Missbrauchs-Verfahren vor Landgericht Traunstein
Brisanter Briefwechsel wirft Fragen auf: Warum reagierte Ratzinger nicht?
- VonClaudia Möllersschließen
Was wusste Kardinal Joseph Ratzinger damals von den Missbrauchsvorwürfen gegen den Priester Peter H.? Ein Briefwechsel aus dem Jahr 1986 gibt nun eine Antwort auf diese Frage - und wirft gleichzeitig eine neue Frage auf.
München – Ein brisanter Briefwechsel aus dem Jahr 1986 zwischen dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, und dem Ordinariat des Erzbistums München und Freising sorgt am Aschermittwoch für Wirbel: Der Schriftwechsel belegt, dass der spätere Papst Benedikt XVI. spätestens 1986 von den Missbrauchsvorwürfen gegen den Priester Peter H. gewusst haben muss. Jetzt stellt sich die Frage, warum Ratzinger nichts dagegen unternommen hat, dass H. weiter als Seelsorger eingesetzt wurde.
Wie berichtet, hatte der damalige stellvertretende Generalvikar eine Sondererlaubnis von der Glaubenskongregation erbeten, dass Peter H. die Heilige Messe mit Traubensaft statt mit Wein feiern dürfe. Begründet wurde die Bitte damit, dass der Priester unter Alkoholeinfluss Straftaten nach den Paragrafen 174, 176 und 184 des Strafgesetzbuches begangen habe. Sprich: sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, sexueller Missbrauch von Kindern und die Verbreitung pornografischer Inhalte. Kardinal Ratzinger unterschrieb die Genehmigung eigenhändig.
Betroffenen-Initiative fordert Herausgabe von Vatikan-Akten
„Es überrascht mich nicht“, sagte Richard Kick, Sprecher des Betroffenenbeirats im Münchner Erzbistum. „Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass Benedikt XVI. über Peter H. in Kenntnis war – und vermutlich nicht nur Benedikt.“ Kick zeigte sich betroffen: „Es hat nie aufgehört das Gefühl zu haben, dass verschwiegen und verschleiert wird.“
Die Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“ fordert die Herausgabe der Akten aus dem Vatikan. „Der Brieffund belegt, wie wichtig die Auswertung von Akten wäre, die im Vatikan über Tausende von Missbrauchsfällen aus aller Welt gelagert werden“, sagte der Sprecher der Initiative, Matthias Katsch. Er zeige auch, weshalb die Kirche in Deutschland wie im Vatikan Widerstand gegen externen Zugang und unabhängige Untersuchungen leiste: „Sie ahnen, nein sie wissen, dass sich dort die Belege für Schuld und Verantwortung ihrer Bischöfe und Provinziale und Päpste findet.“ Ratzinger habe „stets nur zugegeben, was nicht mehr zu leugnen war“, so Katsch.
Die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ beklagt, dass alles nur scheibchenweise ans Licht gerate. „Dass Ratzinger vor einem Jahr noch versucht hatte, sich unwissend zu stellen, damit hat er seinen Ruf als ,Mitarbeiter der Wahrheit‘ – das war sein Wahlspruch als Bischof – selber zerstört“, sagt Sprecher Christian Weisner. Die Kirche brauche Vertreter, die Vertrauen verdienten und den Menschen zugewandt sind.
Ulrich Wastl von der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, die im Auftrag des Münchner Erzbistums zwei Gutachten zu Kindesmissbrauch in der Erzdiözese erstellt hatte, kennt den Briefwechsel. Ratzinger hätte auffallen müssen, dass es sich zwar um eine Bitte um Sondererlaubnis handelt, es aber im vorliegenden Fall „nicht vordringlich darum gehen kann, einen missbräuchlich in Erscheinung getretenen Priester zu befähigen, die Wandlung vorzunehmen“. In dem Antrag stehe eindeutig, dass H. Kinder missbraucht habe. „Die Äußerungen von Benedikt, dass er überhaupt keine Erinnerungen an Peter H. habe, werden immer mehr in Zweifel zu ziehen sein“, so der Anwalt. Der Briefwechsel aber wurde im Gutachten nicht behandelt, weil die Kanzlei lediglich den Auftrag hatte, das Verhalten von Verantwortlichen des Erzbistums zu untersuchen – und Ratzinger war ab 1982 Präfekt der Glaubenskongregation in Rom.
Und trotzdem: Benedikt XVI. werde von der Kirche dargestellt als großer Aufklärer – da werfe dieser Briefwechsel „schon ein gewisses Licht auf ihn“. Ratzinger habe 2001 zwar ein Regelwerk erarbeitet zum Umgang mit pädophilen Geistlichen. Es stelle sich aber die Frage, ob man sich daran gehalten hat. Der jetzt öffentlich bekannt gewordene Briefwechsel ist für Wastl nur ein kleines Mosaiksteinchen, wenn man versuchen würde, die Rolle Benedikts neu zu bewerten.