Riskantes Flugmanöver
Als Franz Hailer beschloss, auf der Zugspitze zu landen
Franz Hailer blickt hoffnungsvoll in den Himmel über Schleißheim. Dieser 19. März 1922, ein Sonntag, beginnt mit strahlendem Sonnenschein und verspricht bestes Flugwetter. Freilich ist etwas Aufregung dabei, da Hailer und seine zwei Begleiter den nun seit über zehn Jahren ins Auge gefassten Plan endlich verwirklichen wollen. Der Start musste in den Tagen zuvor schon zweimal wegen des Wetters und technischen Problemen verschoben werden. An jenem Sonntag steht seine Maschine auf dem Schleißheimer Flugfeld startbereit. Neben Hailer begleiten ihn der Flieger Theo Rockefeller, der beim Flugzeugbauer Rumpler als Konstrukteur arbeitet, und der Fliegerfotograf Willi Ruge. Das Wetter scheint wieder nicht gut zu werden. Starker Nordwestwind ist vorhergesagt. Soll auch dieser Versuch verschoben werden? Franz Hailer entscheidet sich für den Start. Um 8.30 Uhr hebt die schwerfällige Maschine mit den drei Männern ab.
Franz Hailer kennen heute wohl nur noch jene Menschen, die sich etwas näher mit bayerischen Flugpionieren beschäftigt haben. Der am 25. Juni 1886 als Sohn eines Standesbeamten in München Geborene entschloss sich nach der Schulzeit zu einer Karriere als Berufsoffizier in der bayerischen Armee. Mitte Juli 1905 kam er als Fahnenjunker zum achten bayerischen Infanterie-Regiment „Großherzog Friedrich II. von Baden“ nach Metz. 1907 wurde er dort zum Leutnant befördert. Anfang Juli 1911 ließ sich Hailer in Döberitz bei Berlin zum Flugzeugführer ausbilden. Der kleine Ort war die Keimzelle der deutschen Vorkriegsfliegerei. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges nahm er an vielen Zivil- und Militärflugwettbewerben teil, während des Krieges diente er in der bayerischen Fliegertruppe, vornehmlich an der Westfront. Ende Februar 1920 wurde er mit dem Charakter eines Majors aus der Armee entlassen.
Die Alpen gelten in den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg nicht gerade als flugfreundliches Gebiet. Die damalige Flugtechnik ist noch nicht ausgereift genug. Erfahrungen für den Gebirgsflug gibt es nur wenige. Franz Hailer packt der Ehrgeiz. Er setzt sich in den Kopf, mit einem Flugzeug auf der Zugspitze zu landen. Als einzig möglicher Ort kommt der Schneeferner Gletscher auf dem Zugspitzplatt infrage. Eine 40 Meter breite und 200 Meter lange „Piste“ bietet sich als Landeplatz an.
Die größte Schwierigkeit ist es, nach dem verlorenen Krieg ein Flugzeug zu bekommen. Deutschlands Luftwaffe existiert durch den Versailler Vertrag von 1919 praktisch nicht mehr. Der Krieg ließ keine zivilen Maschinen übrig. Die Firma Rumpler aus Berlin, einstmals einer der größten Flugzeugproduzenten Deutschlands, greift Franz Hailer schließlich unter die Arme. Er bekommt einen Rumpler C I. aus dem Jahr 1915 mit 150-PS-Benzmotor zur Verfügung gestellt.
Nach anfänglich gutem Vorankommen macht der starke Nordwestwind Hailer und seinen Begleitern zu schaffen. Nur langsam kommen sie voran. Immer wieder treibt sie der Wind ab, die Berge sind fast vollständig in Wolken gehüllt. Franz Hailer glaubt schon nicht mehr an einen Erfolg, als sich auf einmal eine kaum mehr für möglich gehaltene Gelegenheit bietet: „Da riss der Wind die Wolken aus der Scharte zwischen Hochblassen und der äußersten Höllentalspitze und mit raschen Entschluss drückte ich die Maschine in tosender Fahrt durch ein Loch hinunter ins Reintal.“ Durch schwere Fallböen verliert Hailer über 200 Meter Höhe. Schließlich gelingt es ihm, auf dem Schneeferner Gletscher aufzusetzen. Nach 50 Metern kommt die Maschine zum Stehen. An einem Punkt, der 2600 Meter hoch gelegen ist. Das Undenkbare gelingt.
Beim Landen sinkt die Maschine jedoch in den Schnee, der Propeller wird beschädigt. An einen Rückflug ist an diesem Tag nicht mehr zu denken. Die Männer steigen zur Knorrhütte ab, um sich über die Rückflugstrategie zu beraten. Plötzlich kommt ein Wettersturz mit starkem Schneefall. Dieser macht alle Pläne zunichte und zerstört die Rumpler C I. restlos. Dennoch hat Franz Hailer zeigen können, was mit einem Flugzeug möglich war.
Der Münchner blieb der Fliegerei sein Leben lang treu. In den 1920er- und 30er-Jahren war er für verschiedene Fluggesellschaften tätig. Unter anderem erhielt er einen der Direktorenposten bei der Deutschen Lufthansa. Am 15. April 1925 gelang ihm mit einer Dornier Komet III die erste Alpenüberquerung mit einem Passagierflugzeug. Während des Zweiten Weltkrieges wurde er zur Luftwaffe eingezogen und diente vornehmlich in der Heimat. Bis ins hohe Alter stand er als Sachverständiger in Fragen des Luftverkehrs zur Verfügung. Am 7. Oktober 1969 starb Franz Hailer im Alter von 83 Jahren in seiner Heimatstadt und fand dort die letzte Ruhe. immanuel voigt