb dennoch ungetrübt. Geigen – sie klingen nur für ungeübte Ohren alle ziemlich gleich. Für Virtuosen sind sie jene Stimmen, die ihr Spiel unvergleichlich machen. Hochbegehrt natürlich die Geigen von Antonio Stradivari, etwa 600 seiner Meisterstücke aus seiner Glanzzeit zwischen 1700 und 1725 sollen noch existieren. Bis heute gilt ihr Klang unübertroffen – wie auch ihre Preise. Astronomische Summen werden geboten. 3,5 Millionen Dollar brachte bei einer Auktion „The Hammer“ ein, die ihren Namen dem ersten urkundlichen Besitzer, dem schwedischen Hofjuwelier Christian Hammer verdankt.
2011 war die „Lady Blunt“ einem unbekannten Bieter im Auktionshaus „Christie’s“ 12,7 Millionen Euro wert, die „Vieuxtemps“ erzielte über 13 Millionen Euro. David Garrett, der schnellste Geiger der Welt, liebt seine „Busch“-Stradivari, die sicher entsprechend versichert sein wird. 2008 ließ der russische Star-Geiger Maxim Vengerov seine Geige, auf der schon Yehudi Menuhin spielte, im Taxi liegen – am nächsten Tag erhielt er sie zurück und gab aus Dankbarkeit am Flughafen von Newark ein Konzert für alle Taxifahrer.
Die berühmten Geigenkinder von Kalimpong im Norden Indiens musizieren bescheidener, aber nicht mit weniger Freude. Ab dem vierten Lebensjahr werden Schüler der Gandhi-Ashram-Schule unterrichtet. Klassische Musik am Rande des Himalaya. Geigen lassen die Kleinen ihre Armut vergessen – mit ihren Klängen entfliehen sie dem Alltag in die Welt der schönen Träume.
Dass Musik manchmal ein Stück Himmel bedeuten kann, erlebt man auch in München beim Besuch der Liebfrauenkirche. Obwohl der Teufelstritt in der Eingangshalle für Besucher natürlich interessant ist: Ich erzähle Gästen lieber von den Domgeigen. Unglaublich, dass sie aus Baumstämmen gefertigt wurden, die schon zu Barbarossas Zeiten wuchsen. Das uralte Holz wurde für den Dachstuhl der Frauenkirche, bis heute das Wahrzeichen Münchens, verwendet.
Nach dem zweiten Weltkrieg lag alles in Schutt und Asche. Doch der Instrumentenbauer Franz Fuchs versuchte, über die Runden zu kommen – und suchte in den Ruinen des Doms nach brauchbarem Material. Er wurde fündig: das Holz des eingestürzten Dachstuhls! Ein wahrer Segen. Glücklicherweise erhielt er die urkundliche Genehmigung, das Holz für seine Zwecke zu erwerben.
Geigen bauen, während die Not leidenden Münchner dringend Brennholz brauchten? Nicht jeder soll damals Verständnis dafür gehabt haben. Längst ist der besondere Klang der Domholz-Geigen berühmt. Welch ein Erlebnis, wenn sie in der Frauenkirche zum Klingen gebracht werden. Dann ist man dem Himmel tatsächlich ein Stück näher. Aber auch in Mittenwald hängt der Himmel voller Geigen. 1648 brachte Mathias Klotz das Handwerk aus Italien mit in seinen Heimatort. 200 Jahre später wurde die Geigenbauschule gegründet, die bis heute Schüler aus aller Welt anzieht, um das schöne, fast zärtliche Handwerk zu erlernen. Im Juni 2014 findet dort übrigens der 7. Internationale Geigenbau-Wettbewerb statt.
Die Geige am Fenster ist längst verstummt, mein Abendspaziergang zu Ende. Dennoch habe ich jetzt eine Melodie im Ohr: „Wie von tausend Geigen singt und klingt es, ganz leise, ganz leise singt die Nacht Ihr Lied…“
In diesem Sinn –
herzlich
Ihre Carolin
Fernsehtipp
Die „Bayern-Tour“ mit Carolin Reiber am 31. Juli um 20.15 Uhr im BR. Diesmal aus Höslwang im Chiemgau.