Dramatische Halbjahres-Bilanz
Dutzende verlieren ihr Leben: So viele Tote wie noch nie in Oberbayerns Bergen
Die Zahlen sind alarmierend: Noch nie verloren so viele Menschen ihr Leben in Oberbayerns Bergen wie im ersten Halbjahr 2022. Die Ursachen dafür sind vielfältig.
Von Kilian Pfeiffer und Sabine Dobel
Schönau – Joachim Herrmann steht an der Mittelstation der Jennerbahn oberhalb des Königssees. Die Aussicht ist wunderschön – doch der Anlass für seinen Besuch hier ist ein Negativ-Rekord. In Bayern geraten seit einigen Monaten so viele Menschen wie nie in Bergnot. Deswegen sind Herrmann und Justizminister Georg Eisenreich (beide CSU) ins Berchtesgadener Land gereist, um sich vor Ort mit Bergexperten zu unterhalten und sich eine Rettungsübung anzusehen.
Südliches Oberbayern: 30 Tote im ersten Halbjahr
55 Menschen sind 2021 im südlichen Oberbayern in den Bergen verunglückt – das war der höchste Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Und dieses Jahr deutet sich schon an, dass es noch mehr Einsätze werden. Bereits im ersten Halbjahr sind 30 Menschen bei einem Absturz ums Leben gekommen. Alarmierende Zahlen, betont Klaus Stöttner, der Vorsitzende des Kuratoriums für alpine Sicherheit. „Mountainbiken und Bergsteigen lagen noch nie so im Trend wie gerade.“
„Nicht jede Tourenbeschreibung im Internet ist gut“
Und immer mehr Hobby-Bergsteiger verlassen sich auf eine teure Ausrüstung und Apps, betonte Eisenreich. „Nicht jede Tourenbeschreibung im Internet ist gut.“ Apps gebe es viele. „Doch man muss sie bewerten können.“ Selbstüberschätzung ist bei der Wahl der Touren der häufigste Grund dafür, dass Wanderer in Not geraten. Beppo Maltan, der Alpenvereins-Vorsitzende im Berchtesgadener Land, kann das nur bestätigen.
„Viele Beschreibungen im Internet geben Bergtouren als Wanderungen aus“, erklärt er. Die Gefahr liege im Detail. Erst im Juni mussten im Kleinwalsertal mehr als 100 in Bergnot geratene Schüler und Lehrer gerettet werden, weil die Lehrkräfte eine Tour im Internet ausgewählt und die Route falsch eingeschätzt hatten.
Der Zustrom in die Natur und die Berge hat stark zugenommen, berichtet Martin Emig vom Polizeipräsidium Oberbayern Süd. Das spiegle sich auch in den Unfallzahlen wider. Ein Teil habe wenig Erfahrung, manche seien sogar leichtsinnig. Man sei gut beraten, bei örtlichen Bergführern oder Tourismusverbänden Informationen einzuholen, ob das Ziel wie geplant erreichbar sei. Gerade im Frühjahr hatte gutes Wetter Menschen frühzeitig in die Berge gelockt – obwohl Polizei und Bergwacht vor winterlichen Verhältnissen und gefährlichem Altschnee in höheren Lagen warnten.
Wanderer rutschten mehrfach auf Schnee und Eis aus
Mehrfach stürzten Wanderer in den Tod, weil sie auf Eis und Schnee ausrutschten. „Lange Schönwetterperioden führen dazu, dass sich der Trend in die Berge noch verstärkt“, sagt Julia Janotte von der Sicherheitsforschung des Alpenvereins. Die meisten Unfälle ereignen sich beim Wandern. Der DAV berichtete 2020 auch von mehr Einsätzen an Klettersteigen und beim Mountainbiken.
Innenminister Herrmann will die Bayerische Polizei angesichts der vielen Einsätze besser ausstatten. Ab kommendem Jahr wird es acht leistungsfähigere Polizeihubschrauber geben. Die Maschinen vom Typ Airbus H145 können mit bis zu sechs Personen doppelt so viele Rettungskräfte oder Verletzte transportieren wie bisher.
„Jeder sollte gut vorbereitet sein“
Justizminister Eisenreich sagt: „Wir wollen, dass möglichst viele Menschen die Schönheit der Berge genießen können. Jeder sollte aber gut vorbereitet sein und eine Route wählen, die den eigenen Fähigkeiten entspricht.“ Fehlverhalten in den Bergen könne auch strafbar sein, mahnte er.