Prozessauftakt in Traunstein
Die Pelzlady schweigt: Hat eine Kiefersfeldenerin ihren Vater (88) vergiftet?
- VonMonika Kretzmer-Diepoldschließen
Aus Habgier wegen einer Erbschaft sowie Heimtücke soll die 64-jährige Inge S. ihren 89 Jahre alten Vater in Kiefersfelden über Monate hinweg mit Überdosen hochwirksamer Medikamente vergiftet haben. Beim Prozessauftakt in Traunstein am Dienstag, 7.Februar, schwieg die Angeklagte.
Traunstein/Kiefersfelden – Der Mann starb am 16. November 2021 im Romed-Klinikum in Rosenheim. Seit gestern sitzt die 64-Jährige wegen Mords auf der Anklagebank vor dem Schwurgericht Traunstein mit Vorsitzendem Richter Volker Ziegler. Acht Verhandlungstage mit Fortsetzung am 20. Februar um 8.30 Uhr sind anberaumt. Das Urteil könnte am 30. März ergehen.
Auf Mallorca festgenommen
Die 64-Jährige war im April 2022 auf Mallorca festgenommen worden, wo sie 2009 im Urlaub ihren letzten Partner, einen Gastronomen, kennengelernt und bis 2020 dort mit ihm gelebt hatte. Die Angeklagte wollte nach der Trennung von dem Lebensgefährten zurück nach Bayern, hatte auch schon eine Wohnung im Umkreis von München gefunden. Im April 2020 starb die Ehefrau des Vaters. Dieser blieb allein in seinem Haus in Kiefersfelden zurück. In ein Heim, was die Angeklagte und ihre drei Geschwister lieber gesehen hätten, wollte der Mann nicht, wie die 64-Jährige einer psychiatrischen Sachverständigen im Vorfeld des Prozesses geschildert hatte. In der Hauptverhandlung wird sich die 64-Jährige derzeit weder zu ihrer Person noch zum Sachverhalt äußern. Das erklärte Verteidiger Harald Baumgärtl aus Rosenheim, auch namens seines Kollegen Benedikt Stehle aus München.
Gemäß Staatsanwalt Wolfgang Fiedler hatte Inge S., die älteste Tochter und angeblich ein „Papakind“, über Jahrzehnte nur sporadischen Kontakt zu ihrem Vater gepflegt. Nach dem Tod von dessen letzter Ehefrau am 9. April 2020 besuchte ihn die Angeklagte häufig in Kiefersfelden. Eine Vorsorgevollmacht für die Konten des Vaters bei zwei Banken soll sie sich Mitte November 2020 besorgt haben.
Angeklagte soll Medikamente vorbereitet haben
Sie allein soll die verschiedenen Medikamente vorbereitet haben, die der alte Herr nehmen musste. Der damals 88-Jährige litt an altersbedingten Erkrankungen wie Diabetes, Fettleber, Schlafstörungen, Schwindelanfällen, an einer Verengung der Halsschlagader, an Problemen mit dem Herzen und der Wirbelsäule.
Folgt man dem Staatsanwalt, veranlasste die 64-Jährige am 21. Mai 2021 ohne Kenntnis und Einverständnis des Vaters Überweisungen an sich und die drei Geschwister. Alle erhielten jeweils knapp 92.900 Euro. Mit Segen des Vaters hatte sie bereits im Januar 2021 eine Überweisung von 20.000 Euro an sich selbst als „Vorauserbschaft“ veranlasst.
Hochwirksamer Arzneicocktail
Drei Tage später habe sie Beträge in gleicher Höhe der Schwester und den zwei Brüdern von Konten des Papas zukommen lassen – offenbar ohne ihn vorher zu fragen. Wann genau dem Vater Überdosen an Arzneimitteln verabreicht wurden, ob direkt von der 64-Jährigen oder über sie durch ahnungslose polnische Pflegekräfte, grenzt die Anklage grob ein auf die Zeit zwischen Anfang Mai und Anfang November 2021.
Jedenfalls wurden die sedierend wirkenden Arzneistoffe Morphin, Oxycodon, Diazepam, Melperon und Diphenhydramin nicht von Ärzten verschrieben, wie sich später herausstellte. In Kombination führten sie, so der Staatsanwalt, potenziell zu einem „lebensbedrohlichen Zustand“. Der nichts ahnende alte Mann trug aus dem mutmaßlichen Medikamentenmix eine lebensbedrohliche Überdosierung von Benzodiazepinen und Opiaten sowie eine Blutvergiftung davon.
In Sorge wegen Erbansprüchen
Zum Motiv heißt es in der Anklage, die 64-Jährige habe vermeiden wollen, dass ihr Vater von ihr fast 112.900 Euro aus der Vorauszahlung auf das Erbe zurückfordern würde und habe zudem weitere Erbansprüche erlangen wollen. Der mittlerweile 89-Jährige verstarb am 16. November 2021 um 6.45 Uhr im Krankenhaus. Die Todesursache ließ sich pathologisch nicht sicher nachweisen. Er hinterließ ein beachtliches Vermögen. Zum Zeitpunkt seines Todes wiesen die Konten Guthaben von 280.000 Euro auf.
Infusion durch die Hausärztin
In Bewegung geriet der Fall um den 2. November 2021 herum. Der 89-Jährige fühlte sich schlecht. Seine Hausärztin gab ihm eine Infusion. Dann hieß es, er müsse doch ins Krankenhaus. Der Mann wollte jedoch mit der Polizei etwas zu seinem „letzten Willen“ geklärt haben.
Einer der Söhne und die Angeklagte lieferten sich lange, teils heftige Diskussionen mit Polizeibeamten, was mit dem zu der Zeit nicht mehr ansprechbaren Patienten geschehen sollte. Die uniformierten Helfer wollten, dass der Mann in eine Klinik eingeliefert wird, die Kinder wollten das offenbar verhindern. Das Schwurgericht sah dazu gestern mehrere Videos mit lautstarken Szenen an, aufgenommen mit Bodycams der Polizei.
Lebensgefährliche Folgen
Letztlich landete der 89-Jährige doch im Krankenhaus. Eine Ärztin verwies telefonisch auf mögliche lebensgefährliche Folgen, sollte der Mann nicht entsprechend behandelt werden. Dazu konstatierte Inge S. damals laut Angaben der Medizinerin im Zeugenstand: „Der Vater ist 89 Jahre alt. Er muss doch eh sterben.“ Gegenüber der Gutachterin hatte die Angeklagte gemeint, der Vater habe keinen Lebenswillen mehr gehabt. An anderer Stelle erwähnte sie, er habe ihr seine Finanzen übertragen und sein Geld seinen vier Kindern geben wollen. Die Bankvollmachten hatte übrigens allein die 64-Jährige. Nach dem Tod des 89-Jährigen flog sie nach Mallorca, wo sie fünf Monate danach in Untersuchungshaft genommen und nach Deutschland überstellt wurde.