Nächstenliebe in schwierigen Zeiten
Swetlana, Christof und viele mehr: Diese Menschen aus der Region geben Flüchtlingen aus der Ukraine ein Heim
- VonAnna Heiseschließen
Der Krieg in der Ukraine hat eine Welle der Solidarität losgetreten. Zahlreiche Menschen sammeln Hilfsgüter, organisieren Konvois an die Grenze oder bieten geflüchteten Menschen eine Unterkunft an. Eine dieser Helferinnen ist Swetlana Bohl (36). Über eine Frau, die anpackt und Menschen zusammenbringt.
Rosenheim – In den vergangenen Tagen gab es nur wenige Momente, in denen das Telefon von Swetlana Bohl nicht geklingelt hat. Sie bekommt Nachrichten und Anrufe, häufig von Menschen, die sie nicht einmal kennt. Seit über zehn Jahren lebt die gebürtige Ukrainerin in Rosenheim und arbeitet als selbstständige Kosmetikerin. Mit Sorge hat die 36-Jährige beobachtet, wie sich die Lage in ihrem Heimatland immer weiter zuspitzt. „Für mich war das ein Schock“, sagt sie. Auch weil ein Teil ihrer Familie nach wie vor in der Ukraine lebt – unter anderem ihr Vater.
Ein Aufruf in den sozialen Medien
Mit Mühe und Not sei ihm in der vergangenen Woche die Flucht über Polen nach Rosenheim geglückt. Gemeinsam mit fünf weiteren Personen. „Ich habe dann einen Aufruf in den sozialen Medien gestartet und gefragt, wer helfen kann“, sagt Swetlana Bohl. Auch weil sie wusste, dass weitere Menschen folgen würden. Innerhalb kürzester Zeit seien so nicht nur zahlreiche Hilfsgüter zusammen gekommen, sondern auch Menschen, die einen Übernachtungsplatz angeboten hätten.
Erlebnis auf dem Bauernhof
Da wären beispielsweise Sandra und Sebastian Voit aus Söchtenau, die am Freitag acht Menschen aus der Ukraine bei sich aufgenommen haben. „Ich habe mir schon vorher überlegt, dass ich gerne helfen möchte“, sagt Sandra Voit. Auf Facebook habe sie den Aufruf von Swetlana Bohl gesehen und sie sofort kontaktiert. „Wir haben die Voraussetzungen, zu helfen“, sagt sie.
Gemeinsam mit ihrem Mann betreibt sie einen Bauernhof samt Ferienwohnung. Normalerweise vermietet sie Zimmer an Monteure. Weil diese im Moment aber unbesetzt gewesen seien, habe sie kurzerhand die Zimmer zur Verfügung gestellt. Kostenlos. „Ich freue mich, dass ich in so einer Situation helfen kann“, sagt Sandra Voit. Innerhalb kürzester Zeit hätten Nachbarn Lebensmittel und Kleidung bei ihr abgegeben. „Die Hilfsbereitschaft ist sehr groß.“
Hilfe bereits bei der Stadt angeboten
Ähnliches berichten Petra und Christof Bauer aus Rosenheim. Über einen Nachbarn haben sie erfahren, dass Swetlana Bohl nach Unterkünften sucht. „Wir hatten uns vorab schon bei der Stadt gemeldet und unsere Hilfe angeboten“, sagt Petra Bauer. Gemeinsam mit ihrem Mann ist sie nach Inzell gefahren, den Ort, wo weitere Flüchtlinge aus der Ukraine angekommen sind. Eine Mutter und deren siebenjährige Tochter haben Petra und Christof Bauer aufgenommen. Seit Sonntag leben die vier gemeinsam unter einem Dach.
Unterhaltung per Übersetzer
Das größte Problem: die Sprachbarriere. Denn die beiden Gäste sprechen weder Englisch noch Deutsch. „Mit dem Handy und dem Übersetzer funktioniert es irgendwie“, sagt Bauer. Und auch sonst sei das Zusammenleben unkompliziert. Die beiden Frauen würden zusammen einkaufen gehen, kochen und Zeit mit dem Kind verbringen. Eine Nachbarin habe begonnen, den beiden Deutschunterricht zu geben, ein anderer hat einen Computer bereitgestellt, damit die Mutter den Kontakt in die Heimat halten kann. „Das ist die Hauptsorge. Auch weil der Mann in der Ukraine zurückbleiben musste“, sagt Petra Bauer.
Wie lange Mutter und Tochter bei dem Ehepaar Bauer bleiben werden, steht im Moment noch nicht fest. Auch weil man nicht abschätzen könne, wann und ob sich die Situation in der Ukraine verbessern werde. „Das belastet natürlich alle sehr“, sagt Petra Bauer. Und doch fordert sie die Bürger auf, die die Kapazitäten haben, Menschen aus der Ukraine aufzunehmen.
Unterstützung durch die Nachbarn
Eine Botschaft, die auch Udo Köster aus Kolbermoor am Herzen liegt. Der 59-Jährige arbeitet als Pfleger und hat sich von Anfang an dazu bereit erklärt, Menschen aufzunehmen. Am Wochenende soll – so der Stand jetzt – eine Familie bei ihm ankommen. „Ich habe zwei leere Räume zur Verfügung“, sagt Köster. In den vergangenen Tagen hätte er von Nachbarn und Freunden zudem Matratzen, Bettzeug, Lebensmittel und Windeln bekommen.
„Die Unterstützung war wirklich perfekt“, sagt er. Er weiß, dass es im Moment noch viele Leute gibt, die Hemmungen haben, jemanden aufzunehmen. Und doch will er dazu ermuntern, es trotzdem zu tun. „Man muss sich natürlich auf ein längeres Engagement einstellen“, sagt Köster. So wisse auch er nicht, wann die Familien wieder in die Ukraine zurückkehren können. Seinen Urlaub hat er deshalb für dieses Jahr bereits abgesagt.
Ende des Krieges nicht in Sicht
Es ist eine Hilfsbereitschaft, die Swetlana Bohl nach wie vor sprachlos macht. „Mit so viel Unterstützung hätte ich niemals gerechnet“, sagt sie. Aber sie weiß auch, dass es weitergehen muss. Denn ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht.
„Mein Herz tut weh, wenn ich an die Menschen in der Ukraine denke“, sagt sie. Also hilft sie weiter. Gemeinsam mit Sandra und Sebastian Voit, dem Ehepaar Bauer, Udo Köster sowie zahlreichen weiteren Menschen aus der Region.
Zusätzliche Informationen:
Nach aktuellem Stand gelten folgende Regelungen:
Ablauf für die Registrierung
1. Personen, die nicht kurzzeitig privat bei Freunden, Bekannten oder freiwilligen Helfern unterkommen können, müssen nach München, um sich im Ankunftszentrum in der Maria-Probst-Str. 14 registrieren zu lassen. Nach der Registrierung werden diese zunächst kurzfristig in eine große Sammelunterkunft gebracht, bevor voraussichtlich ab nächster Woche mit der Verteilung auf die Städte und Landkreise begonnen wird.
2. Personen, die bei Freunden, Bekannten oder anderen eine Unterkunft finden, sollen sich bitte zeitnah bei der zuständigen Verwaltung in der Stadt bzw. dem Landkreis in der sie sich aufhalten melden und die Daten der Personen durchgeben.
3. Wann erhalten Sie finanzielle Unterstützung?
Geflüchtete aus der Ukraine werden eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 des Aufenthaltsgesetzes erhalten sowie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Hierfür müssen Sie sich zwingend registrieren. Mit der Registrierung und der Aufenthaltserlaubnis bekommen Sie auch Zugang zu medizinischer Versorgung. Das Geld erhalten sie beim zuständigen Amt, für Rosenheim ist es das Sozialamt. Tel. 08031/365-1461, sozialamt@rosenheim.de. Auch kurzfristige Hilfen sind möglich.
Zunächst einmal dürfen Ukrainer ohne Visum bis zu 90 Tage in Deutschland bleiben. Sobald sie als Schutzsuchende registriert sind (§ 24 Aufenthaltsgesetz) dürfen Menschen aus der Ukraine ein Jahr in Deutschland bleiben mit der Möglichkeit der Verlängerung.
Weitere und genaue Informationen dürfte es in den kommenden Tagen geben. Wichtig: Es wird geraten, keinen Asylantrag stellen, da die Verfahren in der Regel länger dauern und man dann auch zunächst nicht privat wohnen darf.
Sobald die Geflüchteten registriert sind, kann ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Die Registrierung wird bereits eingeleitet.