Kiefersfeldenerin vor Schwurgericht Traunstein
Vom „Papakind“ zum Vatermord? Die Lebensgeschichte der mutmaßlichen Giftmörderin
- VonMonika Kretzmer-Diepoldschließen
Wegen angeblichen Giftmords an ihrem Vater (89) muss sich seit Dienstag, 7. Februar, die 64-jährige Inge S. vor dem Schwurgericht Traunstein verantworten. Die psychiatrische Sachverständige Dr. Susanne Lausch äußerte sich jetzt zur Lebensgeschichte der Angeklagten – mit überraschenden Details.
Traunstein/Kiefersfelden/München – Die Angeklagte soll den alten Herrn in seinem Haus in Kiefersfelden über Monate hinweg mit einem Mix aus überdosierten, hochwirksamen Arzneimitteln letztlich zu Tode gebracht haben (wir berichteten). Der Mann starb am 16. November 2021 in einem Rosenheimer Krankenhaus. Weitere Verhandlungstermine sind für 20., 21. und 28. Februar sowie 2., 13., 27. und 30. März, mit Beginn jeweils um 8.30 Uhr angesetzt.
Sie selbst verweigert die Aussage
Die 64-Jährige hatte sich vor der Kammer mit Vorsitzendem Richter Volker Ziegler über ihren Verteidiger Harald Baumgärtl aus Rosenheim auf ihr Aussageverweigerungsrecht zur Person und zu den Vorwürfen von Staatsanwalt Wolfgang Fiedler berufen. Der psychiatrischen Sachverständigen Dr. Susanne Lausch gegenüber hatte sie jedoch ihre Lebensgeschichte „sehr mitteilungsbereit“ geschildert, wie diese vor dem Schwurgericht betonte.
Vater war Stahlbauschlosser
Demnach war der verstorbene Vater von Beruf Stahlbauschlosser, konnte bestimmend sein, war aber nicht nachtragend. Mit seiner Frau hatte er vier Kinder, zwei Mädchen und zwei Buben. Zeitweise lebte Inge S. bei Großeltern. Die Mutter gab ihr ob der frühen Schwangerschaft die Schuld für ihr nicht optimales eigenes Leben. Dazu Frau Dr. Lausch: „Die Mutter war für sie keine Mutter, sondern ein neutraler Mensch. Die älteste Tochter war ein Papakind.“ Mit 15 zog Inge S. zum Vater, absolvierte eine dreijährige Lehre als Friseurin in Haidhausen, danach den technischen Zweig einer Berufsaufbauschule, brach die Fachoberschule ab und wohnte mit 19 Jahren wieder beim Vater in Polling. Ihr berufliches Leben verlief unstet. Einige Zeit arbeitete Inge S. in einem Immobilienbüro, ehe sie 1982 eine Umschulung im Förderzentrum Waldkraiburg machte.
Traumberuf Maskenbildnerin
„Ihr Traumberuf war Maskenbildnerin“, informierte die Sachverständige. Die Angeklagte habe sich mit Kursen fortgebildet und danach in Erding selbstständig gemacht. 1988 kam ihre Tochter auf die Welt. 1994 wechselte die ledige Mutter in eine Naturheilpraxis in Erding, war mit EDV befasst und danach als Bürokraft in einer Firma tätig. Sie stieg auf zur stellvertretenden Abteilungsleiterin, übernahm eine Niederlassung in Erding. 2009 lernte die gebürtige Münchnerin auf der spanischen Insel Mallorca einen deutschen Gastronomen kennen und lieben. Die Tochter folgte ihr 2016 nach Palma.
Schmerzen und Schlafstörungen
Nach Frau Dr. Susanne Lausch wurde die Angeklagte 2009 krank. Starke Schmerzen und Schlafstörungen machten ihr zu schaffen. Ab 2010 konnte sie nicht mehr arbeiten und war eineinhalb Jahre krankgeschrieben.
Die Beziehung in Spanien hielt bis 2020 und scheiterte daran, dass Inge S. dem Partner einen Seitensprung nicht verzieh. Sie stand vor der Wahl, auf der Insel zu bleiben oder zurück nach Bayern zu gehen. 2019 mietete sie im Großraum München eine Wohnung, weilte aber noch oft auf Mallorca.
Soko „Erbe“ gegründet
Die Nachricht vom Tod der Frau des Vaters am 9. April 2020 erreichte sie in Spanien. Am 2. November 2021 spitzte sich die Situation erneut zu. Die Hausärztin musste - wie berichtet - dem 89-Jährigen eine Infusion setzen und bat um Rückruf am Abend, wie sich der Patient fühle. Dann hieß es, er müsse doch in eine Klinik. Zu der Zeit war schon die Polizei Kiefersfelden eingeschaltet. An die Beamten hatte sich der Mann gewandt, um seinen „letzten Willen“ abzuklären. Die Polizisten wollten angesichts seines Zustands – er war nicht mehr ansprechbar, redete unverständlich und stöhnte laut - einen Rettungsdienst holen. Das lehnten die Angeklagte und ein Bruder ab. Mehrere Ärzte schöpften später Verdacht, der 89-Jährige könne vergiftet worden sein. Die Kripo Rosenheim gründete die „Soko Erbe“. Die Ermittlungen führten zur Anklage der 64-Jährigen.
Nie Suchtprobleme
Dr. Lausch informierte, Inge S. habe nie Suchtprobleme gehabt, sei nie psychiatrisch behandelt worden. Die 64-Jährige weise „gewisse esoterische Tendenzen“ auf, „Sie sagt, sie habe mit ihrem inneren Kind gesprochen..“ Erwähnt habe die 64-Jährige auch das Hören von „Stimmen, aber ohne Verfolgungsgefühl oder Halluzinationen“. Ihre Tochter bezeichne sie als „Erdenengel“. Inge S. beschreibe sich selbst als hilfsbereit und manchmal ungeduldig. Sie lege großen Wert auf ihr Äußeres und sammle Barbie-Figuren.
Eigene Fähigkeiten habe sie bei der Exploration betont, über andere Menschen abwertend geredet, so die Sachverständige. Zur Schuldfähigkeit der Angeklagten wird Frau Dr. Lausch erst später Stellung beziehen.