„März und April sind die härtesten Monate“
365 Tage nur regional einkaufen: Familie Hemminger wagt das große Essens-Experiment
- VonCornelia Schrammschließen
Anna und Patrick Hemminger haben sich und ihre drei Kinder ein Jahr lang nur von Lebensmitteln aus der Region ernährt. Im Interview verraten sie, wie - und welches Experiment sie als nächstes planen.
Bernried – Anna und Patrick Hemminger, beide 43 Jahre alt, lieben das Abenteuer. Mit ihren Kindern lebten sie schon ohne Strom und Wasser auf einer Hütte. Jetzt haben sie ein Jahr lang nur Lebensmittel aus der Region gegessen. Eine Herausforderung für die drei Kinder, die Nudeln mit Tomatensoße aus Italien lieben. Aus dem Experiment entstand ein Buch. Im Doppel-Interview erzählen Anna und Patrick Hemminger aus Bernried am Starnberger See, wann sie schwach geworden sind – und wie sich ihr Geschmack verändert hat.
Patrick: Da mussten wir realistisch bleiben. Kakao- und Kaffeebohnen werden hier einfach nicht angebaut. Daher waren während des Experiments auch Kaffee für uns und Schokolade für die Kinder weiterhin erlaubt. Beides haben wir aber bei einem Kaffeeröster und einem Chocolatier in der Nähe gekauft.
Patrick: Ich musste Abstriche bei den Käse-Sorten machen. Wenn man auf dem Markt fragt, welche Sorte wirklich aus der Region kommt, bleibt kaum Auswahl. Die ganzen guten Franzosen und Italiener muss man liegen lassen.
Anna: Die Säure von Zitronen lässt sich kaum ersetzen, was uns aber nicht gestört hat. Scharfe Gewürze haben wir durch Meerrettich oder Senfsaaten, und Pfeffer speziell durch Bockshornklee ersetzt.
Anna: Irgendwann haben wir uns sogar vier Leih-Hühner zugelegt. Und die kamen bei uns und den Kindern so gut an, dass wir mittlerweile vier eigene im Garten halten.
Anna: Tiefkühlprodukte und haltbargemachte Vorräte wollten wir nicht verwenden. Es ging uns ja um den Spaß, herauszufinden, wo wir passende Produkte finden. Für die Kinder haben wir daraus ein Abenteuer gemacht.
Patrick: Nicht nur die Kinder haben viel gelernt. Da wir beide Journalisten sind, haben wir aktiv recherchiert – Anna mit einer Jägerin im Wald unterwegs und mit Fischerinnen auf dem Starnberger See.
Zwischen Verzicht und Horizont-Erweiterung: Ein Jahr nur Produkte, die Region und Saison hergeben
Wir haben bei dem Experiment gelernt, dass man sogar seinen eigenen Christbaum essen kann.
Patrick: Deshalb waren die Monate März und April, also die Fastenzeit, auch die härtesten. Alles außer Kartoffeln und Kohl – selbst die Äpfel – sind runzelig. Erst im Mai wächst wieder alles – da haben auch Anna und ich uns gefreut, als im Garten endlich der erste Bärlauch spross.
Patrick: Das war ein genussvolles Scheitern! (lacht)
Patrick: Fleisch ist teuer – also gab es bei uns nur noch sonntags Braten. Dass wir zudem so viel selbst gemacht haben, war für mich das Zünglein an der Waage. Brotbacken ist das beste Beispiel: Ein Kilogramm Mehl kostet 2,50 Euro. Mit ein bisschen Strom wird daraus ein Sauerteigbrot mit eineinhalb Kilogramm. Beim Bio-Bäcker kostet so ein Laib an die 12 Euro.
Patrick: Ich habe vorgeschlagen, das daheim eine Woche lang auszuprobieren. Bei meiner Frau gibt es aber keine halben Sachen: Wenn, sollte es ein ganzes Jahr lang sein. (lacht)
Ess-Experiment: Bratkartoffeln und Grünkohl-Chips statt Nudeln mit Tomaten-Soße
Rezept-Tipp: Anna und Patrick Hemminger lieben das Rote-Bete-Gemüse vom Spitzenkoch Simon Tress
Man braucht Bratöl, eine Zwiebel, eine große oder zwei kleine Karotten, ein halbes Kilo Rote Bete (roh), 200 ml Gemüsebrühe, 200 ml Weißwein, einen Becher Schlagsahne, etwas Mehl zum Binden, Salz, Koriandersamen, Kümmel, (gemahlen, noch besser frisch gemörsert) - und die Gewürze gibt es auch regional.
In einem Topf das Bratöl auf mittlere Temperatur erhitzen und darin die klein gewürfelte Zwiebel anschwitzen, bis sie glasig ist. In der Zwischenzeit Karotten und Rote Bete waschen, schälen und in mittelgroße Würfel schneiden. Dazu geben und mit Weißwein und Brühe ablöschen.
Aufkochen und dann sofort die Temperatur so weit reduzieren, dass alles sanft köchelt. Wenn die Flüssigkeit fast komplett eingekocht ist, das Mehl darüber stäuben und alles vorsichtig umrühren. Sahne dazu geben, aufkochen und am Ende nach Geschmack würzen.
Anna: Inzwischen ernähren wir uns ja nicht mehr mit so strengen Regeln. Aber besonders die Kinder sind jetzt sensibilisiert und wissen, was regional und saisonal bedeutet. Sie erzählen, dass jemand in der Schule Erdbeeren oder Blaubeeren dabei hatte – und das mitten im Februar.
Patrick: So ein Experiment zwingt einen, genauer hinzuschauen und so haben wir eine echte Produktvielfalt und völlig neue Geschmackswelten kennengelernt. Es gibt in Bayern unheimlich viele Ölmühlen: Hätten wir nicht auf Olivenöl verzichtet, wären wir nie auf und Hanf-, Lein-, Soja-Öl gestoßen.
Patrick: Ach! 15 Gläser mit ihrer selbstgekochten Soße aus eigenen Tomaten halten sowieso nicht lange. (lacht)
Das Buch „Bock auf regional - Eine Familie. Ein Jahr. Ein Plan.“ von Anna und Patrick Hemminger ist 2022 im Wettersteinverlag erschienen und kostet 14,95 Euro. „Bock auf regional“ heißt auch der Podcast, den das Paar aus Bernried am Starnberger See demnächst regelmäßig veröffentlichen will.
Das Interview führte Cornelia Schramm.