Folgen des Missbrauchsskandals
Verdopplung der Kirchenaustritte: Was Rosenheimer Pfarrer jetzt dagegen unternehmen
Das Bild der Kirche ist seit einiger Zeit nicht mehr das beste. Die Konsequenz daraus sind massenhafte Kirchenaustritte – auch in Rosenheim. Wie sich das wieder ändern kann, haben uns drei Geistliche der Stadt erzählt.
Rosenheim – Die Anzahl der Kirchenaustritte ist in den ersten beiden Monaten des Jahres drastisch gestiegen. Seit Enthüllung des Missbrauchsgutachtens des Erzbistums München-Freising sind bis zum Stichtag am 24. Februar laut Angaben der Stadt bereits 234 Rosenheimer aus ihren jeweiligen Pfarreien ausgetreten. Im Vergleich dazu waren es 2021 im gleichen Zeitraum noch 105.
Dennoch ist der Tenor bei den Rosenheimer Pfarrern der gleiche: Durch eine transparentere Arbeit und eine womöglich neue Ausrichtung kann das Bild der Kirche in Zukunft auch wieder besser werden.
Ein Brief für jeden Ausgetretenen
„Jeder Austritt schmerzt“, sagt Daniel Reichel, Pfarrer der Stadtteilkirche Am Wasen. Er persönlich erfahre in den meisten Fällen immer erst im Nachhinein von einem neuen Austritt. Der Ausscheid aus der Kirche ist nur vor dem zuständigen Standesbeamten im Rathaus möglich und nicht in der Pfarrei selbst. Dieser Umstand bedrückt Reichel besonders, da er dadurch nicht einmal die Chance erhält, Austrittswillige womöglich noch umstimmen zu können. „Es treibt mich um, wie wir es schaffen können, diese Menschen wieder zu erreichen“, sagt Daniel Reichel.
Deshalb schickt er jedem, der aus seiner Kirchengemeinschaft austritt, einen Brief. In der Hoffnung, dass er mehr über die Hintergründe des Ausscheidens erfährt und doch noch mal ins persönliche Gespräch kommt. Bei der Frage, ob Reichel diejenigen verstehen kann, die sich für einen Austritt entscheiden, verweist der Pfarrer auf eine Aussage von Erzbischof Reinhard Kardinal Marx. Dieser sagt, dass man alle, die die Kirche verlassen wollen, ermutigen solle, doch weiter mitzutun. Die Kirche brauche kritische Geister. So sieht es auch Daniel Reichel. Seiner Meinung nach, kann es der Kirche nur gelingen sich wieder zu etablieren, wenn man gute Arbeit leiste und für alle Menschen da sei.
Das Fass ist übergelaufen
Ein Stück deutlicher wird Paul Deutschenbaur, der Rosenheimer Dekanatsratsvorsitzende für den, die Welle der Austritte dramatisch ist. „Eine Möglichkeit, den Kirchenaustritten entgegenzusteuern, wäre beispielsweise die Abschaffung der Kirchen- zugunsten einer Sozialsteuer“. sagt Deutschenbaur. Zumindest müsse eine Abgabeform geschaffen werden, bei der jeder selbst bestimmen kann, in welche soziale Vorhaben und Initiativen das eigene Geld fließt. Denn für Deutschenbaur ist das Festhalten an der Kirchensteuer der eigentliche Grund für die Zunahme an Austritten. Die jüngst bekannt gewordenen Ergebnisse des Missbrauchsgutachtens waren schlussendlich nur noch der „Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat“. Bereits zuvor hätten laut Deutschenbaur schon viele aufgrund der finanziellen Gründe mit ihrer Kirchenmitgliedschaft gehadert. Dieses Phänomen betreffe nicht nur die katholische, sondern auch die evangelische Kirche.
Eine „direkte Lösung“ um die Kirchenaustritte zu bremsen, sieht aber auch Paul Deutschenbaur nicht. Hoffnung besteht für ihn darin, dass die Katholische Kirche den synodalen Weg weiter verfolgt und die Rolle von Laien und Frauen in der Kirche neu bewertet.
Synodaler Weg als einzige Möglichkeit
„Das ist jetzt die Möglichkeit schlechthin“, sagt auch Andreas Zach, Pfarrer der Pfarrei St. Nikolaus zum synodalen Weg. Sowohl bei der Frauenfrage, als auch beim Zölibat stehe man unter großem Druck. Die Aufarbeitung dieser Themen muss jetzt wesentlich schneller als in den vergangen 40 Jahren angegangen werden.
Trotz der aktuellen Lage rund um das Gutachten, empfindet Zach die Stimmung in seiner Kirche als nicht so schlecht. Die Gottesdienste sind gut besucht – teils sogar mit steigender Teilnahme. Trotzdem deprimieren Zach die nackten Zahlen der Austritte. Auch er schreibt Briefe an die Ausgetretenen, um ihnen mitzuteilen, dass es ihm leidtue und sie für ihn nicht abgeschrieben sind. Abhalten will Zach niemanden. Dafür sei zu viel passiert. Er habe sogar volles Verständnis in Anbetracht der Ereignisse. „Es schadet nicht, wenn wir mehr unter Beobachtung stehen“, sagt Zach. Nur so kann das entgegengebrachte Vertrauen wieder zurückgezahlt werden.
Auch wenn die Rosenheimer Pfarrer optimistisch bleiben wollen, ist die Zunahme der Kirchenaustritte dennoch bei der Stadt spürbar zu merken. Für die Standesbeamten gibt es seit Anstieg der Austritte wesentlich mehr Arbeit. Durch die Verdopplung der Fallzahlen sind die Termine beim Standesamt teilweise wochenlang ausgebucht.
Terminvergabe nur online
Der nächste freie Termin war bei Redaktionsschluss am 28. März. Allerdings gibt es für den restlichen Monat insgesamt nur noch acht freie Termine. Deshalb empfiehlt die Stadt allen, die etwas auf dem Standesamt zu erledigen haben, sich vorab über das Onlinereservierungssystem auf der Homepage der Stadt zu informieren.