Künstler im Fels
Der Ausnahme-Kletterer Hans Dülfer starb mit nur 23 im 1.
Weltkrieg
Es war ein warmer und sonniger Tag Ende Juli 1914 mitten in den Dolomiten. Luis Trenker, damals lediglich als lokaler Bergführer bekannt, sollte eigentlich eine Tour zusammen mit einem Herrn Doktor führen, doch sein Gast aus Wien war durch die Zeitungsmeldungen der letzten Tage ein wenig beunruhigt und hatte keine rechte Lust zum Klettern. Also ging Trenker zurück zur Regensburger Hütte, nahe seines Heimatdorfes St. Ulrich in Gröden. Dort traf er unverhofft auf einen jungen Deutschen, der ihm, obwohl sich die beiden vorher noch nie begegnet waren, wohl bekannt war: Hans Dülfer. Der Rheinländer gehörte damals zu den besten Kletterern seiner Zeit oder, wie Luis Trenker später in seinem autobiografischen Roman „Sperrfort Rocca Alta“ schrieb, „er ist mehr als ein Kletterer, er ist der Künstler im Fels, er vermag das Unmögliche“.
Umso erfreulicher für Trenker, dass Dülfer ihn einlud, zusammen mit ihm die Furchetta-Nordwand, die bis dato unbezwungen war, zu besteigen. Also begaben sich die beiden Männer am nächsten Morgen um 1 Uhr auf den Weg. Etliche Bergführer hatten bisher an der 850 Meter steilen Wand in der Geislergruppe aufgeben müssen, galt sie damals doch als Inbegriff der Extremkletterei, die mit dem VI und teilweise VII Grad bewertet wurde. Die beiden Männer begannen trotzdem hoch motiviert den Einstieg. Bald häuften sich die Schwierigkeiten auch für Dülfer und Trenker. Das Gestein war morsch, Halte oder Tritte nur schwer zu finden. Eine Tour mit ungewissem Ausgang.
Ehe hier das Ende verraten wird, ein kurzer Abstecher zur Vita des jung verstorbenen Klettergenies Dülfer, der heute nur Experten etwas sagen wird. Geboren wurde er vor 125 Jahren als Johannes Emil Dülfer am 23. Mai 1892 im rheinischen Barmen, heute ein Stadtteil von Wuppertal, als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns. Durch seinen Vater lernte er als Jugendlicher die Alpen kennen und bestieg erste Gipfel. Die Bergtouren intensivierten sich, als der junge Hans 1911 zum Studium nach München zog. Obwohl musikalisch begabt, musste er auf Anweisung des Vaters zunächst Medizin, Jura und Philosophie studieren. Erst später konnte er ein Musikstudium beginnen, als der Vater dem Drängen seines Sohnes schließlich nachgab. Wann immer es die Zeit zuließ, war Hans Dülfer in den Bergen unterwegs. Vor allem der Wilde Kaiser und die Dolomiten hatten es ihm angetan. Es versteht sich dabei von selbst, dass der junge Mann nicht nur Mitglied in der Alpenvereinssektion Dortmund, sondern auch in der Akademischen Sektion München und der Sektion Bayerland war, um dort mit Gleichgesinnten zusammen- zutreffen.
In erstaunlich kurzer Zeit perfektionierte der Rheinländer sein Können. Er, der als Jugendlicher noch vom Sportunterricht wegen seiner schwächlichen Statur suspendiert wurde, kletterte nun Felsen im V. und VI. Grad empor. Dem Sportkletterer gelangen bald eindrucksvolle Gipfelsiege, wie etwa die Erstbegehung der Fleischbank-Ostwand (1912) oder, von vielen später als sein Meisterstück beschrieben, die Ersteigung der Totenkirchl-Westwand (1913), beide im Wilden Kaiser gelegen. Auch in den Dolomiten eroberte er die Berge, so zum Beispiel bei der erstmaligen Besteigung der Westwand der Großen Zinne.
Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam Dülfer so auf 50 Erstbegehungen und gehörte damit zu den besten Kletterern seiner Zeit. Zugleich brachte der junge Mann die Klettertechnik mit dem von ihm ausgedachten schiefen Abseilen (Seilquergänge) und dem sogenannten Dülfer-Sitz (eine Abseiltechnik) richtungsweisend voran. Spätere Bergsteigerikonen wie Emilio Comici sahen daher in Hans Dülfer einen „Bahnbrecher und Verfechter der modernen Technik“. Reinhold Messner beschrieb sein Klettern gar als „Tanz in der Senkrechten“.
Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges meldete sich Hans Dülfer als Kriegsfreiwilliger in München zu den Waffen und kam Anfang Dezember 1914 zum Rekruten-Depot des II. Ersatz-Bataillons des 20. bayerischen Infanterie-Regiments „Prinz Franz“ nach Lindau. Dort versah er eine ganze Zeit lang seinen Dienst, bis er Mitte März 1915 zur 2. Kompanie seiner Einheit an die Westfront bei Arras geschickt wurde. Am Nachmittag des 16. Juni 1915, gegen 17 Uhr, fiel Hans Dülfer mit nur 23 Jahren in der Schlacht bei Arras-La Basse, als ihn ein Granatsplitter tödlich am Hals verwundete. Man begrub ihn vor Ort auf einem kleinen Friedhof. Später wurde er in ein Kameradengrab auf dem Soldatenfriedhof in Neuville-St.Vaast umgebettet, wo er noch heute ruht.
Übrigens, das Duo Dülfer-Trenker scheiterte ebenfalls an der Furchetta-Nordwand, als beide nach 17-stündiger Kletterei kaum vorangekommen waren und sie ein Unwetter zur Umkehr zwang. Nur mit Mühe entkamen beide dem Tod. Erst 1925 sollte eine Münchner Seilschaft die unbezwingbare Wand überwinden. immanuel Voigt