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Inflation steigt weiter: Droht vielen Menschen in der Region bald eine Überschuldung?

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Von: Julian Baumeister

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Birgit Noll-Rehm, Diplom-Sozialpädagogin, von der Caritas hilft Menschen, die von einer privaten Überschuldung betroffen sind.
Birgit Noll-Rehm, Diplom-Sozialpädagogin, von der Caritas hilft Menschen, die von einer privaten Überschuldung betroffen sind. © Caritas/Privat

Steigende Lebensmittelpreise, hohe Mieten und damit kaum mehr bezahlbarer Wohnraum, Energiekrise und eine Inflation wie seit Jahren nicht – das Leben wird immer teurer. Bei vielen Menschen wird das Geld dadurch knapp. Es droht die private Überschuldung. Schuldnerberaterin Birgit Noll-Rehm gibt im OVB-Gespräch Einblick in die Lage in der Region

Rosenheim – Um über die Überschuldung und deren Folgen aufzuklären, veranstaltet die Caritas vom 30. Mai bis 3. Juni die bundesweite „Aktionswoche Schuldnerberatung“ – auch in der Region Rosenheim. Die OVB-Heimatzeitungen haben vorab Schuldnerberaterin Birgit Noll-Rehm vom Caritas-Kreisverband Rosenheim befragt, wie die Situation in der Region ist.

Frau Noll-Rehm, wann liegt eine private Überschuldung vor?

Birgit Noll-Rehm: Wir sprechen von Überschuldung, wenn die monatlichen Verpflichtungen vor allem dauerhaft höher sind als die Einnahmen der Betroffenen.

Was sind die Gründe für eine Überschuldung?

Noll-Rehm: Gründe gibt es viele, meist handelt es sich um eine Kombination von Ursachen. Da ist zum Beispiel Arbeitslosigkeit zu nennen aber auch längere Krankheiten, Trennungen und gescheiterte Selbstständigkeiten führen dazu.

Führt eine Überschuldung automatisch in die dauerhafte Armut?

Noll-Rehm: Es gibt Pfändungsgrenzen, die sich an der Höhe des Nettolohns und den Unterhaltsverpflichtungen orientiert. Der Gesetzgeber hat also Schutzmechanismus für Schuldner eingebaut. So kann vom laufenden Nettoeinkommen nur der Teil gepfändet werden, der oberhalb der Pfändungsgrenze liegt. Das bedeutet, wenn ich meine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr begleiche, kann mir nicht mein gesamtes Einkommen gepfändet werden.

Wie ist die Lage in der Region Rosenheim? Gibt es viele Überschuldungen?

Noll-Rehm: 2021 haben 748 Personen unser Beratungsangebot wahrgenommen. Generell geht man davon aus, dass dies aber nur rund zehn bis 15 Prozent der von einer Überschuldung betroffenen Menschen sind.

Welche Faktoren führen in der Region zu diesen Zahlen?

Noll-Rehm: Wir haben eine niedrige Arbeitslosenquote, der Arbeitsmarkt sucht Arbeitskräfte. Das wirkt sich positiv aus und führt zu weniger Überschuldungen. Allerdings ist der Wohnungsmarkt angespannt. Die Mieten sind hoch, dadurch ist es für viele Menschen besonders schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Hohe Mieten können schnell zur Überschuldung führen.

Welche Menschen sind am häufigsten betroffen?

Noll-Rehm: Zu uns kommen Betroffene aus jeder Altersschicht. Wir werden von mehr Personen aufgesucht, die allein leben, als von Familien, knapp gefolgt von Alleinerziehenden. Unter den Betroffenen sind zudem mehr ledige als verheiratete Personen, darunter sind rund 55 Prozent Männer und 45 Prozent Frauen.

Welche Auswirkungen hat Corona auf die Situation der Betroffenen und wurde sie durch den Krieg in der Ukraine und die darauf folgenden Verteuerungen nochmals verschlechtert?

Noll-Rehm: Corona hatte wesentliche Auswirkungen, denn die Arbeitnehmer mussten in Kurzarbeit. Dies bedeutet ein geringeres Einkommen. Zudem mussten selbstständige Unternehmer ihr Gewerbe abmelden und konnten ihre Ausstände nicht begleichen. Die Auswirkungen des Krieges und die damit verbundenen gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise spüren wir alle und werden wir noch mehr zu spüren bekommen. Die Lohnentwicklung kann der plötzlich massiv steigenden Inflation nicht gerecht werden. Das bedeutet, dass unsere Kaufkraft nachhaltig sinkt. Zusätzlich verschärfen der Krieg und die Coronamaßnahmen in China die Lieferkettenproblematik und das wiederum führt zu Produktionsausfällen und Preissteigerungen.

Wie sieht die Hilfe von der Caritas Schuldnerberatung aus?

Noll-Rehm: Wir versuchen, mit jedem Hilfesuchenden einen individuellen Weg im Umgang mit seinen Schulden zu finden. Dazu zeigen wir verschiedene Möglichkeiten im Umgang mit Schulden auf. Der Klient entscheidet selbst, welche er wählt. In diesem Sinne bieten wir Hilfe zur Selbsthilfe. Dazu zählt beispielsweise das Erstellen von Haushaltsplänen oder die Unterstützung bei Verhandlungen mit Gläubigern sowie die Vorbereitung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens.

Wie kann man Weg aus der Überschuldung schaffen und wie schwer ist es?

Noll-Rehm: Prinzipiell stehen jedem verschiedene Möglichkeiten im Umgang mit seinen Schulden offen: vom Weiterleben an der Pfändungsfreigrenze über Ratenzahlungsvereinbarungen, Umschuldung und Vergleichsvereinbarungen bis hin zu einem Insolvenzverfahren.

Wie ist Ihre Prognose? Wird es mehr Überschuldungen geben?

Noll-Rehm: Wir rechnen aufgrund der derzeitigen Inflationserwartungen und der stark steigenden Energiepreise in Kombination mit den weiter steigenden Mieten mit einer erhöhten Überschuldungsgefahr.

Im Rahmen der „Aktionswoche - Schuldnerberatung“ der Caritas veranstaltet der Caritas-Kreisverband Rosenheim am Donnerstag (2. Juni) eine Informationsrunde zur Überschuldung auf dem Max-Josef-Platz in Rosenheim. Beginn der Veranstaltung ist um 10 Uhr. Weitere Informationen erhalten Betroffene unter https://www.caritas-nah-am-naechsten.de/caritas-zentrum-rosenheim/cont/38793.

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