Oberstaatsanwalt geht in Bayern gegen Cyber-Hetzer vor
Internet-Hater und Trolle: Dieser Mann macht Jagd auf sie!
- VonAndreas Thiemeschließen
Der Mann, der seit zwei Jahren bayerische Hetzer ins Gefängnis bringt, kommt mit dem Rad zum Treffpunkt. Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Hartleb aus München macht sich bereit für eine neuen Razzia gegen Hass und Verleumdung.
Es ist 5.30 Uhr. Das Thermometer zeigt minus zwei Grad, als Klaus-Dieter Hartleb (51) die Hansastraße erreicht. Ohne Mütze, ohne Handschuhe. Hartleb trägt ein blaues Hemd, darüber eine leicht gefütterte Jacke – und sieht aus, als wäre er schon joggen gewesen.
Der Oberstaatsanwalt leitet am Dienstag die bayernweite Razzia gegen 17 Beschuldigte. In zwölf anderen Bundesländern rücken Kollegen aus. Auf der Liste: Menschen, die im Internet Politiker beschimpfen, bedrohen oder ihnen den Tod wünschen. „Hatespeech“ heißt der englische Fachbegriff, was so viel bedeutet wie Hassrede oder Hasskommentar. „Das hat ein erschreckendes Ausmaß angenommen“, sagt Hartleb.
Für Verleumdung drohen sechs Jahre Haft
Mit zwei Kripo-Beamten macht sich Bayerns Hatespeech-Beauftragter auf den Weg zu einer Wohnung in der Münchner Maxvorstadt. Es ist noch dunkel, Hartleb schaut in die Akte des Verdächtigen: männlich, um die 30, nicht verheiratet, keine Kinder. Mitte August soll der Mann Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bei Facebook verunglimpft haben – mit Bildern, die Söder gefälschte Zitate zum Impfen in den Mund legen. Rechtlich eine Verleumdung. Laut Gesetz stehen darauf mittlerweile bis zu sechs Jahre Haft.
„Das machen sich viele nicht bewusst“, sagt Hartleb und schüttelt den Kopf. Im Schloss neben ihm knackt es: Ein Ermittler hat die Haustür mit einem Dietrich geöffnet, er und sein Kripo-Kollege tragen Dienstwaffe und Schutzweste. Hartleb folgt ihnen ins Treppenhaus. In einem der oberen Stockwerke klingeln sie. Einmal, zweimal, dreimal. Es ist 6.01 Uhr. „Sie sind maximal zu zweit“, sagt Hartleb. Endlich rührt sich was. „Ja?“, sagt die Freundin des Beschuldigten und lugt durch den Spion. Sie klingt müde.
Die meisten Täter sind total überrascht, wenn wir klingeln. Damit rechnet kaum einer.
„Kriminalpolizei! Machen Sie auf!“, entgegnet einer der Beamten streng – und zeigt den Durchsuchungsbeschluss.
Eine halbe Stunde lang hört man es in der Wohnung rascheln und knarren. In Fällen wie diesen dürfen die Ermittler alle Speichermedien beschlagnahmen: Handy, Laptop, Festplatten. Bestätigt sich ein Tatvorwurf, werden sie als Tatmittel einbehalten.
Neun Durchsuchungen an einem Tag in München - in ganz Bayern 14
„Der Verdächtige war kooperativ, hat den Sachverhalt aber bestritten“, sagt Hartleb. „Sein Facebook-Profil habe ich gesichert.“ Neben dieser Wohnung stehen acht weitere Objekte in München zur Durchsuchung an. In ganz Bayern sind es insgesamt 14, bundesweit mehr als 100.
Im Fokus der Razzia stehen Verleumdungen und üble Nachrede zulasten von Politikern (§188 Strafgesetzbuch). In der Regel müssen die Hetzer nicht in Haft, weiß Hartleb. Meist werden die Strafen für Ersttäter in Geldstrafen umgewandelt – und schlagen mit vier Nettogehältern zu Buche. Das soll abschrecken. „Die meisten Täter sind total überrascht, wenn wir klingeln. Damit rechnet kaum einer“, sagt Hartleb. Viele der Hetzer gestehen sofort, wenn die Kriminalpolizei anrückt – und zeigen sich einsichtig.
„Dieses Mal gehen wir rein“
Es ist 6.54 Uhr. Der nächste Einsatz führt nach Laim. Schon mehrmals haben die Ermittler dort einen Verdächtigen aufgesucht, der gegen Flüchtlinge hetzt – doch nie angetroffen. „Dieses Mal gehen wir rein“, legt Hartleb fest. Der Beschuldigte ist wieder nicht da, auch ans Handy geht er nicht. Mit drei Griffen öffnet ein Kriminaler seine Tür – sie war nicht abgeschlossen. Ein verdutzter Nachbar kommt hinzu. Er muss als Zeuge herhalten, wenn Ermittler in Abwesenheit des Mieters dessen Wohnung durchsuchen. „Das sieht das Gesetz so vor“, erklärt Hartleb.
In der Küche steht noch Geschirr, im Wohnzimmer ein Laptop. Hartleb beschlagnahmt ihn. Der Verdacht: Von diesem PC sollen die Hass-Nachrichten abgeschickt worden sein. IT-Spezialisten müssen den Inhalt jetzt auswerten. Den Durchsuchungsbeschluss hat Hartleb in der Wohnung gelassen, per Post bekommt der Beschuldigte dann eine Vorladung. „In der Regel können wir innerhalb von drei Monaten einen Strafbefehl beantragen.“ Akzeptiert der Täter seine Strafe, wird sie rechtskräftig. Legt er Einspruch ein, kommt es zum öffentlichen Prozess. So wie im Fall von zwei Münchnern, die Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) im Internet als Fotomontage gezeigt hatten – mit nacktem Gesäß.
Bedrohungen und Beleidigungen haben stark zugenommen
Was treibt solche Menschen an? „Frustration“, sagt Klaus-Dieter Hartleb. Er warnt vor den Konsequenzen für Politiker. Laut einer Studie der KörberStiftung wurden 57 Prozent aller Bürgermeister schon einmal beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen. Ein Fünftel hat aus Sorge um die eigene Sicherheit oder die der Familie schon über einen Rückzug aus der Politik nachgedacht. „Das darf nicht passieren“, sagt Hartleb.
7.55 Uhr. Der Einsatz endet, mit dem Rad fährt Hartleb zurück ins Büro. Vor dem Oberstaatsanwalt liegt jetzt noch ein normaler Arbeitstag. „Aber erst Frühstück“, verabschiedet er sich.