Preisexplosion durch Ukraine-Krieg
Auswege aus der Energie-Krise: 1973 - Als sonntags die Räder stillstanden
- VonDirk Walterschließen
Die Älteren werden sich erinnern, als 1973 Spaziergänger zuhauf auf Landstraßen und Autobahnen unterwegs waren. Es war die Zeit der Ölkrise, und auch hier war ein Krieg der Hintergrund. Ein Zeitzeuge berichtet.
„Alle Räder stehen still“, titelte der „Tölzer Kurier“ Ende 1973. Auf der Bundesstraße zwischen Bad Tölz und Lenggries, wo sich schon damals Stoßstange an Stoßstange reihte und die Ausflügler scharenweise mit Autos anreisten, fuhr niemand. Stattdessen: Spaziergänger zuhauf auf Landstraßen und Autobahnen. Vier Sonntage waren autofrei, nicht nur im Tölzer Land, sondern bundesweit – eine bis heute einmalige Aktion.
Karl-Heinz Zenker, 72, erinnert sich noch gut – er hatte damals als Leutnant der Bundeswehr eine Ausnahmegenehmigung. „Ich hatte von Samstag auf Sonntag Wachdienst und musste zum Erdinger Fliegerhorst“, sagt Zenker, der heute in Hallbergmoos (Kreis Freising) wohnt. Mit seinem Renault R6 machte er sich auf den Weg. Als er am Sonntag, 9. Dezember, mittags zurück nach Hause fuhr, kam er kaum voran – „die Landstraße war gesteckt voll mit Spaziergängern, ich musste Slalom fahren.“ Manche warfen dem jungen Autofahrer böse Blicke zu – „die hätten mich am liebsten aus dem Auto geholt.“
Es war die Zeit der Ölkrise. Man erinnert sich: Am 17. Oktober 1973 hatte die OAPEC – die Organisation Arabischer Öl-exportierender Staaten – beschlossen, aus Protest gegen den israelisch-arabischen Jom-Kippur-Krieg den Ölexport um fünf Prozent zu drosseln. „Rasch machte das Wort vom Ölschock die Runde“, schreibt der Historiker Thomas Schlemmer. Der Ölpreis je Fass (Barrel) Öl schoss von drei auf fünf und später sogar zwölf Dollar in die Höhe. Als Reaktion beschloss der Bundestag auf Vorschlag der Bundesregierung mit Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und Wirtschaftsminister Hans Friderichs (FDP) das Energiesicherungsgesetz mit Ausführungsverordnung, das eine Reihe von Gegenmaßnahmen beinhaltete – neben vier autofreien Sonntagen am 25. November sowie 2., 9 und 16. Dezember auch ein Tempolimit.
Beschränkt auf die vier Monate bis Mitte März 1974 galt damals Tempo 100 auf Autobahnen und maximal 80 km/h auf Landstraßen. In Bayern beschränkte die Staatsregierung damals auch die Dienstfahrten, senkte die Raumtemperatur in öffentlichen Gebäuden ab und verzichtete auf das nächtliche Anstrahlen von Sehenswürdigkeiten.
Die Geschichte wiederholt sich nicht, heißt es – vielleicht aber doch. Die SPD-Umweltpolitikerin Nina Scherr brachte in der „Welt“ einen neuen autofreien Sonntag als Beitrag zum Energiesparen ins Gespräch.
Greenpeace schlägt in einer Studie einen Zehn-Punkte-Plan zum sofortigen Energiesparen vor. Darin enthalten: neben einem Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen auch die Wiedereinführung autofreier Sonntage. Der Ertrag: Das Tempolimit würde zwei Millionen Tonnen Mineralöl (1,2 Mio to Diesel; 0,8 Mio. to Benzin) sparen, ein ganzjähriges Fahrverbot an jedem zweiten Sonntag brächte eine weitere Ersparnis von 1,3 Mio Tonnen Mineralöl pro Jahr. Beide Maßnahmen zusammen würden den Mineralölimport um 3,5 Prozent senken.
Zeitzeuge Zenker sagt, er wäre für ein Tempolimit zu haben, für einen autofreien Sonntag indes nicht. Sein Argument: Die Ausnahmegenehmigungen verursachten immense Bürokratie. Ein Bekannter, der seine Frau hochschwanger ins Krankenhaus bringen musste, wurde damals von Polizeiposten gestoppt. „Er musste im Nachhinein noch die Geburt nachweisen – deutsche Gründlichkeit eben.