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Studie mit alarmierenden Zahlen

Bayernweit zu viele Schulabbrecher? So geht die Mittelschule Wasserburg das Problem an

Maria Albert, Schulleiterin der Mittelschule Wasserburg, und Hans Leiphold, Sozialpädagoge an der Mittelschule.
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Maria Albert, Schulleiterin der Mittelschule Wasserburg, und Hans Leiphold, Sozialpädagoge in der Praxisklasse.
  • Anja Leitner
    VonAnja Leitner
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6000 Schüler in Bayern haben laut Bertelsmann-Stiftung 2021 die Schule abgebrochen. Dieses Schicksal drohte auch Paul. Der Teenager hat sich sein Leben lang durch den Schulalltag gequält. Wie er dank eines besonderen Konzepts der Mittelschule Wasserburg trotzdem seinen Abschluss geschafft hat.  

Wasserburg - Mehr als 47.000 Heranwachsende haben die Schule 2021 ohne einen Abschluss verlassen, das belegt eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung. Vergleichsweise steht Bayern noch gut da, nur 5,1 Prozent der Schüler brechen ab, das entspricht rund 6.000 Schülerinnen und Schüler, so die Studie. Dennoch sind die Zahlen alarmierend. Doch es gibt Wege aus der Misere.

Maria Albert, Schulleiterin der Mittelschule Wasserburg, hat bisher kaum Schulabbrecher erlebt. Sie ist seit elf Jahren an der Bildungseinrichtung, seit fünf Jahren Rektorin. „Wir haben heuer voraussichtlich nur wenige Schüler, die den angestrebten Abschluss nicht schaffen werden. Vergangenes Jahr hatten wir in der 8. Klasse ein Mädchen, das ohne Abschluss gegangen ist. Aber das kommt bei uns schon eher selten vor“, weiß die Schulleiterin.

Unterricht weniger theoretisch

Das liegt laut Albert vor allem an einem Angebot der Mittelschule Wasserburg, das es oberbayernweit nur in 29 Bildungseinrichtungen gibt: die P-Klasse, P steht für Praxis. „Wenn Schüler in der 8. oder 9. Klasse sehr zu kämpfen haben, dann dürfen sie dieses Angebot nutzen“, sagt die 62-Jährige. Der Unterschied: Der Unterricht sei weniger theoretisch und dauere länger — bis zu zwei Jahre könnten die Heranwachsenden daran teilnehmen. Es gebe bis zu neun Praktika, die die Mädchen und Buben währenddessen absolvieren müssten. Außerdem würden manche Fächer wegfallen, wie beispielsweise Englisch. Auch die Klassen seien deutlich kleiner, insgesamt gebe es nur 15 Plätze, aufgeteilt in zwei Gruppen. „Nach den Prüfungen verlassen die Heranwachsenden die Schule mit einem sogenannten ‚theoriereduzierten Mittelschulabschluss‘“, erklärt die Rektorin.

Hans Leipold ist Sozialpädagoge an der Mittelschule und — gemeinsam mit dem Klassenleiter Tobias Bauernschmid, Förderlehrerin Vanessa Tica und anderen Lehrkräften — seit drei Jahren zuständig für die P-Klassen. Diese wurden vor über 20 Jahren „aus der Not heraus gegründet“, denn das Kollegium sah Handlungsbedarf für diejenigen, „die im Schulalltag untergehen“, so Albert. Wer dafür infrage komme, werde meist schon in der 7. Klasse entschieden. „Es gibt Heranwachsende, die sehr schlechte Noten haben und sich wirklich durch den Schulalltag plagen. Dafür gibt es viele Ursachen: Das soziale Umfeld zuhause, Sprachbarrieren, manche sind einfach praktisch veranlagt, ihnen liegt die Theorie nicht — dann sind die Praxisklassen ideal“, erklärt Leipold. Momentan besuchen vier Mädchen und elf Jungs die Klasse. „Es ist eine Chance und soll auf das Leben nach der Schule vorbereiten, vor allem in Richtung Ausbildung“, sagt Albert. Die Schüler kommen aus allen Schichten, manche mit Migrationshintergrund, „wobei das nicht der ausschlaggebende Faktor ist“, verdeutlicht sie.

Großes Netzwerk gebildet

„Das beste Beispiel, wie ein Schüler seinen Weg macht, ist Paul (Name von der Redaktion geändert), berichtet der 41-jährige Sozialpädagoge Leipold. Paul sei in der 8. Jahrgangsstufe in die P-Klasse gewechselt. „Der damals 14-Jährige war ein spätgeborenes Kind in einer sehr beschützenden — vielleicht schon überbehütenden — Familie“, erzählt Leipold. „Paul war sehr unordentlich und unorganisiert. Er hat sich im Schulalltag schlecht zurechtgefunden“, weiß der Pädagoge. „Hier setzen wir an: Federmäppchen aufräumen, Hefte sortieren, Unterlagen richtig abheften“, erklärt er. „Paul hat damals ein Praktikum im Einzelhandel absolviert, das ihm gut gefallen hat. Da wusste er schon, in welche Richtung es für ihn gehen wird“.

Im Gespräch mit dem Betrieb wurde allerdings schnell klar: Paul braucht mehr Unterstützung, wenn er die Ausbildung startet. Er arbeite langsamer und weniger ordentlich als die anderen Lehrlinge, war das Feedback des Einzelhandel-Unternehmens. Leipold setzte sich daraufhin mit der Sonderberufsschule in Traunreut in Verbindung. Dort absolvierte Paul den theoretischen Teil seiner Ausbildung. „Mittlerweile hat sich durch die Praxisklassen ein großes Netzwerk an Betrieben, Firmen und Bildungseinrichtungen gebildet“, berichtet der Pädagoge. In Traunreut gebe es für Paul die Möglichkeit, während der Lehre vor Ort zu wohnen. „Das war für ihn ideal. Er ist aus der behütenden Atmosphäre zuhause rausgekommen und selbstständig geworden. Momentan macht er gerade seinen Abschluss als Einzelhandelskaufmann“, zeigt sich Leipold stolz.

Was laut dem 41-Jährigen aber immer noch ein Problem ist: das „Stigma“ der Praxisklassen. „Gerade die Eltern sind wenig begeistert, wenn wir vorschlagen, dass ihre Kinder wechseln sollen. Für viele ist es ein Abstieg. Ich kämpfe seit Jahren dagegen an, denn das ist absolut falsch“, verdeutlicht er. „Der Unterricht sieht einfach anders aus. Es gibt viele Praktika, wir machen Anruf- und Bewerbungstrainings und greifen den Schülern unter die Arme, wenn es sein muss. Andererseits brauchen die Jugendlichen bei handwerklichen Tätigkeiten überhaupt keine Hilfe. Wir haben schon Hochbeete gebaut, das ging praktisch von alleine“, berichtet der Sozialpädagoge. „Jeder hat Stärken und Schwächen. Das müssen die Schüler annehmen, vor allem aber auch die Eltern“, weiß Leipold.

Förderung durch den Europäischen Sozialfonds

Die Praxisklassen der Mittelschule Wasserburg werden durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) und die Stadt Wasserburg gefördert. Zur Verringerung der Zahl der Schulabbrecher und Förderung des gleichen Zugangs zu einer hochwertigen Grund- und Sekundarbildung fördere das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus (StMUK) Maßnahmen zur Aktivierung des Bildungs- und Ausbildungspotentials junger Menschen, zu denen der ESF insgesamt rund 60,7 Mio. Euro beitrage, wie auf der Homepage des Bayerischen Staatsministeriums nachzulesen ist. Im Einzelnen seien das die Praxisklassen an Mittelschulen, Klassen des Integrationsjahres an Berufsschulen (BIJ), das gebundene Ganztagsangebot für Deutschklassen an Grund- und Mittelschulen und das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) „Neustart“, so die Behörde.

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