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Rosenheimer Expertin klärt auf: So schnell können extreme Geldsorgen derzeit jeden treffen

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Von: Julian Baumeister

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Immer mehr Menschen - auch in Rosenheim - haben derzeit finanzielle Schwierigkeiten. Bei der Schuldner- und Insolvenzberaterin der Diakonie Rosenheim betreut Nadine Hausburg Ratsuchende.
Immer mehr Menschen - auch in Rosenheim - haben derzeit finanzielle Schwierigkeiten. Bei der Schuldner- und Insolvenzberaterin der Diakonie Rosenheim betreut Nadine Hausburg Ratsuchende. © Montage: dpa/picture alliance/Karl-Josef Hildenbrand/Diakonie Rosenheim

Das Leben wird teurer. Nicht zuletzt durch die steigenden Preise. Die Folgen: Geldsorgen, Überschuldung und Insolvenz. Eine Expertin aus Rosenheim verrät, was man dagegen machen kann und welche Hilfsmöglichkeiten es im Notfall gibt - mit Praxistipps.

Rosenheim - Die Preise für das tägliche Leben steigen und steigen. Das treibt viele Menschen an ihre finanziellen Grenzen - bis hin zur Überschuldung oder einem Insolvenzverfahren. Im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen erklärt Nadine Hausburg, Schuldner- und Insolvenzberaterin der Diakonie Rosenheim, welche Ursachen die Geldsorgen haben, welche Hilfsmöglichkeiten es gibt und verrät Tipps, dass es gar nicht erst soweit kommt.

Frau Hausburg, führen Sie ein Haushaltsbuch?

Nadine Hausburg: (lacht) Ich habe tatsächlich länger eins geführt, aktuell aber nicht. Ich wollte es selbst einmal versuchen, bevor ich es meinen Klienten empfehle. Mein Fazit: Erschreckend, wie hoch meine Ausgaben für Dinge, wie zum Beispiel mal schnell einen Kaffee to go waren.

Haben Sie daher Mitgefühl mit Ihren Klienten?

Hausburg: Ohne Empathie geht es nicht. Bei der sozialen Schuldenberatung steht der Mensch mit all seinen Problemen im Mittelpunkt und nicht nur wegen der finanziellen Situation. Wir wollen die Betroffenen auffangen.

Sind die Probleme selbst- oder unverschuldet?

Hausburg: In den meisten Fällen unverschuldet. Ganz oft durch Arbeitslosigkeit oder Krankheit.

Ab wann ist man denn verschuldet, überschuldet oder insolvent?

Hausburg: Verschuldung ist die Summe aller Geldforderungen, die gegenüber einem anderen bestehen. Eine Überschuldung besteht dann, wenn das Einkommen und das Vermögen aller Haushaltsmitglieder über einen längeren Zeitraum nicht mehr ausreichen, die fälligen Forderungen zu begleichen. Ein Insolvenzverfahren ist der nächste Schritt, wenn keine Aussicht auf Verbesserung besteht und die Betroffenen wirtschaftlich noch mal neu starten können.

Vieles wird derzeit teurer, müssen Sie deshalb mehr Menschen beraten?

Hausburg: Jein. Es gibt noch keine drastischen Zunahmen, eher vereinzelt. Die Preissteigerungen und die Inflation spüren wir noch nicht so deutlich. Das hängt damit zusammen, dass viele die Nebenkostenabrechnungen erst noch erhalten. Deshalb rechnen wir gegen Ende des Jahres mit einem enormen Anstieg. Und da kann es dann auch bei uns eng mit den Kapazitäten werden, da wir bereits jetzt im Bereich der Privatinsolvenzberatung mit Wartelisten arbeiten müssen.

Nadine Hausburg berät Menschen, die in eine Ver-oder Überschuldung geraten sind.
Nadine Hausburg berät Menschen, die in eine Ver-oder Überschuldung geraten sind. © Diakonie Rosenheim

Wie viele Menschen beraten sie in Rosenheim?

Hausburg: Die Zahlen für 2022 sind noch nicht ausgewertet. 2021 waren es in Rosenheim insgesamt 700 Menschen. Damals war das ein Anstieg um 200 Personen zum Vorjahr. Man muss davon ausgehen, dass die Zahl auch im vergangenen Jahr gestiegen ist.

Hat sich das Klientel der Ratsuchenden geändert?

Hausburg: Bei uns sind Leute aus allen möglichen Schichten. Das sind nicht nur Geringverdiener, Arbeitslose oder diejenigen, die Krankengeld beziehen. Inzwischen kommen auch mehr Menschen, die selbstständig waren oder aus der Mittelschicht sind. Das liegt daran, dass diese Personengruppen vor den Schwierigkeiten der vergangenen Jahre noch Reserven zur Verfügung hatten. Die Reserven sind jetzt oft aufgebraucht.

Was sind die Gründe, dass Menschen in die Überschuldung geraten, wenn auch die Reserven nicht mehr reichen?

Hausburg: Es gibt die sogenannten „Big Five“ aus dem Schuldenreport. Die häufigste Ursache ist danach Arbeitslosigkeit. Gefolgt von Einkommensarmut, Krankheit, Scheidung und Trennung und Haushaltsgründungen. Aber auch gescheiterte Selbstständigkeiten sind ein Problem.

Lebensmittelpreise und Energiekrise nicht?

Hausburg: Die Ursachen sind seit Jahren unverändert. Deshalb ist es noch zu früh, um sagen zu können, wie sich die aktuellen Krisen langfristig auswirken werden. Die Ratsuchenden äußern aber schon, dass die Heizkosten ihnen Sorgen machen und sie beim Einkaufen noch genauer auf die Preise achten.

Ist überzogener Konsum auch ein Grund?

Hausburg: Das kann man pauschal nicht sagen. Es gibt natürlich Menschen, die den Umgang mit Geld nicht ausreichend gelernt haben. Aber wenn ich von Haus aus weniger Geld zu Verfügung habe und dann etwas kaputt geht, das ich aber zum leben brauche wie zum Beispiel Haushaltsgeräte, hat man oftmals keine andere Möglichkeit. Das kann man sich in der Lage nicht schnell zusammensparen und man muss auf eine Finanzierung durch Kleinkredite zurückgreifen.

Sie raten also zu keinem Kauf auf Raten.

Hausburg: Eher nicht nein (lacht). Das Modell der Finanzierungskäufe oder Kreditkäufe verschiebt das Bild der wirklichen Ausgaben. Und diese sollten das Einkommen nicht übersteigen. Kleinvieh macht auch Mist.

Ist das größer werdende Angebot an Online-Shopping und bargeldloses Bezahlen zum Problem geworden?

Hausburg: Ich glaube schon. Das ist verlockend und es macht es einem einfach Geld auszugeben. Vor allem, weil man nicht sofort sieht, wie das Geld weniger wird.

Verändert die Arbeit Ihr eigenes Verhalten?

Hausburg: Ja definitiv. Man lernt so einiges, zum Beispiel, dass man niemandem die PIN für Bankkarten oder die Kreditkarte geben sollte. Oder für jemanden einen Handy- oder Kreditvertrag abschließen. Da habe ich schon schlimme Sachen miterlebt. Hier lieber nach dem Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Für was würden Sie einen Kredit aufnehmen?

Hausburg: Das ist eine gute Frage. Für eine Immobilie wahrscheinlich nicht, wenn würde ich über eine Autofinanzierung nachdenken (lacht). Man wird schon vorsichtig. Wenn ich mir etwas einbilde, schlafe ich nochmals eine Nacht darüber, ob ich es wirklich brauche.

Und wenn es schief geht, ab wann sollte man sich von Ihnen beraten lassen?

Hausburg: Genau ab dem Zeitpunkt, wenn man merkt, dass es nicht mehr so klappt, wie früher. Umso frühzeitiger das ist, umso mehr Aussicht auf Besserung gibt es. Dann kann man gemeinsam überlegen, wie das Schlimmste verhindert werden kann. Die meisten kommen leider zu spät.

Wie sieht die Beratung aus?

Hausburg: Man schaut sich zusammen die Einnahmen und Ausgaben an und sucht nach Lösungswegen. Wichtig ist, dass die Klienten selbst entscheiden, wie es weitergeht. Wir können nur Wege aufzeigen. Hier zum Beispiel, ob noch irgendwelche Hilfen wie Wohn- oder Kindergeld beantragt oder Gelder wie doppelte Versicherungen eingespart werden können.

Welche Tipps haben Sie, dass es gar nicht erst zu einer solchen Notlage kommt?

Hausburg: Man sollte sich zuerst einen Haushaltsplan aufstellen, damit man eine Übersicht hat. Danach die Kontoauszüge anschauen, welche Gelder wirklich weggehen. Verträge und Abonnements überprüfen, ob man diese tatsächlich braucht oder es günstigere Alternativen gibt. Helfen kann auch, dass man mehr mit Bargeld zahlt. Wenn das nicht reicht, sollte man nach zusätzlichen Einnahmen schauen. Das können Sozialhilfen oder auch Minijobs sein. Mein grundsätzlicher Tipp: Alles muss auf den Prüfstand.

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