Podiumsdiskussion in Rosenheimer Gaborhalle
„Das gesamte System muss sich ändern“ - Teresa Enke und Sophia Thiel über psychische Erkrankungen im Sport
- VonAnna Heiseschließen
Unter dem Motto „Wir müssen reden“ hat eine Podiumsdiskussion zum Thema „Psychische Erkrankungen im Sport“ in der Gaborhalle stattgefunden. Mit dabei war neben Fitness-Bloggerin Sophia Thiel auch Teresa Enke, Vorsitzende der Robert-Enke-Stiftung. Über Depressionen, Essstörungen und warum nach wie vor noch viel getan werden muss.
Rosenheim – Für Jonah Werner ist es eine Herzensangelegenheit. Der 23-Jährige ist der Vorsitzende der Bayerischen Sportjugend (BSJ) im Kreis Rosenheim und setzt sich schon seit Jahren dafür ein, dass psychische Erkrankungen kein Tabuthema mehr sind. Er selbst besucht seit zwei Jahren regelmäßig einen Therapeuten. „Ich habe damals gemerkt, dass irgendetwas nicht richtig ist“, sagte er. Also hat er sich Hilfe geholt.
Dem Thema die Schwere nehmen
Wie wichtig das ist, weiß auch die Influencerin und Fitness-Bloggerin Sophia Thiel. „Wir müssen dem Thema die Schwere nehmen“, sagt die gebürtige Rosenheimerin.
Gemeinsam mit Teresa Enke, der Witwe des Fußball-Torhüters Robert Enke und dem Ex-Bundesliga-Profi Martin Amedick, der seine aktive Karriere 2011 aufgrund von Depressionen unterbrechen musste, hat sich Thiel an diesem Freitag die Zeit genommen, um den 300 Zuschauern einen ganz privaten Einblick in ihr Leben zu geben – und den Moment vor drei Jahren, als sie beschloss, komplett von der Bildfläche zu verschwinden.
Schwierige Beziehung zum Essen
„Ich hatte schon immer eine schwierige Beziehung zum Essen“, sagt sie. Sie habe Lebensmittel abgewogen, sich immer mehr isoliert und sei rund um die Uhr im Fitnessstudio gewesen. Trotzdem hätte sie nie daran geglaubt, dass sie ein Problem habe. Bis sie die Diagnose Essstörung erhielt. Mittlerweile gehe es ihr wieder gut, auch weil sie sich in Behandlung begeben habe.
„Ich kann jedem nur empfehlen, eine Therapie zu machen“, sagte sie während der Veranstaltung, die von Autor Ronald Reng moderiert wurde, der unter anderem die Biografien von Miroslav Klose und Robert Enke verfasst hat. „Es gibt in Deutschland zwischen fünf bis zehn Millionen Menschen, die an einer Depression erkranken“, sagte Reng. Davon würde ein Großteil versuchen, die Erkrankung erst einmal zu verheimlichen.
Antriebslosigkeit und Angstzustände
Auch Robert Enke sei so jemand gewesen. Nur ein kleiner Kreis wusste von seinen Ängsten, der Antriebslosigkeit und den Tagen, an denen er es kaum aus dem Bett geschafft hat. „Er konnte zum Teil nicht mehr sprechen und hat keine Gefühle gezeigt“, sagte seine Frau Teresa Enke. Aber sie redet auch von der Zeit zwischen den Depressionen, beschreibt ihren „Robby“ als einen glücklichen und zufriedenen Mann.
Auswirkungen auf die Karriere?
„Ich habe auch versucht, es zu verheimlichen“, sagte Martin Amedick. Er habe riesige Angst davor gehabt, welche Auswirkungen die Tatsache, dass er an einer Depression leidet, auf seine Fußballkarriere haben könnte. Diese Ängste hätten wiederum seine „Symptome getriggert“. Auch er spricht von einer Antriebslosigkeit, einer Leere und dem Gefühl, das er ständig beobachtet werde. Als er endlich beschließt, sich Hilfe zu suchen und Medikamente zu nehmen, seien die Symptome immer weniger geworden.
Vorträge über „Seelische Gesundheit“
Mittlerweile hat der Fußballer seine Erkrankung öffentlich gemacht und reist durch Deutschland, um für die Robert Enke-Stiftung Vorträge zum Thema „Seelische Gesundheit“ zu halten.
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„Der Fußball und seine Strukturen werden sich nicht ändern“, sagt Amedick und fügt hinzu: „Umso wichtiger ist es, dass sich etwas an der Struktur und dem Umgang mit psychischen Erkrankungen ändert.“ Hier habe die Robert-Enke-Stiftung seiner Meinung nach „unheimlich viel getan“.
Therapieplätze sind Mangelware
Und doch steht auch die Stiftung vor neuen Herausforderungen. Denn während es ihr vor der Pandemie gelungen ist, für jeden, der Hilfe benötigt, innerhalb kürzester Zeit einen Therapieplatz zu besorgen, würde das aufgrund der zahlreichen Anfragen nun nicht mehr funktionieren.
„An dem gesamten System muss sich etwas ändern“, sagt Martin Amedick. Es könne nicht sein, dass Menschen den Mut aufbringen und bei einem Therapeuten anrufen, nur um dann vertröstet zu werden, dass der nächste freie Platz erst in sechs Monaten zur Verfügung steht.
Angebote schaffen
Letztendlich waren sich aber sowohl er als auch Teresa Enke und Sophia Thiel einig, dass der Umgang mit der Krankheit schon viel besser geworden sei. Enke rät Angehörigen dazu, den Betroffenen immer wieder wissen zu lassen, dass sie für ihn da sind. „Es ist wichtig, Angebote zu schaffen“, fügt sie hinzu. So wie die Podiumsdiskussion in der Gaborhalle.