Unter Kopfjägern und Krokodilen

Heute jährt sich zum 80. Mal der Todestag des Apothekers und Weltreisenden Dr. Heinrich Rothdauscher, dessen Lebensweg vielfältig mit Rosenheim verbunden ist. Als Heinrich Rothdauscher im Juni 1888 die Marienapotheke samt Hausstock an der Stirnseite des Max-Josefs-Platzes in Rosenheim kaufte, lagen zehn abenteuerliche Jahre auf den Philippinen hinter ihm.
Rosenheim– 1873 hatte Heinrich Rothdauscher, 1851 im niederbayerischen Pfaffenberg bei Mallersdorf als Sohn eines Kaufmanns geboren, Deutschland in Richtung Asien verlassen. Eine Lehre als Apotheker sowie einige Berufsjahre, auch in der Apotheke des Anton Palmano in Wasserburg, und ein Studium der Pharmazie an der Münchner Universität unter anderem bei dem berühmten Chemiker Justus von Liebig, lagen da schon hinter ihm. Nun trieb es ihn hinaus und da kam das Angebot des Paul Sartorius, der auf den Philippinen einen Apotheker zur Mitarbeit in seinen Geschäften suchte, gerade recht.
Höllentrip durch tosenden Orkan
Mit dem luxuriösen Dampfer „Mekong“ ging es von Marseille in Frankreich durch den erst vier Jahre zuvor eröffneten Suezkanal und weiter über Ceylon, Singapur und Saigon nach Hongkong. Nach 40 Tagen und 6608 Seemeilen, gut 12 000 Kilometern, endete hier die angenehme Fahrt. Die sechstägige Weiterfahrt nach Manila war ein Höllentrip durch einen tosenden Orkan im Chinesischen Meer, auf einem mit Kakerlaken verseuchten alten spanischen Dampfboot. Wie so oft auf seinen Reisen überstand der junge Abenteurer auch diese lebensbedrohliche Situation glücklich.
Ausführlich und mit dem geübten Auge des Naturwissenschaftlers berichtet Heinrich Rothdauscher in seinen 1932 verfassten „Lebenserinnerungen eines deutschen Apothekers“ über seine Reise und seinen zehnjährigen Aufenthalt auf den Philippinen, die damals seit gut 300 Jahren eine spanische Kolonie waren. Die Arbeit in der großen Offizin Sartorius in Manila war vielfältig und umfangreich. Eine Spezialität des Handelshauses, das Arzneiwaren, medizinische Instrumente, Seifen und Kosmetika aus Europa und Amerika bezog, war die Destillation von Ylang-Ylang-Öl für die europäischen Parfumhersteller.
Sechs Meter lange Python seziert
Unterhaltsam waren die abendlichen Treffen der Mitglieder der „deutschen Kolonie“; hier wurden Neuigkeiten ausgetauscht und Tipps für das Leben im tropischen Klima gegeben. Gleich nach seiner Ankunft hatte sich Heinrich Rothdauscher drei Dutzend leichte, weiße Anzüge schneidern lassen. Nun konnte er mehrmals täglich die Kleidung wechseln und sah immer gepflegt aus. Durch sein natürliches Wesen und seine gesellige, aufgeschlossene Art war der junge Apotheker schnell bei allen beliebt. Aufschlussreich sind seine Schilderungen, natürlich immer aus dem Blickwinkel des Deutschen, von den Bewohnern, ihren Bräuchen und Begebenheiten.
Ausflüge in die Umgebung von Manila brachten neue Eindrücke, auf manche Begegnungen hätte Rothdauscher aber gerne verzichtet. Als er zur Abkühlung ein nächtliches Bad in der Laguna de Bay nahm, dachte er, dass die dunklen, flachen Rücken der Tiere, die um ihn herum schwammen, wohl harmlose Delphine seien. Erst als sein Begleiter aufschrie, weil sein Bein von einer Wasserschlange umwickelt war, und fluchtartig den See verließ, hechtete auch Rothdauscher ans Ufer. Keine Sekunde zu früh, denn die Rücken gehörten zu riesigen Krokodilen.
Nach fast drei Jahren im turbulenten, großstädtischen Manila übernahm Rothdauscher 1876 als Geschäftsführer eine Filialapotheke der Firma Sartorius im 400 Kilometer nördlich gelegenen ländlichen Vigan.
Don Enrique Rod, wie er jetzt tituliert wurde, beherrschte mittlerweile hervorragend Spanisch. Schnell hatte sich herumgesprochen, dass der junge Apothekenchef an den Tieren und Pflanzen von Luzon, der Hauptinsel der Philippinen, interessiert sei. So brachten ihm die Einheimischen, gegen gute Bezahlung versteht sich, lebende Nashornvögel, einen Waran von 125 Zentimeter Länge sowie eine sechs Meter lange Python. Obwohl die Riesenschlange gefesselt war, konnte sie sich bedrohlich wehren, als ihr Rothdauscher den Kopf absäbelte. Noch über mehrere Stunden kroch dann das kopflose Reptil an den Mauern des Innenhofes entlang. Als es endlich ganz tot war, sezierte es der unermüdliche Forscher. Präparate der Würmer und Parasiten im Darm gingen später an die Zoologische Staatssammlung München. Fleischstücke der Python ließ sich Rothdauscher von seinem Koch brutzeln; die schmeckten aber nicht besonders.
Die Köpfe von Europäern geräuchert
Nach zwei Jahren im ruhigen Vigan war der Kontrakt mit Sartorius erfüllt. Die Zeit, bis er als eigenständiger Geschäftsmann eine Apotheke in Cebú übernehmen sollte, nutzte Rothdauscher ab Mai 1878 zu einer mehrwöchigen Expedition ins kaum erforschte Innere der Insel Luzon. Sein Weg führte ihn in die Cordillera Central, einer von hohen Vulkanen geprägten wild-romantische Gegend. Zwei befreundete Spanier hielten hier auf ihren Plantagen die letzten Außenposten der Zivilisation und boten Rothdauscher gastliche Unterkunft. Bis zur Ostküste erstreckte sich ein weites Gebiet, das fest in der Hand verschiedener indigener Stämme war, die sich untereinander als Kopfjäger befehdeten. „Am meisten ehren sie die Köpfe von Europäern, die sie räuchern und schmieren, auf dass sie glatt bleiben und nicht verfallen“, berichtet Rothdauscher, in seinen Memoiren.
Als Forscher und Sammler brachte Rothdauscher, der seinen gesamten Philippinenaufenthalt in Zeichnungen festhielt, von dieser Expedition zahlreiche Waffen und Schmuck der Indigenen mit und übergab sie 1892 dem Völkerkunde Museum in München, heute Museum Fünf Kontinente. Glanzstück der Sammlung Rothdauscher ist eine Ahnenfigur, ein Anito, in der Ozeanien Abteilung des Museums.
„Unter den Geistern der Abgeschiedenen gibt es einige, die nicht zur Ruhe kommen können und diese treiben sich auf der Erde umher und richten Unheil an, verderben die Ernte, bringen Krankheiten, lassen verheerende Viehseuchen einreißen und üben sonstigen Schabernack aus. Damit sie nun einen Ort der Ruhe finden, stellt man die sitzenden, ruhenden Holzanitos auf, da kann der Geist hineinfahren und die gesuchte Ruhe finden. Jedes Haus hat wenigstens einen Anito, wie bei uns die Heiligen Florian und Sebastian.“ Wenn nun in einem Haus dennoch ein Unglück geschieht, wird der Anito verprügelt und weggeworfen. So einen abgedankten Hausheiligen erhielt Heinrich Rothdauscher geschenkt. „Der alte misshandelte Hausgötze sitzt nun im ethnographischen Museum in München im schwerverdienten Ruhestand“; heißt es in den Memoiren.
Krisenmanager der Choleraepidemie
Ab Januar 1879 betrieb Rothdauscher eine eigene Apotheke in Cebú, dem Hauptort der gleichnamigen Insel, 600 Kilometer südlich von Manila. Die Geschäfte liefen sehr gut und am Samstagabend, wenn es für die europäischen Gäste hausgemachte Leberknödel und kühles Bier aus dem bayerischen Steinmaßkrug gab, war das Leben in der tropischen Hitze erträglich. Doch als er erkrankte, nahm er die Empfehlung eines deutschen Arztes, eine Europareise zur Erholung anzutreten, gerne an und am 31. Juli 1881 war der Abenteurer zurück bei den überglücklichen Eltern in Pfaffenberg. Immerhin hatte er ihnen alle zwei Wochen aus der Ferne geschrieben und nur ein einziger Brief war nicht angekommen, weil das Postschiff gesunken war. Doch wieder trieb es ihn hinaus. So nahm er im Mai 1882 wieder Abschied von der Heimat und konnte noch vor der offiziellen Eröffnung des Gotthardtunnels die Tunnelstrecke mit der Eisenbahn durchfahren. Auf den Philippinen regelte er in Manila und Cebú noch seine Geschäfte und wurde mit der großen Choleraepidemie konfrontiert, die er als verantwortlicher Krisenmanager bekämpfen musste und die er glücklicherweise überlebte. Die Beseitigung der Leichenberge war höchst gefährlich und eine große Herausforderung für den Pharmazeuten. Ende Februar 1883 war der Weitgereiste wieder in Pfaffenberg.
In Rosenheim führte Rothdauscher die Marienapotheke von 1888 bis 1893, dann verkaufte er Haus und Apotheke an Theodor Sabalitschka, um mit seiner Familie nach München zu ziehen. Das Ehepaar Rothdauscher hatte mittlerweile drei Kinder: Rosa (1890 bis 1979), Siegfried (1893 bis 1923) und Martha (1895 bis 1974). 1896 wurde Heinrich Rothdauscher an der Ludwig-Maximilians-Universität in München promoviert mit einer Arbeit über die Pflanzengattung der Phyllantheen.
Doch den Privatier zog es 1904 mit seiner Familie wieder nach Rosenheim und so ließ er 1910/11 von Leonhard Hell in der Herbststraße 23 eine luxuriöse Villa mit Zentralheizung und Bad in den ansprechenden Formen des späten Jugendstils bauen.
Um die Familiengeschichte abzurunden: Tochter Rosa heiratete 1920 den Altphilologen Heinrich Höhnle (1879 bis 1928), der einige Jahre als Gymnasialprofessor am Humanistischen Gymnasium, heute Ignaz-Günther-Gymnasium, wirkte. Deren älteste Tochter Gertrud Höhnle (Jahrgang 1921) heiratete 1943 den akademischen Maler Karl Prokop (1914 bis 1973).
Memoiren als Quelle für Kolonialzeit
Dr. Heinrich Rothdauscher ist heute noch auf den Philippinen eine bekannte und geschätzte Persönlichkeit. Seine Lebenserinnerungen sind eine wertvolle Quelle für die dortige historische Forschung zur Kolonialzeit. 2012 wurde ein Teil seiner Memoiren ins Englische übersetzt, 2013 erschien in einem Fachmagazin der Universität von Manila ein Bericht mit Auszügen der „Lebenserinnerungen eines deutschen Apothekers“.
Wer Lust bekommen hat auf mehr Einzelheiten aus dem Leben von Heinrich Rothdauscher, kann sich die Memoiren als pdf-Datei zusenden lassen: webmaster@gerhard-prokop.de.