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Corona-Krise im Raum Rosenheim – Wie Pfleger und Mediziner den Covid-19-Schock erlebten

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Von: Michael Weiser

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„Passiert das jetzt wirklich?“ Christian Kupfernagel (rechts) auf der Station.
„Passiert das jetzt wirklich?“ Christian Kupfernagel (rechts) auf der Station.

Corona und der Ausnahmezustand in Stadt und Landkreis Rosenheim: Die volle Wucht der Pandemie bekamen Mediziner und Pfleger in den Intensivstationen mit. Wie sie mit Unsicherheit, Belastung und Trauer fertigwerden. Teil drei der Corona-Bilanz der OVB-Heimatzeitungen: Was wir aus der Krise lernen.

Rosenheim– „Geschichtsträchtig!“ Das sagt Christian Kupfernagel, und er bringt damit die Erfahrungen der vergangenen Monate auf den Punkt. Kupfernagel ist 42, er ist erfahren. Er hat die Teamleitung in der Internistischen Intensivstation am Romed-Klinikum in Rosenheim inne. Noch immer wirkt er ein wenig fassungslos. „Die Corona-Zeit“, sagt er, „werden wir alle nicht vergessen.“

Ausnahmezustand als Normalfall

Wer in der Intensivmedizin arbeitet, ist Ausnahmezustand gewohnt. Es sind die Pfleger und Ärzte, die zum Einsatz eilen, wenn es für den Patienten richtig gefährlich wird – lebensgefährlich. Dass sich solche Menschen ihrerseits in einer Ausnahmesituation wiederfinden können, gehört zu den Erfahrungen des bemerkenswerten Jahres 2020. 

Das neuartige Coronavirus ließ auch die Intensivmediziner im Romed-Klinikum in Rosenheim kämpfen: mit Informationsdefiziten, mit Materialmangel, den eigenen Ängsten, der Überforderung und der Müdigkeit. Und mit der Trauer.

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Mit drei von diesen Menschen in vorderster Linie haben sich die OVB-Heimatzeitungen getroffen: mit Jana Englert (49), mit Dr. Martin Dunker (48), und eben mit Christian Kupfernagel. Sie dürften, das zeigt sich im Gespräch, sehr ähnliche Erfahrungen gesammelt haben.

Vielleicht sind sie einfach nur erschöpft

Man hört das aus ihren Worten. Man liest das aus ihrer Haltung. Alle drei blicken einem in die Augen, unterstreichen ihre Worte mit lebhaften Gesten. Haben sie fertig erzählt, ziehen sie sich zurück. Als sinnierten sie, so sieht es dann aus, als sei die Spannung abgefallen, die sie für Wochen auf den Beinen hielt. Oder als seien sie einfach erschöpft. „Die körperliche Belastung konnte man sich am Anfang nicht vorstellen“, sagt die Intensivpflegekraft Jana Englert.

Im Krisenmodus: Jana Englert im Gespräch.
Im Krisenmodus: Jana Englert im Gespräch.

Die Corona-Zeit begann für Englert und ihre Kollegen ein bisschen früher als für die meisten anderen Menschen. Sie wappneten sich, als sich in der Region die Menschen noch auf die bevorstehenden Starkbierfeste oder gar das nächste Skiwochenende freuten,

Das System auf der Kippe

„Wir hatten Kontakt zu Kollegen in Südtirol“, berichtet Oberarzt Martin Dunker, der den Bereich Operative Intensivstation leitet. „Eine Kollegin hatte dort auf einer Covid-19-Station gearbeitet.“

Schnell wurde klar, dass da was Unheimliches auf die Region zurauschte. Verlässliche Informationen waren rar. Dafür sah man viele Bilder aus dem Ausland. Von Sterbenden in Krankenhausgängen. Von gestapelten Särgen, von Militär, das den Abtransport der Toten übernahm. „Man war vorbereitet durch Italien. Und man dachte: ,Passiert das jetzt wirklich, kommt es tatsächlich?‘“ erinnert sich Kupfernagel. Arbeiten, etwas machen, das hilft dann. „Als dann die Maschine lief, als alle an Bord waren und ruderten...“, sagt Dunker, und Kupfernagel ergänzt: „... gab es keine Zweifel mehr.“

Martin Dunker.
Martin Dunker.

Oberarzt: „Wir wurden nicht überrollt“

Irgendwann in der zweiten Märzhälfte stiegen die Fallzahlen schneller und schneller. Wie das enden würde? Konnte niemand absehen. „Die Kapazitäten haben gereicht, stellt Martin Dunker nüchtern fest. „Wir wurden nie überrollt.“ Was klingt wie: Es war knapp.

Vom Debakel waren die Mitarbeiter im Romed-Klinikum genau genommen immer nur ein paar Stoffbahnen und Kunststofffolien entfernt. Was, wenn die Corona-Einheit nicht so auf ihren Schutz geachtet hätte? Wenn sich erst einer, dann viele infiziert hätten? „Ein paar Tage, und dann wäre das System zusammengebrochen“, sagt Martin Dunker. Er schwört auf die Wirksamkeit der Ausrüstung, auch des Mundschutzes. „Es gibt nicht den Hauch eines Zweifels, dass der wirkt“, sagt er.

Glück und Vorsicht helfen dem Team

Niemand wurde krank im Team, alle konnten arbeiten. „Um 7 Uhr morgens rein, um 7 Uhr abends raus“, so beschreibt Jana Englert den Rhythmus jener Tage. Und außerhalb vom Dienst bloß nix mit Corona. „Ich habe kein Fernsehen geschaut, jedenfalls keine Covid-19-Berichterstattung.“

„Es gab schon schlimme Tage“, sagt Christian Kupfernagel. „Da war dann die Devise, nicht aufgeben sondern kämpfen.“ Die Mitarbeiter, so erzähen das alle Drei, hätten einander gestützt, sich zusammengesetzt, das Gespräch gesucht.

„Das war schwer zu ertragen“

Ärzte und Pfleger hängten sich rein, lernten dazu, griffen insArsenal der modernen Medizin. Manchmal reichte es nicht. Über 120 Menschen starben bislang in den Romed-Kliniken. „Diese Wucht“, sagt Englert. „Das war allein schon von den Zahlen schwer zu ertragen.“

Es sind nicht nur die Zahlen, es ist die nicht ermessbare Einsamkeit der Sterbenden. Keine Berührungen, niemand, der die Hand hält, kein vertrautes Gesicht, ausschließlich Personal hinter Masken und in Schutzkitteln. Und dann die trauernden Angehörigen. „Jemanden am Telefon trösten zu müssen, das waren die schlimmsten Momente“, sagt Kupfernagel. „All die Trauer, die Hilflosigkeit.“ Er weiß: „Da werden Narben bleiben.“

Man wird besser vorbereitet sein

Es hat sich etwas getan in den 100 Tagen Ausnahmezustand. Es haben sich neue Verfahren entwickelt, man hat Erkenntnisse gewonnen. Man wird besser ausgestattet sein. Und man hat ein Team, das durch eine harte Zeit gegangen ist.

Die Klinikteams sind eingespielt, auch dank vieler angehender Mediziner und Pfleger, die in die Bresche gesprungen sind. „Generation Corona“ nennen die Drei die jungen Menschen, die sich freiwillig meldeten und in der Krise aushalfen.

Man kann improvisieren, auch in einem Krankenhaus. Es gehe nun vieles ganz leicht, was vorher schwierig gewesen sei, sagt Dunker. Und bei den Tests sei man viel besser und schneller geworden. Nur noch zwei Stunden statt sieben Tage bis zum Ergebnis!

Für Leichtsinn kein Verständnis

Die Pandemie macht scheinbar Pause. Die Dienstpläne normalisieren sich. Ärzte und Pfleger kommen wieder mehr raus. Was sehen sie? Menschen dicht gepackt an Seen, in Biergärten, bei Familienfeiern, Demos, Party. Sie sehen, dass mancherorts kaum jemand einen Limettenschnitz auf Abstandsregeln gibt.

„Da fühlt man sich, als werde man mit Füßen getreten“, sagt Jana Englert. „In meiner Umgebung gibt es niemanden, der dafür Verständnis hatte.“

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