Erste Tuchel-PK jetzt live: Und warum musste Nagelsmann gehen?

München - Bayerns radikaler Trainerwechsel vor dem Clásico überrumpelt selbst Münchner Stars. Tuchel löst Nagelsmann im Saisonendspurt ab und legt gleich los. Ein Null-auf-hundert-Start mit schweren Aufgaben.
Die mit Spannung erwartete Antritts-PK von Thomas Tuchel :
Bayern-Chef Oliver Kahn hat vor der offiziellen Vorstellung des neuen Cheftrainers Thomas Tuchel noch einmal die Trennung von Vorgänger Julian Nagelsmann begründet. „Es ist die Pflicht und unsere Aufgabe, für den sportlichen Erfolg zu sorgen“, sagte der 53-Jährige am Samstag bei einer Pressekonferenz in der Allianz Arena.
Der Trainerwechsel mitten in der entscheidenden Saisonphase sei „keine Panikreaktion“, erklärte der Vorstandsvorsitzende: „Das hat mit Panik überhaupt nichts zu tun.“ Die Entscheidung, Nagelsmann am Freitag freizustellen, sei „wohlüberlegt“ gewesen und keine Entscheidung aus der Emotion heraus gewesen. „Ich weiß, es ist keine populäre Entscheidung“, sagte Sportvorstand Hasan Salihamidzic.
Die Führung sah sich wegen der ständigen Leistungsschwankungen zum Handeln veranlasst, weil „die Leistungskurve ständig nach unten geht“, wie Salihamidzic sagte. Die Konstellation zwischen Trainer und Mannschaft habe nicht mehr gepasst. „Wir haben einen der besten Kader in Europa. Und trotzdem ist die Leistungskontinuität der Mannschaft nicht wirklich besser geworden. Wir können in der Rückrunde mit den Resultaten und den häufig gezeigten Leistungen nicht zufrieden sein“, sagte Kahn.
„Die letzten Tage waren für uns alle schwierig. Es gab auch die eine oder andere Nacht, in der ich nicht wirklich gut geschlafen habe“, sagte Kahn. Der 35 Jahre alte Nagelsmann sei trotzdem weiterhin „ein exzellenter, ein sehr guter Trainer“, wie Kahn sagte.
Vorbericht:
Kurz nach 16 Uhr brauste Julian Nagelsmann als Münchner Ex-Trainer ohne Schlussworte vom Vereinsgelände - die Saison des Fußball-Rekordmeisters soll jetzt Thomas Tuchel krönen. Die offizielle Bestätigung für den spektakulären Traineraustausch verkündeten die Bayern-Bosse um Oliver Kahn am Freitag aber erst nach 20 turbulenten Stunden und als die Nachricht längst in der ganzen Fußballwelt bekannt war.
Tuchel bis zum 30. Juni 2025 verpflichtet
„Nach der WM haben wir immer weniger erfolgreich und attraktiv gespielt, die starken Leistungsschwankungen haben unsere Ziele in dieser Saison infrage gestellt, aber auch über diese Saison hinaus. Deshalb haben wir jetzt reagiert“, begründete Vorstandschef Kahn den drastischen und beim Zeitpunkt verblüffenden Schritt bei Deutschlands Topclub.
Der 49-jährige Tuchel erhält einen Vertrag bis zum 30. Juni 2025 und wird am Montag erstmals das Training leiten. Offiziell als Trainer präsentiert wird der zuletzt vereinslose Topcoach an diesem Samstag um 12 Uhr in der Allianz Arena.
Der 2021 für eine Rekordablöse im zweistelligen Millionenbereich und für fünf Jahre verpflichtete Nagelsmann, der in dieser Woche noch beim Skifahren in Österreich weilte, düste ohne Abschiedsworte mit seinem dunklen Dienstwagen aus der Tiefgarage. Rund eine Stunde dauerte das Abschiedsgespräch. Kamerateams und Fotografen belagerten den gesamten Tag lang das Vereinsgelände - auch in der Hoffnung, Tuchel ablichten zu können.
Erstes Spiel unter Tuchel gegen BVB
Der Münchner Trainer-Knall schreckte eine Woche vor dem Klassiker des Tabellenzweiten gegen Spitzenreiter Borussia Dortmund die Bundesliga auf. Pikant ist, dass der ehemalige BVB-Coach Tuchel die Bayern bei seinem Null-auf-hundert-Start ausgerechnet im Topspiel gegen die Dortmunder in einer Woche in München erstmals coacht. Tuchel hatte in dieser Spielzeit beim FC Chelsea gehen müssen, mit dem er 2021 die Champions League gewonnen hatte. 2020 unterlag der Ex-Coach des FSV Mainz 05 und der Borussia mit Paris Saint-Germain den Münchnern im Finale der Königsklasse.
Holt Tuchel das Triple?
Tuchel erfüllt alle Punkte des Münchner Anforderungsprofils. Er arbeitete etwa bei PSG schon mit namhaften Stars zusammen. Allerdings eckte er bei seinen vorherigen Stationen auch an. Unumstritten war menschlich auch der eloquente Nagelsmann in München nicht. Die Bayern-Bosse erkannten trotz eines top besetzten Kaders zudem keine nachhaltige sportliche Verbesserung unter dem extrovertierten Coach, der mit dem Achtelfinal-Coup gegen Paris seinen größten internationalen Bayern-Erfolg feierte. In Bundesliga, Champions League, DFB-Pokal sind noch alle drei Titel möglich. Tuchel soll die Arbeit von Nagelsmann fortsetzen und nach Münchner Wünschen mit dem dritten Triple der Vereinsgeschichte vollenden.
Zu Tuchel werden sich Kahn und Salihamidzic erst bei dessen Vorstellung äußern. Tuchels Kaltstart in München wird nicht einfach. Am Montag soll er das erste Training leiten. Aber mit wem? Nur eine Kleingruppe um Routinier Thomas Müller und Offensivkünstler Leroy Sané wird dann auf dem Vereinsgelände anwesend sein. Die meisten Bayern-Profis sind aktuell mit ihren Nationalteams unterwegs - und werden Tuchels erste Schaffenstage aus der Ferne verfolgen.
Klar ist, was Tuchel nach dem Willen der Bayern-Bosse in der vereinbarten Vertragslaufzeit bis zum 30. Juni 2025 leisten soll. Abzulesen ist das aus den Worten, die Vorstandschef Oliver Kahn als Gründe für die zu diesem Zeitpunkt doch arg überraschende Trennung des deutschen Rekordmeisters von dem zuvor immer wieder hochgelobten Nagelsmann (35) wählte.
Die Münchner Entscheider waren spätestens nach dem jüngsten 1:2 in Leverkusen und dem Verlust der Tabellenführung in der Bundesliga nervös geworden und zu der Erkenntnis gekommen, „dass sich die Qualität unseres Kaders zunehmend seltener gezeigt hat“. Tuchel soll mit dem besten und auch mit Abstand teuersten Personal hierzulande dauerhaft für Erfolge und attraktiven Fußball sorgen. Er muss „die starken Leistungsschwankungen“ abstellen, die Kahn hauptsächlich dem am Freitag freigestellten Nagelsmann ankreidete.
Salihamidzic: „Die schwierigste Entscheidung in meiner Zeit“
„Das ist die schwierigste Entscheidung in meiner Zeit als sportlich Verantwortlicher des FC Bayern gewesen“, sagte Sportvorstand Hasan Salihamidzic über die Trennung von Nagelsmann. „Nach gründlicher Analyse der sportlichen Entwicklung unserer Mannschaft speziell seit Januar und mit den Erfahrungswerten der Rückrunde in der Vorsaison haben wir jetzt gemeinsam entschieden, Julian freizustellen.“ Mit Nagelsmann werden auch die Assistenztrainer Dino Toppmöller, Benjamin Glück und Xaver Zembrod von ihren Aufgaben entbunden.
Nationalmannschafts-Kapitän Joshua Kimmich fand schon Stunden zuvor ruhmreiche Abschiedsworte. „Ich kann nur sagen, dass Julian Nagelsmann ein überragender Trainer ist. Ich würde sagen, dass er locker in den Top 3 meiner besten Trainer ist“, sagte der 28-Jährige in Frankfurt bei der Nationalmannschaft. Das Geschehen in München überstrahlte auch die Vorbereitung der DFB-Auswahl auf das Länderspiel am Samstag gegen Peru. „Es wird nicht so sein, dass das alle beflügelt“, sagte Bundestrainer Hansi Flick.
Überraschender Zeitpunkt für Trainerwechsel
Der Verein war offensichtlich davon überrascht worden, dass die spektakuläre Trainer-Entscheidung am späten Donnerstagabend über externe Kanäle publik geworden war. Der international gut vernetzte Transferexperte Fabrizio Romano hatte zuerst berichtet, dass die Münchner eine Trennung von Nagelsmann in Erwägung ziehen. Spät am Abend meldete dies die „Bild“-Zeitung als fix. Bis zur offiziellen Bestätigung verging dann fast ein Tag.
Der Zeitpunkt der Aufsehen erregenden Personalie kommt vor dem BVB-Gipfel sowie den K.o.-Duellen mit dem SC Freiburg im DFB-Pokal und Manchester City in der Königsklasse überraschend, begründet sich aber in der aktuellen Gesamtkonstellation. Trainerwechsel sind immer auch eine Frage der Alternative. Tuchel war auf dem Markt - und international begehrt. Angeblich war er auch Kandidat bei Real Madrid und Tottenham Hotspur. Entweder jetzt oder wieder nicht, könnte die Frage beim Bayern-Kalkül gelautet haben.
Im Frühjahr 2018 hatten die Münchner bei Tuchel, den nun schnell das prickelnde Duell mit den hochgeschätzten City-Coach Pep Guardiola im Viertelfinale erwartet, gezögert. Damals hatte Uli Hoeneß zu lange gehofft, Jupp Heynckes doch noch zum Weitermachen überreden zu können. Am Ende kam Niko Kovac, der trotz des Gewinns von Meisterschaft und DFB-Pokal im zweiten Amtsjahr vorzeitig gehen musste - und mit dem Bayern nicht glücklich wurde. Ähnliches wiederholt sich nun beim letztjährigen Meistercoach Nagelsmann, der zuletzt mit 1:2 in Leverkusen verloren hatte.
Nagelsmann schon länger in der Kritik
Man sei „zu der Erkenntnis gekommen, dass sich die Qualität unseres Kaders - trotz der deutschen Meisterschaft im vergangenen Jahr - zunehmend seltener gezeigt hat“, sagte Kahn. Bis zuletzt sei es das Ziel gewesen, langfristig mit Nagelsmann zusammenarbeiten. Das hatten die Bosse bis zur überraschenden Wende auch immer wieder betont.
Um Nagelsmann gab es neben den sportlichen Dämpfern zu viele Nebenschauplätze. So sorgte etwa die von ihm vorangetriebene Ablösung des Manuel-Neuer-Vertrauten Toni Tapalovic als Torwartcoach für viel Wirbel. Mit einer Beziehung zu einer Reporterin machte er sich intern angreifbar. Dass Erfolge beim FC Bayern nicht vor Trennungen schützen, ist übrigens nicht neu. Auf dem Weg zum UEFA-Cup-Titel 1996 musste Otto Rehhagel einst nach dem Finaleinzug gehen. Mit Franz Beckenbauer als Interimscoach holten die Bayern im Endspiel den Europapokal.
Nagelsmann bald wieder zurück?
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass Nagelsmann sehr schnell wieder da sein wird“, schätzte Sky Reporter Florian Plettenberg am Freitag via Twitter ein und meint: „Real Madrid, Tottenham, irgendwann Liverpool oder Nationaltrainer. Ihm gehört die Zukunft!“
Nach Informationen des Evening Standard befinden sich die Tottenham Hotspur nach der überraschenden Trennung in Alarmbereitschaft. Bei den Spurs stehen die Zeichen mit Teammanager Antonio Conte nach ausbleibenden Ergebnissen und einer bemerkenswerten Wutrede auf Abschied. Der 35-Jährige Nagelsmann stand bereits 2021 auf der Liste des North London Klubs, „Die Spurs sollten ihn direkt ans Telefon bekommen“, twitterte Ex-Tottenham-Star und Sky Experte Jamie O‘Hara am Donnerstag.
dpa/mz