Die Frage, was Satire darf (und was nicht), hat dennoch nicht an Aktualität verloren, wie jüngst der Streit um die Böhmermann-Verse über Erdogan bewies.
Die Frage, was Satire darf (und was nicht), hat dennoch nicht an Aktualität verloren, wie jüngst der Streit um die Böhmermann-Verse über Erdogan bewies.
Vor 120 Jahren landete man in Deutschland für zu scharfe Kritik an der Obrigkeit im Gefängnis. So sorgte im Herbst 1898 ein Fall von Majestätsbeleidigung für besonderes Aufsehen. Damals besuchte der deutsche Kaiser Wilhelm II. Palästina, um unter anderem die Erlöserkirche in Jerusalem einzuweihen. Das aufstrebende Satireblatt „Simplicissimus“ fand in der Reise Wilhelms II. einen willkommenen Anlass, ihn aufs Korn zu nehmen.
Einer ihrer führenden Köpfe war der Leipziger Maler und Zeichner Thomas Theodor Heine. Er war es nicht nur, der dem „Simplicissimus“ sein Markenzeichen in Form der markanten roten Bulldogge gab, sondern er prägte außerdem über viele Jahre hinweg den Charakter der Zeitschrift entscheidend. Zusammen mit dem Münchner Verleger Albert Langen hatte Heine am 4. April 1896 den „Simplicissimus“ gegründet. Die Redaktionsräume befanden sich in der Schwabinger Kaulbachstraße. Kleine Skandale und Verbote hatten in den ersten Jahren die Auflagenzahlen befeuert.
Nationale Bekanntheit erlangte der Simplicissimus allerdings mit seiner am 29. Oktober 1898 erschienenen „Palästina-Nummer“. Heine zeichnete dafür das Titelblatt, welches die beiden mittelalterlichen Kreuzritter Gottfried von Bouillon und Kaiser Friedrich Barbarossa zeigt. Der Untertitel dazu lautete: „Lach‘ nicht so dreckig, Barbarossa! Unsere Kreuzzüge hatten doch eigentlich auch keinen Zweck.“
Diese bissige Satire an der Wilhelm’schen Reise ins Heilige Land wurde schließlich noch von einem Gedicht Frank Wedekinds getoppt, der als „Hieronymos“ unter dem Titel „Im heiligen Land“ erst recht den Kaiser lächerlich machte. In der 2. Strophe heißt es da:
„Willkommen, Fürst, in meines Landes Grenzen / Willkommen mit dem holden Eh’gemahl, / Mit Geistlichkeit, Lakaien, Excellenzen / Und Polizeibeamten ohne Zahl. / Es freuen rings sich die histor’schen Orte / Seit vielen Wochen schon auf deine Worte, / Und es vergrößert ihre Sehnsuchtspein, / Der heiße Wunsch, photographiert zu sein.“
Die „Palästina-Nummer“ schlug ein wie eine Bombe. Kurz nach Erscheinen wurden sämtliche Ausgaben noch in der Leipziger Druckerei durch die sächsische Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Am selben Tag durchsuchten Polizisten die Redaktionsräume in München. Zugleich wurde gegen Albert Langen, Heine und zunächst noch gegen Unbekannt, Wedekind war noch nicht enttarnt, ein Ermittlungsverfahren vor dem Landgericht in Leipzig eröffnet.
Da Heine immer noch sächsischer Staatsbürger war, stellte er sich, im guten Glauben, man würde ihm wegen der Zeichnung wenig anhaben können, den Behörden in Leipzig. Er wurde inhaftiert, weil die Behörden Fluchtgefahr vermuteten. Anschließend kam es zum Verhör, bei dem Heine mit belastendem Material aus der Redaktion in München konfrontiert wurde. Unter dem Druck gab er zu, auch der Schöpfer des kritischen Gedichtes zu sein, was in der Tat aber nicht stimmte. Unterkriegen ließ er sich nicht: Obwohl er unter Hausarrest stand, zeichnete er weiter, beispielsweise für die Ausgabe Nr. 34, als er sich selbst in Ketten unter der Überschrift „Wie ich meine nächsten Zeichnungen machen werde“ porträtierte.
Am 19. Dezember 1898 kam es vor der 2. Strafkammer des Leipziger Landgerichts zum Prozess, bei dem das Urteil noch am selben Tag gefällt wurde. Heine erhielt entgegen seiner Erwartungen eine hohe Strafe. Wegen Majestätsbeleidigung wurde er zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. In ganz Deutschland galt die Strafe gegen Heine als zu hart. Heines Kollegen und eine Reihe von Künstlern erwirkten später, dass die Gefängnis- in die mildere Festungshaft umgewandelt wurde. Am 29. März 1899 kam Heine auf die Festung Königstein nahe Dresden.
Der Gedichtschreiber Frank Wedekind hat sich später auch den Behörden gestellt, Albert Langen blieb für vier Jahre im Exil in Paris. Auch Wedekind erhielt sechs Monate Festungshaft wegen Majestätsbeleidigung. Thomas Theodor Heine wurde schließlich am 29. September 1899 aus der Haft entlassen. Der „Simplicissimus“ druckte daraufhin das Gedicht „Zu Heines Befreiung“, in dem es unter anderem hieß:
„Die Obrigkeit möchte‘ wetten, / Daß er bei Tag und Nacht / In Zukunft nur Vignetten / Und nie mehr Witze macht.“
Doch weit gefehlt! Die „heinelose, schreckliche Zeit“ war vorüber, denn Thomas Theodor Heine nahm seinen alten Platz wieder ein und karikierte bitterer und schärfer als zuvor. Bis zur Gleichschaltung des „Simplicissimus“ im Frühjahr 1933 blieb er eine der prägendsten Gestalten der Zeitschrift.
immanuel voigt