Der Tross von Bora-hansgrohe: Im Raumschiff zum Planet Tour de France 2020
Das Team Bora-hansgrohe aus Raubling schickt acht Profis zur Tour de France. Mission: ein Podestplatz am Ende, in Paris. Hinter den Sportlern und ihren federleichten Maschinen stecken Tonnen von Material und die Arbeit eines großen Stabs. Wie Bora-hansgrohe den Grand Depart in Nizza vorbereitet.
Neubeuern – Die Männer, die an den federleichten Carbon-Rennmaschinen herumschrauben, setzen zum Ausgleich auf Schwermetall. Aus den Boxen in der Werkstatt lassen die Mechaniker Heavy Metal wummern. Ein Sound, der zum Radsport passt: schnell, , virtuos und ganz schön heftig.
Tonnen von Material für die Tour de France
Draußen zischt‘s, Wasser stäubt durch die Luft, ein Mann vom Team-Stab säubert ein Rennrad mit dem Hochdruckreiniger. In der Halle stapeln andere Mitarbeiter von Bora-hansgrohe Pappkartons, beschriftet mit den Namen der Rad-Profis, Emanuel Buchmann, Peter Sagan, Pascal Ackermann... Die Tour de France 20202 steht vor der Tür, so spät im Jahr wie noch nie in ihrer fast 120-jährigen Geschichte.

Ob im Juli oder im September, eines ändert sich nicht: Um Rennfahrer auf ihren filigranen Maschinen auf große Frankreich-Rundfahrt zu schicken, sind Tonnen von Material vonnöten. Eine Herausforderung für Planer und Organisator. Die Reporter der OVB-Heimatzeitungen sind nach Neubeuern gekommen, um dem Team von Bora-hansgrohe Adieu und bonne chance! zu sagen. Und Einblicke in ein logistisches Großunternehmen zu gewinnen.
Dusche, Küche, Pilotensitze: der Teambus von Bora-hansgrohe
Das Herzstück: Der neue Teambus gleicht einem Raumschiff. Acht ergonomische und beeindruckend bequeme Pilotensitze, je vier links und rechts des Flurs, sind für die Sportler reserviert. Hinten findet sich eine Art Wohnzimmer, mit einer U-förmigen Sitzbank, die zur Liege umgebaut werden kann. An der Rückwand: ein eingebautes Regal mit Energieriegeln und Gels. „Dort bedient sich vorm Start jeder Fahrer noch mal nach seinem Geschmack“, erklärt Thomas Hörl aus dem Stab von Bora-hansgrohe.
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Zwischen Passagierabteilung und „Wohnzimmer“: Eine Kabine mit zwei Duschen, eine Toilette, eine Kochnische. Bald nach dem Rennen nehmen die Fahrer etwas zu sich, erklärt Hörl, eine Zwischenmahlzeit vorm eigentlichen Abendessen. „Es kann schon mal zwei, drei Stunden dauern, bis die Fahrer endlich im Hotel landen.“ Party machen kann man auch mit dem Bus, dank der Außenlautsprechern. Ganz wichtig fürs Innenleben: eine Espressomaschine. Außerdem: eine Kochnische, in den Schubladen Pasta, Saucen, Reis... Die Radfahrer brauchen bald nach dem Rennen eine erste Mahlzeiten.
5 Räder für jeden der 8 Fahrer von Bora-hansgrohe
Die rollende Küche: „Bora-hansgrohe“ verfügt über einen Kitchen-Truck, mit einem schlichten Speiseraum, einer Top-Gastroküche – und einer weiteren Espressomaschine. Es gebe Teams, die keinen Küchenwagen dabei haben, erklärt Hörl. „Die sind auf das angewiesen, was ihnen die Hotels anbieten.“ Bei „Bora-hansgrohe“ behält man lieber die Kontrolle über das, was die Profis zu sich nehmen. Ein Koch fährt mit, und der Fahrer hilft beim Aufwarten. Zur Küche gehört ein Kühllaster, befüllt mit erlesenen Lebensmitteln aus der Region Rosenheim.
Der Rad-Lader: Drei Straßenräder, dazu zwei Zeitfahrmaschinen für jeden der acht Fahrer: Das macht 40 höchstwertige Rennmaschinen, 6,9 Kilo leicht, verwindungssteif, aerodynamisch, dank Hochfelgen, elektronischen Schaltungen und innen verlegten Kabelzügen. Stückpreis rund 13.000 Euro. Die Maschinen fahren in einem eigenen Truck, dazu Ersatzteile. Für die Räder von Mega-Star Peter Sagan sorgen zwei Mechaniker.
Physiotherapeuten und Psychologen
Der Knet-Wagen:Ein Lastwagen ist für die Physiotherapeuten. Darin stehen auch zwei Waschmaschinen. Die „Physios“ sind auch für die Wäsche zuständig. Und sind ein bisschen auch Psychologen. Verspannen können sich schließlich nicht nur Muskeln.
Der restliche Tross: Ein Transporter und insgesamt neun normale Autos fahren nach Frankreich. Die Kombis haben Radständer auf dem Dach, mehrere von ihnen sind an jedem Renntag dabei. Ob der Ausreißer weit vorne oder der Rest des Teams im Peloton – jeder Bora-hansgrohe-Fahrer kann irgendwann technische Hilfe benötigen.

Dienstreisen: Ein Radsportteam wie Bora-hansgrohe ist ein ausgewachsener mittelständischer Betrieb. Drei Rennen kann das Team parallel stemmen. Bei der Tour de France bilden etwa 25 Mitarbeiter den Tross: Mechaniker, Koch, Physiotherapeuten, Osteopath, Arzt, Pressesprecher, Sponsorenbetreuer... Viele Mitarbeiter haben rasierte Beine. so wie die Profis. „Eine gewisse Radsportaffinität muss man schon haben,“ sagt Hörl über ein wichtiges Einstellungskriterium. Auch wegen der Arbeitszeiten, oft am Wochenende beispielsweise, oder in der Nacht. Nach den Rennen packen die Helfer alles ein und schlichten das Material in die Trucks. Oft kommen sie erst zu später Stunde in Neubeuern an. Im ersten Stock des Gebäudes befinden sich daher Appartements für sie.
In die Mannschaftswertung gehört eigentlich auch der Tross
Was die Karawane mitnimmt: Bergeweise Fahrradklamotten, Helme, Sonnenbrillen, Isotonische Getränke, Gels, Riegel, Massageöl, Sonnenöl, Duschgel: In der Materialzentrale in Neubeuern sieht es aus wie im Lager eines Radsport-Versandhauses. Vieles davon fährt mit zur Tour. Die Trikots sind heuer hell, bei Regen saut man die schnell ein. „Dann kann man‘s nach einem Tag schon wieder wegwerfen“, sagt Tom Brandner, Servicekursmanager. „Das ist die Tour de France, da muss alles sauber, schön und ordentlich sein“, fordert Team-Manager Ralph Denk.
Sauberkeit ist auch sonst Trumpf: Nach jedem Fahr-Tag werden die Ketten gesäubert. Verschmutzte Ketten können bis zu 20 Watt Leistung kosten, sagt Brandner. Geputzt werden auch die Räder, die nur auf dem Dach der Begleitfahrzeuge mitfahren, erzählt Mechaniker Mario Lexmüller.
Die Tour de France ist und bleibt auch Materialschlacht. Wenn alles zur rechten Zeit am rechten Ort ist – dann haben zwei Dutzend Mitarbeiter gute Arbeit geleistet. Auch was das betrifft, sind Radrennen Mannschaftssport.