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So setzt sich „Athletes for Ukraine“ für die Menschen im Kriegsgebiet ein

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Von: Karlheinz Kas

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Telefonate werden bis in die Nacht hinein geführt: Dr. Jens Steinigen daheim am Schreibtisch.
Telefonate werden bis in die Nacht hinein geführt: Dr. Jens Steinigen daheim am Schreibtisch. © Kas

Am 24. Februar ist der russische Angriffskrieg in der Ukraine ausgebrochen, nur zehn Tage später war der Vereins „Athletes for Ukraine“ gegründet. Gründer Dr. Jens Steinigen gab in einem Interview nun Einblicke in den Verein und zog eine Jahresbilanz.

Siegsdorf – Er war Olympiasieger mit der deutschen Biathlonstaffel 1992 in Albertville, hat zwei WM-Brozemedaillen geholt, einen Weltcupsieg gefeiert und wohnt mit Ehefrau Maria und Tochter Clara heute in Siegsdorf: Dr. Jens Steinigen. Der Traunsteiner Rechtsanwalt hat als Gründer des Vereins „Athletes for Ukraine“ Anfang März weltweit für Aufsehen gesorgt und einen riesigen Zulauf, unter anderem von Weltklassesportlern. Im Gespräch mit der Redaktion zieht der 56-jährige Jurist Jahresbilanz.

Am 24. Februar ist der Krieg ausgebrochen. Bereits am 6. März war ihr Verein gegründet, kurze Zeit später erfolgten die notwendigen Eintragungen. Das ging ja blitzschnell!

Dr. Jens Steinigen:Ja wirklich! Nur drei Tage vor der Gründung stand das Vereinslogo, das meine Frau kreiert hatte. Maria ist studierte Mediengestalterin. Ich verschickte es an Freunde und mir bekannte Sportler, verbunden mit der Frage: Bist du dabei? Innerhalb von drei Tagen hatte ich 46 Gründungsmitglieder beisammen. Protest gegen den Angriffskrieg zu zeigen, war zunächst die Kernidee. Er sollte vor allem auch nach Russland hinein sichtbar sein.

„Darauf habe ich noch nie eine Rückantwort bekommen“

Wieviel Zeit wenden Sie täglich für „Athletes for Ukraine“ auf?

Steinigen:Im Schnitt jeden Tag ein bis zwei Stunden schätze ich. Seit gut acht Monaten bin ich am Anschlag. In den ersten drei Monaten habe ich maximal drei bis vier Stunden pro Nacht geschlafen, jetzt geht’s besser. Aber das alles nimmt einen schon mit. Ich arbeitete in meinem Beruf ohnehin schon um die 50 Stunden pro Woche, seit Gründung des Vereins kommen weitere zehn bis 15 Stunden dazu.

Werden Sie eigentlich manchmal gefragt, warum Sie sich so in der Ukraine engagieren und ob es nicht hierzulande genug zu tun gibt?

Steinigen:Sehr wohl, ich kriege auch Nachrichten dazu. Ich antworte dann immer, dass ich seit mehr als 20 Jahren ehrenamtlich für das Rote Kreuz arbeite und frage den Verfasser, wie er sich ehrenamtlich engagiert. Darauf habe ich noch nie eine Rückantwort bekommen.

Dr. Jens Steinigen im Gespräch mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann beim Bayerischen Sportpreis.
Dr. Jens Steinigen im Gespräch mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann beim Bayerischen Sportpreis. © Kas

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Wie geht es Ihnen aktuell?

Steinigen:Jetzt etwas besser, aber alles ist nach wie vor sehr anstrengend, aber nicht nur für mich, sondern auch für andere im Verein, die sich jeden Tag engagieren. Es hat sich viel getan. Viele internationale Klassesportler haben sich eingebracht und ziehen mit. Sportler haben Reichweite, so kann man sehr gut den Protest gegen den Krieg zeigen. Alle haben großen Charakter bewiesen, alle sind sehr engagiert. Ich habe viele großartige Sportler und Sportlerinnen kennengelernt, aber auch Menschen ohne sportlichen Hintergrund. Respekt! Ich wusste anfangs ja nicht, wo der Zug hingeht. Aber ich habe noch keinen Tag bereut. Hätte ich nämlich nichts gemacht, ginge es mir heute noch viel schlechter.

Wer waren die ersten bekannten Sportgrößen, die mitgemacht haben?

Steinigen:Vom Biathlon sind es Wolfgang Pichler, Frank Luck, Maren Hammerschmidt, Fritz Fischer, Simon Schempp, Wilfried Pallhuber und Alfred Eder, vom Langlauf Tobi Angerer, vom Parasport Martin Braxenthaler, dazu Boxer Sven Ottke, Extrembergsteiger Alexander Huber und Rodler Felix Loch. Wolfgang Pichler ging in Schweden gleich an die Presse und dann war es plötzlich fast ein Selbstläufer. Aber wenn ich hier einige mit Namen nenne, tue ich den vielen anderen großartigen Menschen, die sich bei uns und mit uns engagieren, Unrecht.

Statement beim Biathlon-Weltcup

So richtig los ging es dann beim Biathlon-Weltcup in Otepää.

Steinigen:Richtig! Ein Freund, unser Vereinsmitglied Jan aus Estland, hat dort T-Shirts mit unserem Logo bedrucken lassen und verteilt. Trainer und Sportler haben sie gleich angezogen und ein Statement gegen den Krieg abgegeben. Norwegens Schießtrainer Siegfried Mazet zeigte unser T-Shirt gleich nach dem Staffelsieg seiner Mannschaft. Da ging das Logo schon um die Welt. Auch der Präsident der Internationalen Biathlon Union (IBU), Olle Dahlin, hat sich gleich zu uns bekannt. So wurde der Protest gegen den Krieg schnell sichtbar.

Aber es blieb ja nicht bei der Stimmung gegen den Krieg. Es wurde ja richtig angepackt!

Steinigen:Ja, weil Hilfe dringend gebraucht wurde. Die Winter-Saison war ja vorbei, so wurden die Busse von den Sportverbänden und -vereinen frei. Das haben wir genutzt und starteten mit diesen zunächst unsere Fahrten mit Hilfsgütern an die polnisch-ukrainische Grenze. Da war zum Beispiel Felix Loch gleich mit unter den Ersten, die mit Hilfsgütern an die Grenze gefahren sind. Auf dem Rückweg haben wir dann Geflüchtete aus den Auffanglagern an der Grenze mit nach Deutschland genommen. Spitzenwert war ein Wochenende mit 23 Fahrzeugen, aus unserer Gegend aber auch schon mit Fahrzeugen aus Oberhof und Altenberg.

Was haben Sie alles transportiert?

Steinigen:Medikamente, Lebensmittel, Kindernahrung, alles, was gebraucht wurde. Auf den Rückfahrten haben wir dann am Anfang meist Mütter mit ihren Kindern mitgenommen, die Männer durften ja die Ukraine nicht mehr verlassen.

Dann haben Sie sich hier auch für die ukrainischen Kinder eingesetzt.

Steinigen:Ja, wir starteten Anfang April mit dem ersten Kindersporttag in Prien. Wir wollten, dass ukrainische Kinder für ein paar Stunden die schlimmen Erlebnisse vergessen können und möglichst auch Kontakt zu den lokalen Sportvereinen finden, damit sie auch bei uns weiter Sport treiben können. Der Traunsteiner Thomas Kroschinski hat sich da groß eingebracht. DJ Lumpi war dabei, Fritz Fischer – innerhalb einer Woche stand unser Programm. Weitere folgten unter anderem im Schwimmbad in Siegsdorf mit Markus Eisenbichler und Vanessa Hinz. Es waren große Erfolge, denn Sport verbindet. Unter diesem Motto haben wir inzwischen auch bundesweit unsere Aktion Kindersporttage gestartet.

Und die Lieferketten wurden immer größer und intensiver!

Steinigen:Richtig! Ende April hatte es sich abgezeichnet, dass immer weniger Flüchtlinge aus der Ukraine kommen. Die VW-Busse wurden ineffizient, wir stellten uns völlig neu auf. Einen Großteil der Hilfslieferungen wickeln wir inzwischen über das NOK der Slowakei und deren Logistikstützpunkt in Bratislava ab. Der Ruhpoldinger Markus Kecht hat hier die Kontakte geknüpft. Von Bratislava geht es mit 40-Tonnern weiter nach Uschghorod in der Ukraine, wo das NOK der Ukraine und unsere Kooperationspartner vor Ort die Hilfsgüter und deren Verteilung übernehmen. Wir liefern daneben aber auch weiter mit Transportern selbst direkt in die Ukraine. Erst Ende November waren wieder Teams aus Bayern, Oberhof und Baiersbronn in der Ukraine und haben Hilfsgüter nach Jaworiw zum dortigen Reha- und Sportzentrum für körperbehinderte Menschen und das Internat in der Schule von Turka gebracht. Dank eines mitgebrachten Stromgenerators können für die Flüchtlinge und Kinder dort jetzt wieder 180 warme Mahlzeiten am Tag gekocht werden.

Ein Verladebahnhof und ein eigener Lkw

Sie haben in Siegsdorf einen eigenen Verladebahnhof?

Steinigen:Ja, inzwischen haben wir auch ein kleines Lager dank Unterstützung der Firma g branded GmbH, die uns einen Teil ihrer neuen Halle als Lager zur Verfügung stellt. Dort sammeln wir die Hilfsgüter, bereiten sie vor und verladen sie für den Transport in die Ukraine.

Sie haben sogar einen eigenen Lkw gekauft.

Steinigen:Ja, diesen hat uns unser Mitglied Rudi Wochinger aus Traunstein besorgt. Wir haben den Lkw günstig in Österreich erstanden, er war natürlich gebraucht, MAN in Siegsdorf hat ihn auf Vordermann gebracht. Es ist ein 7,5-Tonner, der jetzt nur noch in der Ukraine fährt und dort von unserem Kooperationspartner aus Charkiw für Transport und Verteilung von Hilfsgütern genutzt wird.

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Und jetzt schicken Sie auch Kleidung in die Ukraine.

Steinigen:Auch das machen wir, wenn es sinnvoll ist. Zum Beispiel haben wir vom OK der European Championships in München 16 Paletten nicht benötigte Einkleidung für die Volunteers erhalten und in die Ukraine gebracht. Ähnliches passierte in Ruhpolding nach der Sommer-WM im Biathlon. Wir haben auch Skiroller und Skistöcke erhalten und zur Sportschule nach Tschernihiw geschickt, die bereits in den ersten Kriegstagen vollständig von russischen Bomben zerstört wurde. Das komplette Sportmaterial ist damals verbrannt, allein 600 Paar Langlaufski, Schuhe und mehr. Den Wiederaufbau dort unterstützen wir auch weiter.

Emotionale Schicksalsschläge

Kommen die Transporter in der Ukraine denn immer durch?

Steinigen:(hat Tränen in den Augen) Bisher ja, bisher ist auch immer alles gut gegangen. Aber die Freiwilligen unserer Kooperationspartner, die unsere Hilfsgüter in der Ukraine verteilen, riskieren dabei ihr Leben. Am 11. Juli kamen sie zum Beispiel mitten in Charkiw unter russischen Artilleriebeschuss. Ein vor ihnen fahrender Pkw, besetzt mit Vater und Sohn, wurde direkt getroffen. Der Sohn war erst 17. Beide waren sofort tot, vom Auto blieb nur die Bodenplatte übrig. Und Dmytro Konstantinov, ein Richter, der sich für uns engagiert hat und auch noch bei der Mienenräumung in der Region Charkiw half, wurde am 29. Oktober im Dorf Borshchev durch eine Panzerabwehrmiene getötet. Er hinterlässt Ehefrau und zwei Töchter, 16 und 13. Das sind Schicksalsschläge, die einem sehr nahe gehen.

Ihr Verein hat schon viel Hilfe geleistet. Woher kommen die Gelder?

Steinigen:Von Spenden, Zuwendungen und von Veranstaltungen. 150 000 Euro kamen von den Stiftungen der Deutschen Vermögensberatung und der Generali, 30 000 von Joka, jüngst 37 000 von der RTL-Spendengala und immer wieder gibt es Aktionen. Allein bei einem Lauf des Finsterwalder-Gymnasiums in Rosenheim kamen über 30 000 Euro zusammen. Auch der Sporttag in Ruhpolding hat einen fünfstelligen Betrag gebracht, hinzu kommen viele kleinere Veranstaltungen, es sind mehr als ein Dutzend. Dazu kommen Sachspenden. Auch viele Privatpersonen und Firmen spenden immer wieder, weil sie, wie viele andere, von unserem Engagement überzeugt sind. Jeder Euro kommt vor Ort an. Wir sind aber weiter auf Spenden angewiesen, um so weitermachen zu können. Die Not in der Ukraine ist groß.

Ihr Verein wurde am 22. Oktober in der Münchner BMW-Welt mit dem Bayerischen Sportpreis „Sportler mit Herz“ ausgezeichnet. Eine große Ehre?

Steinigen:Ja, darüber haben wir uns sehr gefreut. Lisa Loch, die von Anfang an mit Herz und Seele dabei ist, Wolfgang Pichler und ich durften den Preis in Empfang nehmen. Unser Pressesprecher Jonah Werner aus Rosenheim und der umtriebige Markus Kecht waren auch dabei. Das war schon etwas ganz Besonderes. Aber der Preis ist natürlich vor allem Anerkennung für die vielen, die sich mit uns engagieren.

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Und Sie haben an dem Abend ein längeres Gespräch mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann geführt, der den Preis auch überreichte. Was haben Sie besprochen?

Steinigen:Ich habe ihm gesagt, dass wir eine Dokumentation über Sportler und Sportlerinnen aus Russland haben, die Kriegspropaganda betreiben, sich für den Krieg gegen die Ukraine einsetzen, und ihn gebeten, sich dafür einzusetzen, dass diese keine VISA mehr für den Schengenraum erhalten. Ich habe ihm dann die Dokumentation geschickt, da ich es für unerträglich halten würde, wenn solche Athleten bei uns an Wettkämpfen teilnehmen und vielleicht auch noch Kriegspropaganda verbreiten könnten.

Ziel? Weltweites Engagement

Russische und weißrussische Biathleten haben Startverbot im Biathlon-Weltcup. Richtig oder falsch?

Steinigen:Für Sportler aus diesen Ländern, die klar gegen den russischen Angriffskrieg Position beziehen, tut es mir leid, wenn sie nicht starten können. Das Risiko, dass so jemand davon betroffen ist, ist aber aktuell auch im Biathlon gering. Ich kenne aktuell niemanden, bei dem das der Fall wäre. Für diese Athleten würde ich mir in Zukunft aber eine Lösung wünschen, wobei aber eben zum Beispiel auch Sicherheitsaspekte bedacht werden müssen. Russische Athleten, die sich gegen den Krieg aussprechen, sind dort Regimegegner und werden wahrscheinlich auch im Ausland verfolgt. Eine russische Schwimmerin hat gepostet, dass sie wegen des Angriffskriegs nie mehr für Russland starten will. Wir haben mit ihr Kontakt aufgenommen und unsere Unterstützung angeboten.

Ihr Ziel?

Steinigen:Wir haben schon viel geschafft, viel mehr, als ich mir Anfang März erträumt habe. Der Krieg ist aber immer noch nicht vorbei. Wir möchten das Engagement weiter ausbauen und erreichen, dass sich auch die Sportwelt in Norddeutschland, Frankreich, Norwegen, Schweden, Finnland, Österreich und Italien gemeinsam mit uns engagiert, am besten weltweit.

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