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Hündin in Anger von einem Jäger erschossen - Warum musste „Agape“ sterben?

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Von: Melanie Fischer

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Die Hündin Agape aus Anger
Die Appenzeller Sennenhündin Agape vom Hochstaufen (hier im Alter von vier Monaten) wurde am 6. Februar von einem Jäger erschossen. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft. © Collage Christine Weber, Melanie Fischer

Auf einer Flur im Gebiet Högl bei Anger soll ein Jäger eine Hündin erschossen haben. Die Vorwürfe wiegen schwer, denn die Hündin hat nicht gewildert. Im Gespräch mit BGLand24.de berichtet die Halterin von dem frühen Morgen, an dem der tödliche Schuss fiel.

Anger – Nicht weit vom Ortskern Anger in Richtung Högl liegt der Hof von Christine Weber. Die Grundschullehrerin ist nebenbei Züchterin im SSV e. V. mit eingetragener Zuchtstätte. Auf dem Hof tummeln sich einige Hunde in einem eingezäunten Gehege. Wie jeden Morgen startet sie auch am 6. Februar um 6.30 Uhr ihren Spaziergang mit fünf Hunden. Sie geht den gleichen Weg wie immer: Durch ein kurzes Waldstück, über einen öffentlichen Spazierweg, hin zu einer Flur. Während Weber den Weg entlang geht, laufen die Hunde bellend im Rudel über die Wiese, an deren Rand ein Hochsitz steht. Die Stirnlampe hat sie inzwischen ausgeschaltet, da es in der Dämmerung bei Mondschein und Raureif hell genug ist.

Der Schuss fällt aus direkter Nähe

„Ich habe aus heiterem Himmel einen Schuss gehört. Der war sehr laut, weil ich sehr nahe stand. Ich dachte zunächst an einen Warnschuss. Doch dann sah ich ein Tier auf der Wiese liegen. Als ich zu ihm hinging und vor ihm niederkniete, bemerkte ich an dem weißen Nackenfleck, dass es ausgerechnet meine über alles geliebte Agape war.“ Nun nähert sich laut Weber ein 24-jährige Jäger von seinem Hochsitz. Als sie ihn fragt, ob sie einen Tierarzt anrufen oder ihren Hund in die Tierklinik fahren solle, meint dieser: „Das brauchst du nicht, der ist tot.“

Der Jäger habe dann einen Kollegen angerufen. Dieser sei auch schnell da gewesen und habe ab da als einziger mit ihr gesprochen. Er lädt den Hund mit ihrer Hilfe in sein Auto und zusammen bringen ihn die beiden Jäger zu Christine Weber nach Hause. Sie läuft mit den restlichen Hunden zu Fuß. Für den Nachmittag wird ein gemeinsames Gespräch vereinbart. Inzwischen misst Weber mit ihrem Vater die Flur aus. Vom Hochsitz bis zu der Stelle, an der Agape starb, sind es 32 Meter. Sie selbst stand nur 15 Meter vom Hochsitz entfernt.

Hündin Goya an der Stelle, an der Agape starb
Agapes Mutter Goya von der Schwändiliflue am Ort des Geschehens. Der Stecken markiert die Stelle, an der die tote Hündin lag. Im Hintergrund der Hochsitz des Jägers. © Christine Weber

Am Nachmittag erscheinen schließlich neben drei Jägern, darunter der Schütze, auch zwei Polizisten bei Christine Weber. Zusammen versammeln sich alle um die tote Agape. „Auf mich hat der Schütze schon betroffen gewirkt. Er betonte, dass es ihm leid tue. Er würde das der Haftpflicht melden. Der Oberjäger meinte immer wieder, dass dieser doch verbeamtet sei – so wie ich – und dass ich ihm doch nicht schaden wolle. So nach dem Motto, dass man den Mantel des Schweigens darüber ausbreiten solle. Aber die Welt ist nicht mehr in Ordnung. Durch nichts kann der Verlust wieder gutgemacht werden. Vielleicht knallen sie mir in den nächsten Monaten schon den nächsten Hund ab.“ Auch die Polizei habe so getan, als handle es sich um einen fahrlässigen Unfall, ähnlich wie wenn ein Kind vors Auto läuft. Dabei sei Agape gezielt in den Kopf geschossen worden. Der zwischenzeitlich vorliegende Sektionsbericht des Pathologen bestätigt den glatten Kopfdurchschuss.

Die Jäger sprechen von einer tragischen Verwechslung

Für einen Abschuss von Hunden müssen drei Dinge zutreffen: Der Halter darf nicht in Sichtweite sein, der Hund muss frei laufen und wildern. Webers Rechtsanwältin Petra Wanie bekräftigt, dass in diesem Gebiet laut Gemeindesatzung Hunde nicht angeleint sein müssen. Auch sei die Halterin in direkter Nähe gewesen. Der Hund habe nicht gewildert. Die Jägerschaft äußert an dem besagten Nachmittag, dass Fuchsjagd gewesen sei und der Hund mit einem Fuchs verwechselt wurde. „Der Oberjäger meinte, Füchse können auch sehr groß und schwer werden, bis zu 14 Kilo. Meine Agape hatte aber über 28 Kilo und war doppelt so groß. Man kann sie auch mit einem sehr großen Fuchs nicht verwechseln. Von den Ohren ganz abgesehen und der Fellfarbe und dem Ringelschwanz: Die ganze Statur passt nicht mit einem Fuchs zusammen.“

Hündin Agape und ein Fuchs
Zum Verwechseln ähnlich? © Collage Christine Weber, Christophe Gateau/dpa

Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft

Am 8. Februar erstattet Webers Rechtsanwältin Wanie Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Traunstein. Sie ist besorgt: „Mir geht es darum: Da wurde mit einer scharfen Waffe geschossen. Ein Jäger darf nur dann schießen, wenn er sich absolut sicher ist, was er im Visier hat.“ Agape wird schließlich von einem Kommissar zur Sektion nach Oberschleißheim gebracht. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Traunstein. Sprecher Markus Andrä bestätigt auf schriftliche Anfrage von BGLand24.de: „Die PI Bad Reichenhall führt in enger Absprache mit der Staatsanwaltschaft die weiteren Ermittlungen. Es besteht der Anfangsverdacht eines Vergehens nach § 17 TierSchG. Das Strafmaß würde Geldstrafe oder bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe betragen. Ich weise darauf hin, dass auch Gegenstand der Ermittlungen ist, ob überhaupt eine Straftat vorliegt. Es gilt weiterhin die Unschuldsvermutung.“

„Ich bin traurig, da es die Jägerschaft in ein schlechtes Licht rückt“

Hans Berger, Vorstand der Kreisgruppe des Landesjagdverbandes, kann zwar über den Vorfall selbst nichts sagen, da er nicht dabei gewesen ist. „Aber mein großes Anliegen ist es, dass Jagden gesetzeskonform stattfinden. Diese Geschichte mit Hunden und Katzen ist ein ganz heißes Eisen. Obwohl der Gesetzgeber uns da Spielraum gäbe, ist mein Appell an die Jäger immer, sich restriktiv zu verhalten und im Zweifelsfall nicht zu schießen. Ich gehe seit 40 Jahren auf die Jagd und habe noch nie auf einen Hund oder eine Katze geschossen. Ich bin sehr traurig, da es die Jägerschaft in ein schlechtes Licht rückt.“ Die weiteren Ermittlungen überlässt er der Polizei: „Ich gehe davon aus, dass diese zu einem entsprechenden Ergebnis führen werden.“

Der emotionale und finanzielle Schaden ist hoch

Der Schock sitzt bei der Halterin immer noch tief: „Agape war mein Liebling. Sie ist mir buchstäblich in meine Hände geboren worden. Ich habe sie vom ersten Atemzug an begleitet. Agape heißt auf griechisch Liebe. Den Namen erhielt sie, weil zwischen ihren Eltern wirklich Liebe im Spiel war. Sinnigerweise trug Agape auf ihrer weißen Brust einen schwarzen Fleck in Form eines Herzens. Ihr Name war Programm. Sie hat so viel Liebe geschenkt. So ist sie meine Herzdame geworden.“

Hündin Agape als Baby
Herzdame Agape im Alter von vier Tagen (links) und neun Wochen (rechts) © Collage Christine Weber

Neben dem emotionalen Verlust ist auch der finanzielle Schaden beträchtlich. Die Kosten für die Gesundheitsuntersuchungen, Ausstellungen und Ausbildungen des Hundes liegen allein bei über 11.000 Euro. Agape wäre wie ihre Mutter Goya sowohl zur Zucht als auch als Schul- und Therapiehund zum Einsatz gekommen. „Agape hatte beste Gesundheitsergebnisse. Es ist einmalig, wenn man so einen gesunden Hund hat. Sie entsprach in ihrem Aussehen dem Rassestandard vorzüglich. Vom Wesen her war sie eine ganz besonders Liebe. Ich hätte Ende März mit ihr die Körprüfung gemacht, die hatte zur Zuchtzulassung noch gefehlt. Sie war ein Aushängeschild für diese Rasse. Viele haben mich um Agape beneidet.“ Agape war noch keine 20 Monate alt. Zusammen mit den zukünftig ausgefallenen Einnahmen könnte nach der Berechnung der Rechtsanwältin ein Schaden von rund 63.000 Euro entstehen.

Hündin Agape auf einer Decke
Agape sollte sowohl ein Zucht- als auch Schul- und Therapiehund werden. © Christine Weber

Weber sieht sich schon seit einiger Zeit sowohl von Nachbarn als auch von Jägern angefeindet: „Ich weiß, dass ich nicht beliebt, ja sogar verhasst bin mit meinen Hunden. Ich bin auch davor schon schief angeredet worden. Ich musste mich immer gegen Vorwürfe erwehren, die nicht richtig waren. Auch jetzt lebe ich in Angst. Ich wollte schon fast gar nicht mehr rausgehen. Wir sind aber dennoch jeden Tag seither an der Stelle vorbeigegangen, an der es passiert ist. Ich lasse meine Hunde, vor allem die Mama Goya, am Tatort Abschied nehmen. Meine Hunde schnüffeln dort, und wir reden mit Agape.“

Der Vorfall macht viele betroffen

Zugleich hat die Besitzerin aber auch viel Zuspruch erhalten, so die Anwältin: „Frau Weber wurde ab dem Vorfall häufig angesprochen. Bei den Eltern herrscht das blanke Entsetzen. Sie musste ja in der Schule sagen, dass Agape als Schulbegleithund nicht mehr kommt, weil sie tot ist. Wir wollten das nicht hochkochen und auch nichts veranlassen, was zu einer Vorverurteilung des Schützen führt und haben bis jetzt stillgehalten.“ Inzwischen sei aber ein „sehr schwammiger, interpretationsfähiger Sachverhalt“ im Umlauf, dem sie damit entgegenwirken möchte. An die Öffentlichkeit gewendet habe sich Weber nun deswegen, weil sie der Überzeugung ist, nichts falsch gemacht zu haben und das in ihren Augen geschehene Unrecht nicht länger verschweigen möchte.

mf

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