Die 32-Jährige wollte Dirigentin werden
Von der Flucht auf die Bühne: So lief der Auftritt der ukrainischen Pianistin Alisa Szuper in Stephanskirchen
- VonSylvia Hampelschließen
Alisa Szuper spielt Klavier, seit sie fünf Jahre alt ist. Nun zeigte sie ihr Talent bei einem Benefizkonzert in Stephanskirchen. Warum es der Musikerin dabei das Herz ein bisschen zerrissen hat.
Stephanskirchen – Die Fingerknöchel waren weiß, die Haltung am Flügel etwas steif – Alisa Szuper (32) war so gar nicht entspannt, als sie die Bühne in Stephanskirchen betrat. „Mir hat es das Herz ein bisschen zerrissen, weil ich für die Ukraine, aber nicht in der Ukraine gespielt habe“, gibt die Pianistin und Komponistin zu.
Ihre Mutter, Tänzerin und Choreographin, sorgte dafür, dass alle drei Töchter Musikunterricht bekamen. Bei der Ältesten wurde die Musik zum Lebensinhalt. Das Studium als Pianistin und Komponistin an der Musikhochschule in Lviv hat Alisa Szuper abgeschlossen, den Abschluss als Dirigentin wollte die 32-Jährige im September in Angriff nehmen. Es kam anders.
Am zweiten Kriegstag raus aus der Heimat
Am zweiten Kriegstag machte sich Alisa Szuper mit Ehemann Simon, Mutter und Schwestern auf den Weg nach Westen. Ihr Bruder blieb, wie alle Männer unter 60 Jahren, in der Ukraine. Und wieso durfte dann Simon Szuper raus? „Lange und verzweigte Familiengeschichte“, lacht er. Kurzfassung: Simon Szuper ist als Sohn zweier Ukrainer in München geboren und aufgewachsen, 2015 beruflich nach Lviv gegangen, aber bei seinen Eltern noch gemeldet. Er hat einen polnischen und einen britischen Pass. „Das hat, als wir uns bei der Ausländerbehörde meldeten, erstmal für bürokratisches Chaos gesorgt“, erzählt er grinsend.
Aus Schulzeiten hatte Simon Szuper Freunde in Stephanskirchen, die wurden zur Anlaufstation. Und vermittelten der fünfköpfigen Familie eine Unterkunft. Mit Klavier.
Bis Alisa Szuper dort Platz nehmen konnte, hatte sie zwei Wochen auf der Flucht hinter sich. Über Polen und die Tschechische Republik ging es nach Oberbayern. Es war der gleiche Weg, den Simon Szupers Großeltern kurz nach dem Zweiten Weltkrieg genommen hatten. „Ein seltsames Gefühl, ich habe gedacht, ich bin im falschen Film“, sagt Szuper.
Das Lampenfieber war groß
Drei Wochen nach der Ankunft in Stephanskirchen stand Alisa Szuper dort bei einem Benefizkonzert auf der Bühne. Vor 150 bis 200 Menschen. „Ein so großes Publikum hatte ich seit dem Studium nicht mehr“, sagt sie. Beim großen Jazz-Festival in Lviv trat sie mehrfach auf, „aber in Clubs und Bars.“ Und jetzt in einem fremden Land mit einem selbstkomponierten Stück – da war das Lampenfieber groß. Trotzdem sagte sie sofort zu, als Steffi Panhans, Dritte Bürgermeisterin und Gründungsmitglied des Kulturclubs sowie im Unterstützerkreis Ukraine aktiv, anfragte. „Wie kann ich zögern, die Ukraine zu unterstützen?“
Ukrainische Kultur wird seit Jahrhunderten unterdrückt
Abgesehen davon ist der 32-Jährigen aber noch etwas anderes wichtig: Die ukrainische Musik aufrecht zu erhalten und vorzustellen. „Seit dem Zarenreich sind die ukrainische Kultur und Musik von den Russen unterdrückt worden. Wer, außerhalb der Ukraine, kennt einen unserer Komponisten? Wer, außerhalb der Ukraine, weiß, dass Mozart einen großen – und zeitweise erfolgreicheren – Rivalen aus der Ukraine hatte?“
Eine Grundvoraussetzung dafür erfüllt Alisa Szuper derzeit noch nicht. Die Sprache.
Deutsch lernen – so schnell wie möglich
Sie versteht Deutsch sehr gut, antwortet schon, bevor ihr Mann übersetzen kann. Aber sprechen? Da hakt es noch. „Immer, wenn ich sage ‚Ich spreche nur ein bisschen Deutsch‘, dann kommt gleich ein Schwall Bayrisch und ich bin überfordert“, lacht sie. Das bisschen Deutsch allerdings, das ist nahezu akzentfrei. Und soll ganz schnell ganz viel Deutsch werden, denn Alisa Szuper möchte ihre Ausbildung zur Dirigentin in München oder Salzburg beenden.
Auf Gut Immling schon dabei
Anschluss an die klassische Musikszene in der Region hat Alisa Szuper bereits gefunden: Sie singt beim Festival auf Gut Immling ab Ende Juni im Chor, hat auch schon die dortige musikalische Leiterin und Dirigentin Cornelia von Kerssenbrock kennengelernt. Der Kontakt mit den Chor- und Ensemblemitgliedern dürfte ihre Deutsch- und Bayrischkenntnisse fördern.
Außerdem ist Alisa Szuper ehrgeizig und selbstbewusst. Ihren Simon immer als Übersetzer zu brauchen, das ist kein Dauerzustand. Zumal der seinen Arbeitsplatz bei einem Schweizer Unternehmen aus Lviv mitnehmen konnte. Einkaufen gehen wird Alisa Szuper wohl bald alleine. In Rosenheim, wohin die beiden dieser Tage zogen. In eine eigene Wohnung.
Kriminelle „helfen“ Geflüchteten
Die suchen Alisas Mutter und ihre beiden Schwestern – Malerin die eine, Musikerin die andere – noch. Denn bei den jetzigen Gastgebern können sie nur bis Juni bleiben. Die Suche ist ohnehin alles andere als leicht. Und wird noch erschwert. „Es gibt tatsächlich Kriminelle aus Russland und der Ukraine, die über verschiedene Kanäle Kontakt zu Geflüchteten aufnehmen und denen anbieten, sich zu ‚kümmern‘. Natürlich für spezielle Gegenleistungen. Ist das nicht das Letzte?“
4000 Euro helfen
Alisa Szuper bestritt das Benefizkonzert für die Ukraine natürlich nicht alleine. Die Clowns „Rigol&Torf“ fingen schon vor Konzertbeginn an, das Publikum zu unterhalten, die „Neurosenheimer“ und „Kupfadache“ machten Musik, dazu kamen nachdenkliche aber auch heitere Texte, vorgetragen von Kupferdache-Sängerin Sabine und von Peter Panhans. Die Künstler traten kostenlos auf, die Bands verkauften ihre CDs zu den guten Zweck. Der Eintritt war frei, die Spenden gingen an den „Partnerschaftsverein Volovec“ aus Bad Endorf und an „Athletes for Ukraine“, die beide schon mehrere Hilfskonvois in die Ukraine geschickt hatten. Deren Vertreter Conny Graf und Jonah Berger freuten sich am Ende des Abends über jeweils 2000 Euro.