Schulsozialarbeit an der Otfried-Preußler-Schule
Datenschutz oder Fake-News? Beunruhigende Fälle in Stephanskirchen entpuppen sich als fiktiv
- VonSylvia Hampelschließen
Der Bedarf an Jugendsozialarbeit an Mittelschulen nimmt zu. Überall. Auch in Stephanskirchen. Wie weit dürfen die Sozialpädagogen, wie weit darf die Schule gehen, um diesen Bedarf zu untermauern? Nach erschütternden Berichten im Hauptausschuss stellte sich heraus, dass diese zum Teil fiktiv waren.
Stephanskirchen - Die Liste einer Mittelschulklasse der Otfried-Preußler-Schule, bei der der Lehrer bei rund 20 Kindern Anmerkungen zu auffälligem Verhalten - von Aggression und Depression, ADHS und Angstzuständen - und anderen Problemen wie fehlenden Deutschkenntnissen gemacht hatte, die gibt es. Den Grundschüler, der an seiner vorherigen Schule gemobbt wurde und der nun zu Wein- und Wutanfällen neigt, den gibt es so nicht. Auch den Mittelschüler, der so viel Angst vor der Schule hat, dass er mehrfach in der Heckscher-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt wurde, gibt es so nicht.
Präsentiert wurden die Fälle in der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 15. Dezember 2022. Sie hinterließen Eindruck, bei allen in der Sitzung Anwesenden. Eindrücke, die bis heute anhalten, wie sich in der jüngsten Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses zeigte.
Dezember-Eindrücke beeinflussten März-Diskussion
Da hatte die Verwaltung vorgeschlagen, einen Antrag des Schulleiters der Otfried-Preußler-Schule (OPS) auf Verdopplung der Stundenzahl für die Jugendsozialarbeit (JaS) zunächst zurückzustellen. Erst solle die im Januar beschlossene halbe Stelle für Jugendsozialarbeit an der Grundschule in Schloßberg tatsächlich geschaffen sein.
„Wenn der Schulleiter Bedarf anmeldet und mit dem Eindruck der Berichte vom Dezember sehe ich das anders“, so der Einwand von Janna Miller (Die Grünen). Was ihr und den anderen Ausschussmitgliedern zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war: Offenbar gibt es die damals präsentierten Problemkinder gar nicht. Es handelte sich um fiktive Fälle - was aber offensichtlich weder dem Gemeinderat noch der von der Sitzung berichtenden OVB-Reporterin bewusst war. Denn das stellte sich erst im Nachhinein heraus.
Wie Schulleiter Florian Burggraf zu den fingierten Problemkindern steht, wollte nun das OVB auf Anfrage wissen. Wortkarg heißt es dazu seitens des Rektors: Er sei in der Dezember-Sitzung nicht dabei gewesen, wisse nicht, was genau wie gesagt wurde und werde sich daher dazu nicht mehr äußern.
Datenschutz als Argument
Christian Bauer, der Bereichsleiter der Diakonie unter anderem für Stephanskirchen und damit auch für die Sozialpädagoginnen an der Otfried-Preußler-Schule zuständig, verteidigt die Darstellung der fiktiven Fälle. Er betont auf OVB-Anfrage, dass man weder der Presse - und damit der Öffentlichkeit - noch den Gemeinderäten Informationen geben dürfe, anhand derer man Schüler erkennen könnte. „Das wäre datenschutzrechtlich nicht korrekt und insbesondere in einer so kleinen Gemeinde dringend zu vermeiden.“ Dies sei in der Dezember Hauptausschusssitzung der Gemeinde Stephanskirchen sowohl von ihm als Bereichsleitung als auch von seinen beiden Kolleginnen deutlich gesagt worden. Zudem hätten sie es nicht nötig, „mehr oder weniger Schwierigkeiten bei Kindern aufzuzeigen, als es tatsächlich gibt“.
Dass der Bedarf groß ist, daran zweifelte in der jüngsten Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses niemand. In den knapp 20 Jahren, in denen es die Jugendsozialarbeit an der OPS gibt, hat sich die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen verändert. Allein der Ukraine-Krieg und die Corona-Pandemie hatten deutliche Auswirkungen. „Es kommen jetzt und in den nächsten Jahren Jahrgänge aus der Schule, die wegen Corona echte Mängel haben“, so Janna Miller. Die Jugendlichen hätten zum Beispiel nicht gelernt, Referate vor der Klasse zu halten, frei vor einer Gruppe zu reden. Für diese Jahrgänge sei eine intensive Betreuung dringend nötig.
Kämmerin Susanne Wittmann kündigte an, dass die Verwaltung künftig genauer hinschaue, was an Arbeit bei der JaS geleistet werde. Das sei wohl bisher nicht so geschehen, wie es hätte sein können.
Der Bedarf sei da, aber die Gemeinde müsse angesichts der großen Vorhaben in den nächsten Jahren auch auf die Finanzen achten, so Bürgermeister Karl Mair (Parteifreie). Für die zwei halben Stellen allein an der OPS-Mittelschule müsse man mit 60.000 bis 80.000 Euro jährlich rechnen. Da sei aus Sicht der Verwaltung Vorsicht geboten. Florian Beck (Bayernpartei) fügte an, dass der Antrag ja lediglich zurückgestellt werden solle, nicht abgelehnt.
Antrag auf Verdopplung der Stunden am Tag nach den Berichten
Was im Rathaus nicht besonders gut ankam und was auch Gemeinderat Georg Dörfler (CSU) im Gespräch mit Mair noch vor Beginn der jüngsten Sitzung monierte: Der Antrag des Schulleiters zur Verdopplung der Stundenzahl der Jugendsozialarbeit an der Mittelschule der OPS ist am Tag nach der Dezember-Sitzung mit den Berichten der beiden Sozialpädagoginnen datiert.
Gemeinderat beschäftigt sich mit Jugendsozialarbeit
Hubert Lechner (Parteifreie) fand, dass über die Zurückstellung des Antrags der OPS bis nach der Schaffung der Stelle an der Grundschule Schloßberg nicht nur die Mitglieder des Haupt- und Finanzausschusses entscheiden sollten. „Bei dieser Richtungsentscheidung hätte ich gerne alle Gemeinderäte dabei.“ Seinem Antrag zur Geschäftsordnung folgten sechs der acht Ausschussmitglieder. Die Jugendsozialarbeit an der OPS-Mittelschule wird Thema des Gemeinderates.
Prävention soll an der Grundschule Schloßberg Probleme lösen oder verhindern
Die Grundschule Schloßberg hat auf Empfehlung des staatlichen Schulamtes einen Antrag zur Schaffung einer Stelle der Jugendsozialarbeit an der Schule gestellt. Die Rektorin, Juliane Ascher, begründete wie folgt die Schaffung einer JaS-Stelle: Die Fünfjahresstatistik der Grundschule zeigt eine ständig steigende Schülerzahl. Dabei komme es im Grundschulverbund und durch die Einführung der Willkommensklasse zu einer Durchmischung des Sozialgefüges. Ebenso wird der Migrationsanteil in den kommenden Jahren steigen. Da soll laut Juliane Ascher Prävention Probleme lösen oder gar verhindern.
Derzeit besuchen laut Schulleiterin rund 95 Prozent der Grundschüler die Mittagsbetreuung, sind somit oft den ganzen Tag an der Schule. Die Schule müsse deshalb auch Erziehungs- und Bildungsarbeit leisten. Damit die Lehrkräfte neben der Bildungsarbeit zeitlich entsprechende Erziehungsarbeit leisten können, könne eine JaS-Stelle nach Ansicht der Schulleiterin sehr bedeutsam und unterstützend sein.
Nach der Einholung von Konzepten verschiedener Träger soll in Zusammenarbeit mit der Gemeinde der Träger für die Jugendsozialarbeit an der Grundschule Schloßberg ausgewählt werden.
Der Antrag wurde vom Jugendhilfeausschuss des Rosenheimer Kreistags bereits positiv bewertet. Nach bisherigem Kenntnisstand würde der Landkreis Rosenheim jährlich anteilig die Personalkosten mit einem Betrag in Höhe von 8180 Euro fördern. Die Gemeinde Stephanskirchen müsste die restlichen Personalkosten tragen. Zum Vergleich: Der Kostenanteil der Gemeinde für die Jugendsozialarbeit an der Otfried-Preußler-Grundschule beträgt laut Haushaltsplan 2022 rund 24.000 Euro und für die Jugendsozialarbeit an der Otfried-Preußler-Mittelschule rund 44.500 Euro.