Für seine Werte und Überzeugungen gekämpft
Ein Mann mit Hirn, Herz und Humor: Grünen-Politiker und Biobauer Sepp Dürr ist tot
- VonThomas Steinhardtschließen
- Christian Deutschländerschließen
Er war bodenständig, aber unangepasst. Nie in der Regierung, aber trotzdem wortmächtig. Sepp Dürr mit all seinen Gegensätzen entwickelte sich zu einer der prägenden Figuren der Grünen in Bayern. Sein Tod löst Trauer über Parteigrenzen hinweg aus.
München/Germering – Er saß meistens links hinten im Plenarsaal, im Schatten der Tribünen. Und die Redner haben ihn gefürchtet. Wenn Sepp Dürr aus seiner Ecke heraus plötzlich einen Zwischenruf abgefeuert hat, oft pointiert, meistens lustig, selten derb, hat er viele aus dem Konzept gebracht. „Am schönsten ist es, wenn sich vorne einer aufplustert – und es mir mit einem Ruf gelingt, die Luft aus dem Auftritt rauszulassen“, sagte er mal.
Dürr entwickelte sich, das ist unbestritten, zu einem der scharfzüngigsten Zwischenrufer der deutschen Parlamentslandschaft. Das sagt nicht alles, aber viel aus über den Politiker, der nun im Alter von 69 Jahren gestorben ist. Er hat gekämpft um die Lufthoheit im Parlament. „Ich will denen das Wort streitig machen, die die Macht haben“, sagte er gern – also der CSU. Sein Kampf war im Kleinen erfolgreich, im Großen nicht: Seine Grünen blieben Oppositionspartei, all die Jahrzehnte lang.
2000 zum Fraktionschef der Grünen
Josef Dürr, der den Vornamen „Sepp“ als bodenständigen Ehrentitel verstand, ging eher spät in die Politik, 1997 zu den Grünen, stieg dann aber steil auf. 1998 schon im Landtag, 2000 Fraktionschef, und dies für Grünen-Verhältnisse ewige acht Jahre lang. In Landesbank-Misere und Labor-Affäre rempelte er lustvoll und detailversessen die CSU an. Die Grünen ermahnte er früh, sich den Heimatbegriff nicht von anderen Parteien rechts und ganz rechts wegnehmen zu lassen. Häufig eckte er aber auch intern an, weil er das dialektgefärbte, aber deutliche Wort mehr pflegte als jede Parteiräson. „Knorrig“, das umschreibt ihn gut. Jenseits der Grünen erntete er Wut und auch Hass, als er 2013 ein Trümmerfrauen Denkmal in München verhüllte, die Aufbaugeneration als „Alt-Nazis“ verunglimpfte.
Bis Ende 2018 hielt er sich im Landtag, dann ließ ihn seine eigene Partei bei der Listenaufstellung abblitzen: Platz 42 nur, es reichte nicht mehr. Zu viele waren genervt von ihrem unangepassten, verbal rauflustigen Parteifreund. Er nahm es gelassen. „Eigentlich wurscht“, verkündete er anderntags.
„Hat für seine Werte und Überzeugungen gekämpft“
Über den Privatmann Dürr wussten viele: Biobauer, einer der ersten in Germering im Landkreis Fürstenfeldbruck. Promovierter Literaturwissenschaftler, auch wenn er’s nicht raushängen ließ. Und, ja, von seinem Kampf gegen den Krebs erfuhr die Öffentlichkeit natürlich. Dürr sprach nicht so gern darüber, teilte allenfalls Wegmarken mit. „Die Zeit der giftigen Chemos ist vorbei“, schrieb er vor zehn Jahren mal, „jetzt kommt die Zeit des fröhlichen Um- und Aufbruchs.“
Die Worte, die ihm seine Parteifreunde hinterherrufen, sind ehrlich und von Respekt erfüllt. „Der Sepp hatte Hirn, Herz und Humor“, sagt Fraktionschef Ludwig Hartmann. „Er hat für seine Werte und Überzeugungen gekämpft, mit uns und auch gegen uns, wenn nötig.“
Dürr hinterlässt Frau und drei Kinder. Eines seiner letzten Bilder auf Facebook zeigt ihn als Bauern neben dem Feld sitzend, lächelnd. Es wirkt anders als sonst, weniger rastlos. Er schrieb: „Hast du auch noch so viel zu tun, sollst du doch zwischendrin mal ruh’n.“