Streit ums Trinkwasser in Bergen und Polling
Ein Riesen-Geschäft mit kostenlosem Tiefenwasser: Warum sich in Bayern jetzt Widerstand regt
- VonDirk Walterschließen
- Carina Zimniokschließen
In Bayern dürfen Mineralwasser-Firmen umsonst Tiefenwasser abpumpen, um es als Mineralwasser zu verkaufen. Doch mittlerweile regt sich Widerstand. Der Klimawandel und immer extremere Phasen der Trockenheit steigern auch die Sorge ums Trinkwasser.
Polling/Bergen – In Bayern tobt ein Streit ums Trinkwasser, und zwar an mehreren Orten. In Polling, Kreis Mühldorf, will eine Firma jährlich bis zu 1,6 Millionen Kubikmeter Trinkwasser aus Tiefenbrunnen abpumpen – um es anschließend als Mineralwasser zu verkaufen.
Für Frank Bremauer von der örtlichen Bürgerinitiative ist das eine „Lizenz zum Gelddrucken“ – denn die Wasserrechte stehen den Trinkwasser-Herstellern unentgeltlich zur Verfügung. Doch das ist nicht die größte Sorge der Bürger.
In Bayern wird Wasser kostenlos abgeschöpft
Frank Bremauer ist misstrauisch. In der ARD hat er den Film „Bis zum letzten Tropfen“ gesehen. Dabei geht es auch um Coca-Cola – der Konzern plante, in der Lüneburger Heide 700.000 Kubikmeter Wasser (Markenname „Vio“) jährlich abzupumpen, doppelt so viel wie bisher. Coca-Cola ist auch im süddeutschen Raum aktiv – in Fürstenfeldbruck. Während der Konzern in Lüneburg 18 Cent je Kubikmeter Wasser zahlt, ist das Wasser in Fürstenfeldbruck gratis.
Jeder kann in Bayern Brunnen schlagen und Wasser abschöpfen. Damit ist Bayern eine Ausnahme – es ist laut Naturschutzverband BUND nur eines von drei Bundesländern ohne Regeln beim Wasserentnahmeentgelt. Im Schnitt werden in den anderen Ländern 10,32 Cent je Kubikmeter verlangt (Stand 2019).
3000 Unterschriften gegen Innfood GmbH
Die Innfood GmbH ist schon heute in Weiding bei Polling ansässig. Das Unternehmen produziert für Alete Babynahrung. Innfood gründete 2021 eine Innfood Mineral Waters GmbH. Ziel ist es, Trinkwasser abzufüllen. „Das Wasser wird als Marke im regionalen Handel verkauft“, erklärt ein Sprecher. Wenn das Landratsamt zustimmt, ab 2024. Einen Markennamen gibt es noch nicht. Die Abfüllung wird in Einweg-PET-Flaschen erfolgen, aber es werde „mittelfristig“ 100 Prozent Recyling-PET verwendet.
Bürgermeister Lorenz Kronberger (UWG) lässt auf Innfood nichts kommen. „Für mich ist das ein gut geführter Familienbetrieb“, sagt er. „Das ist doch einer Aktiengesellschaft vorzuziehen.“ Die Bürgerinitiative „Netzwerk Trinkwasser“ (BINT) sieht das anders. Sie hat über 3000 Unterschriften gegen die Pläne gesammelt. Vergangenen Mittwoch wurden sie an die Grünen-Abgeordnete Rosi Steinberger übergeben, die sie im Landtag vorlegen will. Das Vorhaben sei „völlig aus der Zeit gefallen“, sagt die Abgeordnete.
Sarina Kraft aus Bergen (Kreis Traunstein) kennt die Diskussion. Seit April gibt es im Chiemgau eine Bürgerinitiative, die die Aktivitäten der Adelholzener GmbH unter die Lupe nimmt. Adelholzener hat in Bayern einen guten Klang – das Unternehmen, das zur Kongregation der Barmherzigen Schwestern gehört, verkauft bundesweit Wasser und Schorle. Demnächst müssen die Wasserrechte für das Naturschutzgebiet Bergener Moos am Fuße des Hochfelln neu beantragt werden, 2025 laufen sie aus. Der Geschäftsführer von Adelholzener, Peter Lachenmeir, teilt mit: „Unser Wasserrecht wollen wir erhalten – nicht erweitern. Die heute genehmigte Entnahmemenge soll unverändert gleich bleiben.“ Nach Auskunft des Landratsamts fördert Adelholzener bislang aus fünf Brunnen, geplant sei aber ein sechster. Laut der Bürgerinitiative darf die Firma knapp 1,6 Millionen Kubikmeter Wasser im Jahr abzapfen – im Mittel würden im Moment nur 1,1 Millionen gefördert. Werde die genehmigte Menge voll ausgeschöpft, könne sich das auf das Grundwasser auswirken.
Der Bürgerinitiative, die schon 800 Unterstützer hat, gehe es nicht darum, Adelholzener auszutrocknen, betont Sarina Kraft. Doch sie fordert eine zeitliche Begrenzung der Genehmigung, unabhängige Gutachten und mehr Transparenz. Was die 41-Jährige am meisten stört: Für die früheren Genehmigungsbescheide seien nur Gutachten von Adelholzener selbst vorgelegt worden – das Unternehmen entgegnet, dies sei in Abstimmung mit den Fachbehörden von amtlich vereidigten Sachverständigen geschehen. Für eine verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfung ist die Fördermenge zu klein. Adelholzener betont, dass im wasserrechtlichen Verfahren vom Landratsamt untersucht werde, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig ist. Kraft jedoch weist darauf hin, dass das Landratsamt bei den vergangenen Bescheiden jeweils auf eine solche Prüfung verzichtet hat.
Sarina Kraft geht es auch ums Grundsätzliche. Die Trockenheit „macht mir Angst“, sagt sie. Auf einer Alm sei das Wasser heuer im Sommer schon nach zwei Wochen ohne Regen versiegt, berichtet sie. In Containern wurde Wasser für die Kühe hochgefahren. „So was haben die seit 40 Jahren nicht erlebt.“
Adelholzener beteuert, dass das Unternehmen Wasser aus einer anderen Grundwasserschicht entnimmt als die Gemeinde für ihre Trinkwasserversorgung, zwischen den Stockwerken sei eine undurchlässige Seetonschicht, eine „Abhängigkeit zwischen diesen beiden Nutzungen besteht nicht“. Das Landratsamt argumentiert wie die Firma – und das erregt den Zorn der Bürgerinitiative. „Für die Grundwasserneubildung bringt diese Seetonschicht gar nichts“, sagt Kraft, dafür gebe es ausreichend Belege.
Grundwasser: Jedes Jahr 16 Prozent Defizit
Auf einem Flugblatt, das Adelholzener an Anwohner verteilt hat, steht: „Unser aller Trinkwasser ist sicher. Heute und auch in Zukunft.“
Stimmt das? Die Trockenheit in Bayern war im Sommer ein großes Thema. Jetzt nicht mehr, schließlich regnet es wieder. Doch das Bayerische Landesamt für Umwelt gibt keine Entwarnung. 75 Prozent der Grundwasser-Messstellen sind aktuell niedrig oder sehr niedrig, heißt es im jüngsten Niedrigwasser-Lagebericht. Das sei mehr als 2020 (67 Prozent) und 2021 (52 Prozent). Noch eine Zahl: Die Grundwasserneubildung in Bayern ist seit 2003, also seit fast 20 Jahren, Jahr für Jahr rückläufig. Es gebe ein „mittleres jährliches Defizit von rund 16 Prozent“.
Im Altmühltal gibt es massive Proteste
Auch in Treuchtlingen/Mittelfranken ist Wasser ein Top-Thema. Die Altmühltaler Mineralbrunnen GmbH fördert Millionen Liter Wasser und verkauft es an Discounter. Altmühltaler verwendet wie viele Hersteller Tiefengrundwasser. Nach einem Bericht des BR und Protesten hat das Unternehmen reagiert – untersucht wird nun, ob zwei mehr als 200 Meter tiefe Brunnen ersetzt werden können. Am Stadtrand wäre die Förderung aus einer weiter oben liegenden Gesteinsschicht möglich.
Tiefengrundwasser will auch die Innfood Mineral Waters GmbH nutzen. „Die Brunnen haben unterschiedliche Tiefen von bis zu 165 Metern“, sagt der Unternehmenssprecher. Bremauer von der Bürgerinitiative sieht das kritisch. Tiefenwasser sei eine „Trinkwasserreserve“, es „sollte nur in Notfällen angetastet werden“. Viele Bürger sehen nicht ein, warum Unternehmensgewinne über öffentliches Interesse gestellt werden. Denn die Gemeinde bekommt keinen Cent für das kostbare Gut: „Einen Wasserzins gibt es in Bayern nicht“, sagt der Geschäftsstellenleiter der Gemeinde Bergen, Andreas Schultes. Er sieht darin kein Problem. Etwas Gewerbesteuer bekomme die Gemeinde ja doch von Adelholzener. Der Großteil geht nach Siegsdorf, weil die GmbH dort ihren Sitz hat. Der Pollinger Bürgermeister Kronberger weist darauf hin, dass man für Geothermie-Wärme ja auch keine Abgabe zahle.
Der Wasser-Markt ist umkämpft
Der Mineralwasser-Markt ist umkämpft. Laut Fachzeitschrift „Inside“ ist Altmühltaler auf Rang 3 auf der Liste der größten Mineralwasser-Anbieter in Deutschland. Adelholzener ist auf Platz 11, auf Platz 1 steht MEG – das ist die Schwarz-Gruppe mit dem Discounter Lidl („Saskia“-Wasser). Coca-Cola hat seine Expansionspläne in Lüneburg inzwischen aufgegeben, weil sein Wasser „Vio“ Marktanteile verloren hat – auf der Liste der 15 größten Mineralwasserproduzenten taucht der Getränkemulti gar nicht mehr auf. Kommt Innfood mit seinen Plänen durch, dürfte es auf dem Wassermarkt nur ein kleiner Fisch sein. Zumindest am Anfang. Doch Geschäftsführer Pascal Jankowski sitzt auch in der Chefetage der Roxane GmbH, die im Saarland mit Plänen zur Erhöhung der Fördermengen Protest entfachte. Roxane ist ein französisches Unternehmen, das im Saarland Wasser für die Marke „Christaline“ verwenden wollte.
Die Pollinger Bürgerinitiative appelliert an die Verbraucher, einfach Leitungswasser zu trinken. Für einen Liter Wasser im Laden bekomme man 500 Liter aus der Leitung, sagt Bremauer. Bürgermeister Kronberger hält die Aufregung indes für heillos übertrieben. „Da wird viel Spatzenschrot verschossen.“